Kultur, Geschichte & Management
44. kulturklubHH mit Georges Delnon. Foto: Steven Haberland

Wer ihn noch nicht kannte, konnte ihn zum Neustart des „kulturklubHH“ in Hamburg kennenlernen: Georges Delnon, seit dieser Saison Intendant der Hamburgischen Staatsoper, stand Claus Friede und Hans-Jürgen Fink in der Hadley’s Cafe Bar ebenso gut gelaunt wie ausführlich Rede und Antwort auf die Frage „Wie wird die Oper zur Seele der Stadt?“.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es war ein gelungenes Revival. Drei Jahre war der ursprünglich von Manfred Eichel (ehemals ZDF/„Aspekte“), Hans-Juergen Fink (damals Hamburger Abendblatt), Claus Friede (*Contemporary Art), Dieter Kosslick (Berliner Filmfestspiele) und dem verstorbenen Poldi Eidenhammer initiierte „kulturklubHH“ von der Bildfläche verschwunden.

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Nun ist er mit seiner 44. Auflage zurück, dem Hadley’s entsprechend (noch) im Kammerformat, dafür aber umso charmanter und intimer. Statt großem Podium und Scheinwerfer reichen drei Barhocker, ein Tisch und eine Schreibtischlampe. Mikrophone sind fast überflüssig, da das Gros der Gäste – unter ihnen Opern-Aufsichtsratsmitglied Willfried Maier, Schauspieler Stephan Schad, Operndramaturgin Micaela von Marcard und Barbara Guggenheim vom Jüdischen Salon – auf Tuchfühlung sitzt. Kultur zum Anfassen, sozusagen. Näher geht’s nimmer.

In dieser Atmosphäre fühlte sich auch Georges Delnon außerordentlich wohl, das war spürbar. Völlig offen und entspannt gab der 57-jährige Zürcher, der in Bern und Fribourg Kunstgeschichte und Musikwissenschaften studierte und unter dessen Leitung das Theater Basel zweimal von der Opernwelt zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt wurde (2009 und 2010), Auskunft über sich, seine Affinität zur bildenden Kunst – und vor allem über sein Verständnis von Oper heute.

Delnon hat in seiner Jugend selbst Musik gespielt und komponiert, insbesondere Jazz und Neue Musik. In seiner Zeit als Intendant des Theaters Basel (2006-2015) stand er auch als Regisseur immer wieder auf der Bühne. „L’art pour l’art“ geht mit ihm jedoch überhaupt nicht. Musiktheater im 21. Jahrhundert hat seiner Meinung nur eine Existenzberechtigung, wenn es Stellung bezieht und sich gesellschaftlich einmischt: „Oper muss Bedeutung für die Menschen haben, sonst ist es nicht nachvollziehbar, dass da so viel Geld reingepumpt wird!“

Nicht der erste Satz zu seinem Wirkungsfeld, aber ein zentraler. Delnons politische Einstellung wird an diesem Abend zwar nicht explizit hinterfragt, aber sie wird auch so deutlich. Bereits bei den Antworten auf die beiden Aufwärmfragen des Moderatoren-Teams zum Thema „Wohnen“ und zum Thema „Fußball“ („Ich wohne in der Neustadt, da bin ich in neun Minuten an der Oper, in fünf Minuten in der Laeiszhalle und in drei Minuten am Michel“. Und: „Ich habe viele Sympathien für den HSV und eine Dauerkarte bei St. Pauli“) zeigt sich die Geisteshaltung des sympathischen Schweizers. Alt-68er wäre zu viel gesagt, dazu ist Hamburgs Neuzugang etwas zu jung. Aber er lässt keinen Zweifel an seinem demokratisches Grundverständnis und Sendungsbewusstsein, Oper in die Gesellschaft hineintragen zu wollen – auch in sogenannte bildungsferne Schichten. Wie das aussehen kann, haben er und der künstlerische Leiter Kent Nagano bei ihrem Einstand im September vorgemacht: Hector Berlioz‘ Oper „Les Troyens“ wurde per Livestream auf eine schwimmende Leinwand am Jungfernstieg projiziert (KulturPort.de berichtete). Statt Abendgarderobe und Highheels, Daunenjacken und warme Decken – auch so kann man Oper genießen.

Künftig, so sagt Georges Delnon, könne er sich auch vorstellen, in verschiedene Stadtteile reinzugehen und Kontakt zu den Menschen vor Ort aufzubauen. Eine „Bürger-Oper“, das ist seine Vision. Inklusion und Partizipation von Flüchtlingen eingeschlossen. „Ich will eine Demokratisierung dieser Kunst. Elitär kann es nicht mehr sein“. Vermittlung ist deshalb eines seiner großen Themen: „Mit jungen Leuten Aktionen in der Stadt zu machen, wo man es nicht erwartet. Ich will Oper ganz nah an den Menschen bringen“.

In Basel hat er das schon gemacht. Im Kaufhaus, im Hauptbahnhof und im Gefängnis gespielt. Mit Krankenhäusern zusammengearbeitet, „mit echten Ärzten und falschen Patienten“. Sechs Mal Tod, sechs Unfallopfer, die auf grausame Weise um Leben kommen. Romeo Castellucci, der diese (sehr umstrittene) szenische Installation in einer Messehalle zur „Art Basel“ in diesem Sommer veranstaltete, wird kommendes Frühjahr Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion in den Deichtorhallen inszenieren und es wäre verwunderlich, wenn dieses Spektakel unblutig über die Bühne ginge.

