Spinnen, Schlangen, Antilopen – Eine Ausstellung mit Tierplastiken und Tiermasken bildet den Auftakt: insgesamt dreimal sollen 2022 unter dem Titel „Afrika in Lübeck“ die sehenswerten und viel zu lange unter Verschluss gehaltenen Bestände der Lübecker Völkerkundesammlung präsentiert werden.
Wie bereitet man sich auf eine Ausstellung des Jahres 2022 über afrikanische Plastiken vor?
Am besten liest man ein Buch des Jahres 1915, einen Essay von Carl Einstein, Autor des experimentellen Romans „Bebuquin“ (1912) und dazu ein Kunsthistoriker mit Einfluss auf seine Gegenwart. Einstein beschäftigte sich während des Ersten Weltkrieges, also eben zu der Zeit, als europäische Maler und Bildhauer die Kunst des Südpazifiks, Japans oder eben Afrikas entdeckten, mit der „Negerplastik“, wie man damals noch ganz unbefangen sagte. Überraschenderweise sind manche seiner Probleme dieselben wie die eines Kurators unserer Tage, der in ein Magazin geht und Tierplastiken zusammensucht, um die so lange versteckten Artefakte zu einer Ausstellung zusammenzustellen. Für Einstein galt „der Versuch, etwas über afrikanische Plastik auszusagen, als ziemlich hoffnungslos.“ Und warum? Weil man kaum etwas über die Umstände des Ankaufs und nicht selten sogar gar nichts über Ort und Zeit ihrer Entstehung wusste; und eben daran hat sich kaum etwas geändert, denn auch Lars Frühsorge, Leiter der Lübecker Völkerkundesammlung und einer der beiden Kuratoren der Ausstellung – zusammen mit Susanne Füting, der Direktorin des Lübecker Museums für Natur und Umwelt – weiß in vielen Fällen nichts über den Zusammenhang, dem die Ausstellungsstücke entstammen.
Der Großteil der Ausstellung wird mit Stücken aus der Sammlung des 2020 verstorbenen Kieler Holzgroßhändlers Bernd Muhlack bestritten, der den Lübecker Museen seine erstaunliche Sammlung vermacht hat; dazu kommen Artefakte aus dem 19. Jahrhundert, die auf den Lübecker Reisenden Heinrich Brehmer (1830-1866) zurückgehen, der einiges aus Liberia mitbringen konnte. Dazu kommen noch einige Stücke aus dem Lübecker Figurentheatermuseum.
Für einen Essayisten wie Carl Einstein brachten die fehlenden Kenntnisse über die Geschichte der Plastiken die Aufgabe und damit auch die Chance, eigene Beobachtungen zu machen und zu Papier zu bringen. Leider (jedenfalls für uns) handelt sein Buch einzig und allein von Menschendarstellungen, denn Tierplastiken, das Thema der Lübecker Ausstellung, kommen auch im Abbildungsteil seines Büchleins nicht vor. Aber seine präzisen Beobachtungen sind von bleibendem Wert. „Es bezeichnet die Negerplastiken“, schreibt Einstein, „daß sie eine starke Verselbständigung der Teile aufweisen“. Das ist eine merkwürdige Parallele zu der griechischen Plastik der Frühzeit, von der der Altphilologe Bruno Snell in seinem Buch über „Die Entdeckung des Geistes“ dasselbe behauptet hat. „Selbstverständlich“, so heißt es bei Snell, „haben die homerischen Menschen einen Körper gehabt wie die späteren Griechen auch, aber sie wußten ihn nicht ‚als’ Körper, sondern nur als Summe von Gliedern.“ Es scheint, dass der Mensch erst lernen musste, sich selbst oder andere als eine Einheit zu sehen und zu erleben, zu beschreiben und darzustellen. (Die Einheit des menschlichen Leibes wird auch Thema des fünften und letzten meiner Artikel über philosophische Anthropologie sein.)
