Lübeck 1500. Kunstmetropole im Ostseeraum
- Geschrieben von Christel Busch -
Die Hansestadt Lübeck lockt mit einer spektakulären Ausstellung.
„Lübeck 1500. Kunstmetropole im Ostseeraum" widmet sich Lübecks glanzvoller Vergangenheit als Kultur- und Kunstmetropole bis zu den Umbrüchen der Reformationszeit. Die Ausstellung erzählt von der Frömmigkeit reicher Lübscher Bürger und Bruderschaften, die um ihr Seelenheil fürchtend, den Kirchen und Klöstern eine Fülle von Kunstwerken stifteten: Flügelaltäre, Madonnen- und Heiligenfiguren, Tafelbilder, Gold- und Silberschmiedearbeiten. In die Präsentation einbezogen sind die Kirchen der historischen Altstadt und das Heiligen-Geist-Hospital. Gefeiert wird zudem die Gründung des fünfhundert Jahre alten St. Annen Klosters und das hundertjährige Bestehen des St. Annen-Museums.
Lübeck ist bis zur Reformation der größte Exporteur sakraler Kunstwerke. Rund zwanzig Goldschmiede-, bis zu vierzig Maler- und Bildschnitzer-Werkstätten sind in dieser Epoche nachweisbar. Bildschnitzer wie Bernt Notke, Hermann Rode, Benedikt Dreyer oder Henning van der Heyde, Claus Berg genießen über die Grenzen der Hansestadt hinaus enorme Wertschätzung - vor allen Dingen in den skandinavischen und baltischen Ländern. „Kunst made in Lübeck, das war ein Qualitätsmerkmal, das im ganzen Ostseeraum geschätzt wurde", sagt Kurator Jörg Rosenfeld. Mit der Reformation kommt die Zäsur, der Markt für christliche Kunst bricht zusammen. Lübecker Künstler und Werkstätten reagieren auf die veränderten Bedingungen: Der Buchdruck beginnt sich in der Hansestadt zu etablieren. Allen voran Lukas Brandis, der die erste Druckerei in Lübeck gründet. Das illustrierte Buch ersetzt fortan die Heiligenbilder. Die Nachfrage ist groß, das Angebot reich gefächert, wie die ausgestellten Werke in der Kunsthalle St. Annen zeigen: die Dietz-Bibel, die sogenannte Bugenhagenbibel, reformatorische Druckschriften oder ein Kräuter- und Pflanzenbuch, der Versroman von Reineke Fuchs. Dank seiner globalen Handelsbeziehungen, entwickelt sich Lübeck zum Zentrum des frühen Buchdrucks im norddeutschen Raum.
Wohin mit den sakralen Kunstwerken? Den Symbolen katholischen Glaubens? Den gemalten oder geschnitzten Geschichten aus der Bibel und den Heiligen aus der „Legenda aurea“? Die meisten Flügelaltäre, die auf dem Hochaltar und den Kapellen Lübecker Kirchen und Klosterkirchen standen oder heute noch stehen, haben unbeschadet den Bildersturm der Reformationszeit überlebt.
Zu den kostbarsten Exponaten der Ausstellung zählt der Passionsaltar des Brügger Malers Hans Memling, aus dem Besitz der Lübecker Kaufmannsfamilie Greverade. Einst in der Greveradenkapelle des Lübecker Doms stehend, gehört das Altarretabel seit 1945 zum Inventar des Museums. Für die Schau ist der über zwei Meter hohe und ein Meter siebzig breite Flügelaltar in der Kunsthalle auf ein rotes Podest gestellt. Frei aufgestellt, von allen Seiten zu betrachten, kann der Besucher die Feiertagsansicht und die geöffneten Flügelpaare studieren. Das Bildprogramm der Festseite zitiert die Passionsgeschichte vom Einzug Jesus nach Jerusalem, über die Kreuzigung auf dem Berge Golgatha bis zur Grablegung und Auferstehung. Auffallend ist, dass die detailfreudige Malerei in Stil und Duktus an den altniederländischen Meister Rogier van der Weiden erinnert. Die inneren Flügelpaare schmücken die Heiligen Blasius, Johannes der Täufer, Hieronymus und Aegidius. Die äußersten Flügel, die Alltags- oder Fastenseite, zeigen in Grisaille, Steinbildmalerei, den Engel der Verkündigung und die Jungfrau Maria.