Spartenübergreifend zu arbeiten, das ist für den italienischen Regisseur und den Schweizer Intendanten gleichermaßen wichtig. Als Delnon in der Spielzeit 2006/2007 in Basel anfing, sei er erstmal „völlig überfordert gewesen“ von allen „schrillen Menschen“ der internationalen Kunstszene, die sich hier einmal im Jahr treffen, erzählt er frei heraus. Er hätte das Gefühl gehabt: „Das Theater muss reagieren“. Also begann er, bildende Kunst und Musiktheater immer stärker miteinander zu verschränken.

Hamburg ist in Sachen Kunst lange nicht so aufgestellt wie Basel. Doch auch hier, dafür steht sein Name, wird es Projekte mit bildenden Künstlern geben. Eines ist sogar schon realisiert: die Stuttgarter Lichtkünstlerin Rosalie verwandelte die Fassade des Opernhauses in eine Lichtskulptur. Auf Delnons Wunschliste für künftige Produktionen stehen US-Star Matthew Barney und die Schweizerin Pipilotti Rist ganz oben, doch bei beiden hätte er wohl keine Chance. Jonathan Meese aber „ist interessant“ und wäre nach seinem Rauswurf als „Parsifal“-Regisseur in Bayreuth vielleicht ja noch zu haben.

„Bildende Kunst kann Neue Musik weiterbringen“, davon ist Delnon überzeugt. Vor allem, wenn sie auch noch aufklärerisch wirkt. Dabei hilft, die Welt zu verändern, oder sie zumindest verändern zu wollen.

Die nächsten Premieren dieser „eminent politischen Kunstform“ Oper sind deshalb Produktionen mit genau diesem Anspruch. „Individuelle Freiheit, Unterdrückung, Auseinandersetzung mit dem Fremden – das sind die Themen, dennoch soll Heiner Müllers Satz, „Das Fremde ist eigentlich das Schöne“, das dem Spielzeit-Heft vorangestellt ist, kein Motto sein. Und sicher sei der Satz auch nicht immer passend. Aber manchmal eben schon: „Les Troyens“ die tragische Geschichte zweier Vertriebener in der Antike, (Regie: Michael Thalheimer) trifft wie kaum eine anderes Stück den Nerv der Flüchtlingsmisere.

Auch die Auftragsproduktion „Stilles Meer“ (Uraufführung 24.1.2016) soll ein Stück Musiktheater werden, das die Menschen bewegt. Delnon gerät ins Schwärmen, wenn er von dem „komplett japanischen Kreativteam“ um den renommierten Komponisten Toshio Hosokawa spricht, der hier gemeinsam mit seinem Landsmann, dem Librettisten und Regisseur Hirata Oriza, die Atomkatastrophe von Fukushima und das stille Leid der Japaner verarbeitet, die kaum Opposition wagen und vor ihrer Regierung kuschen.

Das sei „Oper als gesellschaftlicher Denkanstoß“, ohne sich dabei zu sehr von tagespolitischer Aktualität leiten zu lassen,“ sagt Delnon. „Mir geht es darum, Dinge zu verhandeln, die uns alle etwas angehen.“

Das heißt jedoch nicht, dass unter seiner Leitung die musikalische Qualität die zweite Geige spielt. Der neue Intendant weiß, dass Hamburg im internationalen Ranking nicht zu den Tophäusern zählt. Deshalb will er Talente aufspüren und in die Hansestadt holen, bevor sie nicht mehr bezahlbar sind. Der legendäre Hamburger Intendant Rolf Liebermann (1910-1999) ist da sein Vorbild, übrigens auch ein Schweizer. „Aber einmal Anna Netrebko, das muss schon sein“, sagt Georges Delnon fast verschwörerisch später am Abend. So ganz ohne Glanz, Glamour und Starbesetzung geht es halt doch nicht.

KulturPort.De - Live | 44.kulturklubHH
Interessenten für den Einladungsverteiler melden sich bitte unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! an.
Es folgen weitere Veranstaltungen im November und Dezember 2015 sowie im Januar 2016.


Abbildungsnachweis: Headerfoto: Isabel Mahns-Techau. Alle weiteren Fotos: Steven Haberland
Header: Opernintendant Georges Delnon (mitte), KulturPort.De-Chefredakteur Claus Friede (links), KulturPort.De-Autor Hans-Juergen Fink.
Galerie:
01. Opernintendant Georges Delnon (mitte), KulturPort.De-Chefredakteur Claus Friede (links), KulturPort.De-Autor Hans-Juergen Fink.
02. 44. kulturklubHH in der Hadley's Cafe Bar
03. Gäste beim 44. kulturklubHH
04. Georges Delnon im Gespräch mit Barbara Guggenheim (Jüdischer Salon)
05. u.a. Catarina Felixmüller (NDR 90,3), Hannah Wellner (Elbjazz), Kirsten Lindemann Hamburg Tourismus, Kultur), Lea Hapig (Thalia Theater) Mathias von Marcard (Marcard Pro Arte).
06. Bilaterale Gespräche nach der moderierten Diskussion
07. Tina Heine (Hamburg Jazz) im Gespräch mit Schauspieler Stephan Schad
08. v.l.n.r. Michael Seufert (ehem. Stern), Wilfried Mayer (Aufsichtsrat Staatsoper), Barbara Guggenheim (Jüdischer salon, Künster Stegfan Pertschi, Georges Delnon.
09.44. kulturklubHH: Neustart mit Opernintendant Georges Delnon unter dem Dach von Kultur-Port.De.

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