Ein anderer Punkt, auf den Einstein aufmerksam macht, ist die Sockellosigkeit der Plastiken. Europäische Plastiken, und wohl nicht allein diejenigen, die Menschen darstellen, stehen in aller Regel auf einem Sockel. Afrikanische aber eben nicht. Darf man bereits daraus schließen, dass sie eine ganz andere Rolle im sozialen Leben gespielt haben müssen?
An einer anderen Stelle heißt es bei Einstein über ein Artefakt: „Es bedeutet nichts, es symbolisiert nicht“. Aber gilt das auch für Stücke der Lübecker Ausstellung? Vielleicht nicht, denn nicht wenige Objekte spielen in der Repräsentation der Macht eine Rolle, etwa wenn ein Tier – ein Leopard, eine Spinne – als Thronsessel dient. Muss es nicht notwendig so sein, dass sich mit ihnen bestimmte Vorstellungen verbinden und es also doch gewisse Charaktereigenschaften oder Funktionen symbolisiert?
Sehr häufig stehen Tiere im Vordergrund, die für uns eher unsympathisch sind, zum Beispiel Schlangen – eine Plastik zeigt eine aufgerichtete Felsenpython, die so stark stilisiert ist, so dass es des Blicks einer erfahrenen Biologin bedarf, die sie anhand ihrer typischen Zeichnung identifiziert. Ebenso unsympathisch wie die Schlange ist vielen Europäern heute die Spinne, die aber in Afrika auch im Haus geschätzt wurde und vielleicht ja auch immer noch geschätzt wird. Hier betonen die Kuratoren, dass dieses Tier vor nicht zu langer Zeit auch in Europa besser angesehen war; ihnen ist es wichtig, dass die Afrikaner sich weniger weit von der Natur entfernt zu haben scheinen als wir.
Es ist keine Riesenausstellung – gezeigt werden ungefähr 100 Objekte –, aber doch schon ein schöner und unterhaltsam zusammengestellter Rundgang, den man im Obergeschoss des Lübecker Museums für Natur und Umwelt gleich neben dem Mühlenteich und zu Füßen des Doms findet: vor allem jede Menge Tiermasken und Plastiken aus dem 19. und 20. Jahrhundert, ergänzt mit modernen Filmplakaten und Landkarten. Denn auch in unserem Erleben (jedenfalls im Erleben gewisser Kinogänger…) spielen Masken und ihre verwandelnde Wirkung auf ihre Träger eine wesentliche Rolle, etwa in einem Film des Jahres 2018, „Black Panther“ benannt. Titel und Untertitel der Ausstellung – „Macht und Magie – Tiere in den afrikanischen Kulturen“ – sagen sehr präzise, worum es in dieser Ausstellung geht.
Denn wenn auch nicht wenige Objekte uns ästhetisch ansprechen, so geht es doch weniger um die Darstellung von Tieren oder unseres Erlebens als vielmehr um ihre Funktion in sozialen Zusammenhängen. Bei vielen Masken und Plastiken hat man große Probleme, ohne die Erklärung eines Täfelchens das dargestellte Tier zu identifizieren, denn fast alle Wesen sind stark stilisiert, manche bis zur Unkenntlichkeit. Also keine realistischen Abbildungen, weder bei Insekten noch bei Echsen oder Säugetieren, sondern es sind zunächst und vor allem Symbole von Macht. Oder es sind Masken und damit Hilfsmittel, um sich in magischen Ritualen in Tiere zu verwandeln. Was aber gar keine Rolle spielt, das ist das Tier als Totem.
„Macht und Magie – Tiere in den afrikanischen Kulturen“
Zu sehen bis Sonntag, den 29. Mai 2022
im Museum für Natur und Umwelt, Musterbahn 8, in 23552 Lübeck
Geöffnet: Di - Fr 9 bis 17 Uhr, Sa + So 10 bis 17 Uhr.
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