Prunkvoll sind die Abendmahlkelche und drei kunstvoll gearbeitete St. Georgsreliquiare, Leihgaben aus Elbing und Riga, angefertigt vom Lübecker Goldschmied Bernt Heynemann. Dem Heiligen St. Georg mit dem Drachen, in Norddeutschland als St. Jürgen bekannt, ist ein eigener Raum gewidmet. Der Legende nach tötet er den Drachen, der die Stadt Silene bedroht, errettet eine Prinzessin vor dem Opfertod und bekehrt die Bevölkerung zum Christentum. Die hölzerne Skulpturengruppe aus der Kapelle des ehemaligen St. Jürgen-Hospitals wird dem Lübecker Bildschnitzer Henning van der Heyde zugeschrieben. Als Vorbild gilt Bernt Notkes berühmte St.-Georg-Gruppe in der Stockholmer Storkyrka.
Von der Kunsthalle führt der Weg den Besucher in das St. Annen-Museum, dem ehemaligen St. Annen-Kloster. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts im spätgotischen Stil errichtet, dient das Augustinerinnen-Kloster der Unterbringung lediger Töchter wohlhabender Bürger. Nach der Reformation aufgelöst, wird es zunächst als Armenhaus, später als Zuchthaus genutzt. Nachdem im Jahr 1843 die Kirche und Teile der Klostergebäude niederbrennen, erfolgt die Restaurierung der Klosteranlage. Im Jahr 1912 beschließt der Senat der Hansestadt den Umbau des Klosters zum Museum, das drei Jahre später eröffnet. Das St. Annen-Museum besitzt heute mit über dreißig Flügelaltären die größte und bedeutendste Sammlung in Deutschland, welche in den mit Kreuzrippen gewölbten Räumen präsentiert wird. Hinzu kommen Madonnen- und Heiligenfiguren sowie mittelalterliche Pretiosen. Zu verdanken ist diese Sammlung einem Senatsdekret von 1818 zum Schutz der Denkmäler des Altertums und der Kunst sowie der Sammelleidenschaft von Carl Julius Milde (1803-1875), Lübecks erstem Konservator und Denkmalpfleger mittelalterlicher Kunst.
Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf eine spannende Zeitreise in die mittelalterliche Heils- und Glaubenswelt. Eine Welt, die geprägt ist von beispielloser Frömmigkeit. Denn die katholische Kirche propagiert die Lehre von der Erbsünde, die jedem Menschen droht, der kein gottgefälliges Leben führt. Das Bildprogramm der Flügelaltäre ist daher eine Visualisierung der Heilsgeschichten aus der Bibel oder der Vita von Heiligen. Sie ermahnen an ein christliches, gottesfürchtiges Leben und erinnern an die Strafen Gottes bei Verfehlungen. Die Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer ist daher groß. Doch durch Ablasszahlungen oder Stiftungen an Kirchen oder Klöster kann der Gläubige die Vergebung seiner Sünden erlangen.
Die sakralen Bildinhalte sind allerdings für den heutigen Betrachter schwer zu entschlüsseln, da ihm die christliche Ikonographie, die Bildsprache mit ihren Attributen, Symbolen, Allegorien nicht mehr vertraut ist.
Ein schönes Beispiel ist das um 1519 datierte Maria-Magdalenen-Retabel aus der Burgkirche des ehemaligen Dominikaner Klosters am Burgtor. Der kostbare, in Eiche geschnitzte und mit Gold verzierte Flügelaltar ist eine Stiftung der Bruderschaft der Schneider – in der rechten, äußeren Seite der Predella, dem Unterbau, weist eine geöffnete Schere auf die Stifter hin. Die Außenflügel sind von dem in Schwerin tätigen Maler Erhart Altdorfer gestaltet. Das Bildprogramm ist dem Leben der Heiligen gewidmet. Erzählt wird das sündige, ausschweifende Leben der Maria Magdalena. Nach der Bekehrung zum christlichen Glauben wandelt sie sich zur reuigen Büßerin, lebt dreißig Jahre als Eremitin in der Wüste. Als Dank für ihr frommes, gottgefälliges und Wunder wirkendes Leben wird sie nach ihrem Tod von himmlischen Heerscharen zu Gott emporgetragen. Der Altar steht im Remter, dem Kapitelsaal der einstigen Klosteranlage.
Neben den Flügelaltären belegen zahlreiche Madonnenfiguren die Verehrung Marias als Gottesmutter. Als Skulptur wird sie in ständig neuem Typus dargestellt: die Marienkrönung durch Christus, als thronende oder stehende Gottesmutter mit dem Kind, als trauernde Gottesmutter, als Madonna mit einer Sternenkrone, auf einer Mondsichel stehend, als Strahlenkranzmadonna oder Pietà. Eine der bedeutendsten Kirchen in der Lübecker Altstadt, die Marienkirche ist ihr geweiht.
Das St. Annen-Museum beherbergt eine hochkarätige Fülle sakraler Kunstschätze. Die Ausstellung ergänzen Leihgaben aus dem Bode-Museum in Berlin, dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, der Pinacoteca di Brera in Mailand, dem Nationalmuseum in Kopenhagen und dem Historischen Museum in Stockholm.
Nach dem Rundgang durch die Ausstellungen empfiehlt sich ein Besuch der Innenstadtkirchen St. Aegidien, St. Marien, St. Jacobi sowie das Heiligen-Geist-Hospital, welche ihre mittelalterlichen Kunstwerke vor Ort präsentieren. Im Dom befinden sich zum Beispiel das große 1477 aufgerichtete Triumphkreuz von Bernt Notke und seiner Werkstatt, vier mittelalterliche Seitenaltäre und zwei große Marienfiguren.
Die Ausstellung „Lübeck 1500. Kunstmetropole im Ostseeraum" ist im gesamten Museumsquartier – dem St. Annen-Museum und der Kunsthalle St. Annen – bis zum 10. Januar 2016 zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind vom 20.09.15 bis 10.01.16 | Di-So | 10-17 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.
www.museumsquartier-st-annen.de
Abbildungsnachweis:
Header: Sippenretabel aus der Lübecker Burgkirche (Detail), Meister der Lübecker Burgkirchensippe, Lübeck um 1510-15, Lübeck St. Annen-Museum. © Lübeck, St. Annen-Museum. Foto: Jan Friedrich Richter
Galerie:
01. Ausstellungsreiter Lübeck 1500. Foto: Christel Busch
02. Lübeck, St. Annen-Museum. Flügel eines Wurzel-Jesse-Retabels aus der Lübecker Jakobikirche. Antwerpen, um 1500. © Bildarchiv der Hansestadt Lübeck
03. Mailand, Pinacotheca di Brera. Portrait eines jungen Mannes. Lübeck, um 1480-90, der Werkstatt Hermen Rodes zugeschrieben. © Mailand, Pinacoteca di Brera
04. Lübeck, St. Annen-Museum. Lübecker Dietz-Bibel (sogenannte ,Bugenhagenbibel‘). Lübeck, Ludwig Dietz 1533 mit Holzschnitten von Erhart Altdorfer. © Lübeck, St. Annen-Museum. Foto: Jan Friedrich Richter
05. links: Lübeck, Dom. Triumphkreuzanlage, Detail: Johannes. Bernt Notke, Lübeck 1471-1477. © Jan Friedrich Richter. rechts: Ribe, Den Antikvariske Samling, als Dauerleihgabe des Varde Museum. Stehende Madonna auf der Mondsichel aus der Pfarrkirche von Darum. Schleswig, um 1480, der Werkstatt Lütje Möllers zugeschrieben. © Jens Bruun (www.altertavler.dk)
06. Lübeck, Dom. Marienretabel. Lübeck, 1506, Skulpturen dem Meister von Arboga zugeschrieben, die Malereien dem Meister der Marienbestattung. © Jan Friedrich Richter
07. Lübeck, St. Annen-Museum. Lukasretabel des Lübecker Maleramtes aus der Lübecker Katharinenkirche. Hermen Rode, Lübeck 1484. © Hembo Pagi/Andres Uueni
08. Lübeck, St. Annen-Museum. Birnenpokal. Lübeck, um 1525 (oder um 1515?), Heyno Schröder (?). © Lübeck, St. Annen-Museum. Foto: Michael Haydn
09. Stockholm, Statens Historiska Museum. Prinzessin einer St. Jürgen-Gruppe aus der Pfarrkirche von Tyresö. Lübeck, Ende 15. Jahrhundert, Henning van der Heyde zugeschrieben. © Stockholm, Statens Historiska Museum. Foto: Gabriel Hildebrand (Stockholm)
10. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
11. Lübeck, St. Annen-Museum. Kreuzigungsretabel, sog. Greveraden-Retabel aus dem Lübecker Dom. Brügge, 1491, Hans Memling zugeschrieben. © Bildarchiv der Hansestadt Lübeck
12. Lübeck, St. Annen-Museum. Relief mit der Ankunft der Heiligen Drei Könige aus der Lübecker Jakobikirche. Nördliche Niederlande, um 1500. © Lübeck, St. Annen-Museum. Foto: Maire Müller-Andrae
13. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
14. Lübeck, St. Annen-Museum. Christus und die Ehebrecherin. Lübeck, Hans Kemmer, 1530. © Lübeck, St. Annen-Museum. Foto: Jan Friedrich Richter
15. Bereich Archäologie und Denkmalpflege der Hansestadt Lübeck. Seidentäschchen. Ende 15. Jahrhundert © Jan Friedrich Richter.
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