Gezeichnete Engel auf Berliner Dächern: „Der Himmel über Berlin“ als Graphic Novel
- Geschrieben von Mirjam Kappes -
Wim Wenders Filmklassiker „Der Himmel über Berlin“ gilt als Meisterwerk des deutschen Kinos. Die nun erschienene Graphic-Novel-Adaption versucht sich an der grafischen Neuinterpretation des preisgekrönten Films und re-inszeniert die poetische Erzählung im Berlin von heute.
Ein ikonisches Bild der deutschen Filmgeschichte: Die gebeugte Gestalt auf der Dachkante, im dunklen Mantel mit hell-transparenten Engelsflügeln, die ihren melancholischen Blick über das Treiben der Stadt schweifen lässt, nur sichtbar für wenige auserwählte Menschen, deren Blick sich nach oben verirrt. So inszenierte Wim Wenders 1987 den „Himmel über Berlin“, seine prominente Filmerzählung über die beiden Engel Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander), die ziellos durch die geteilte Metropole wandern, die Menschheit beobachten und vereinzelt tröstend eingreifen – bis sich Damiel in eine Sterbliche verliebt. Mit „Der Himmel über Berlin“, Wim Wenders’ ersten Film nach seinem achtjährigen USA-Aufenthalt, schaffte der Regisseur ein Vorzeigewerk der deutschen Filmkunst, das international vielfach ausgezeichnet wurde und zahlreiche Adaptionen inspiriert hat: u.a. wurde die Geschichte 1998 als „Stadt der Engel“ mit Nicolas Cage und Meg Ryan neu verfilmt.
Auf der Grundlage von Film und Drehbuch ist jetzt eine weitere Erzählversion von „Der Himmel über Berlin“ entstanden: der gleichnamige Graphic Novel von Sebastiano und Lorenzo Toma, der die poesievolle Sprache und monochrome Bildwelt des Films in neuer Form erprobt. Dabei will die bildlich-zeichnerische Neuinterpretation des Kinoklassikers aber keine bloße Übersetzung der Filmvorlage in comicähnliches Design, sondern versucht eine Aktualisierung des Erzählstoffs in das Berlin von heute. Dazu haben die beiden Autoren die kennzeichnenden Schauplätze des Films aufgesucht und so grafisch aufgegriffen, wie sie zurzeit aussehen: anstelle der brachliegenden Fläche nun die Geschäftigkeit des Potsdamer Platzes, anstatt der Berliner Mauer nun die „East Side Gallery“. Zu sehen ist das Holocaustdenkmal und die „Molecule Men“-Skulpturen, von den Plattenbauten blinken die Satellitenschüsseln. Bezahlt wird nicht mehr in Mark, sondern Euro, und statt Schallplatten zeigt der Comicroman jetzt geschäftige Laptopnutzer, die sich YouTube-Videos ansehen.
Außerdem anders: „Der Himmel über Berlin“ basiert in seiner gezeichneten Variante auf Szenen, die von heutigen Schauspielern und Künstlern nachgestellt wurden. Das bedeutet, dass man das vertraute Originalbesetzung des Films in der Graphic-Novel-Adaption vergeblich suchen wird; Gesicht und Gestalt der dargestellten Protagonisten sind den aktualisierten Rollenzuschreibungen des jetzt neu ausgewählten Ensembles nachempfunden. Dennoch bleibt „Der Himmel über Berlin“ im Kern der Originalgeschichte treu: Die Liebesbeziehung von Engel Damiel und Trapezkünstlerin Marion steht immer noch im Vordergrund der Handlung.
Die detailreiche Ausarbeitung der Zeichnungen und die vielseitige Gestaltung der Textelemente zeugen von einem sorgfältigen und überlegten Arbeitsprozess, den Sebastiano und Lorenzo Toma in die grafische Erarbeitung von „Der Himmel über Berlin“ gesteckt haben – Qualitätsmerkmale, durch die sich illustrierte Romane allgemeinhin als Adaptionen etablierter Stoffe auszeichnen. Dass die in Hamburg ansässigen Autoren beide einen Hintergrund in der Theater- und Filmproduktion haben, meint man der Szenendarstellung ebenfalls oft anzumerken.
Es stellt sich dennoch die Frage, wen die Graphic-Novel-Neuauflage von „Der Himmel über Berlin“ anspricht bzw. ansprechen kann. Der Zeitpunkt der Publikation ist mit Wim Wenders’ 70. Geburtstag mehr als glücklich gewählt, und auch mit der Beibehaltung von Originaltitel und -erzählung kann die gezeichnete Adaption auf den Bekanntheitsgrad des Films bauen. Ob sich nun alteingesessene Cineasten von der grafischen Neuinterpretation des Klassikers überzeugen lassen, mag fraglich sein; immerhin weicht der Graphic Novel dankenswert und stark vom ikonischen Filmmaterial ab. Konservative Literaturleser könnten sich an der im Vergleich zum Schrifttext doch eher plakativ daherkommenden Optik stören. Für Liebhaber des zunehmend populären Segments Graphic Novel ist die Adaption von „Der Himmel über Berlin“ sicherlich eine eigene, künstlerisch überaus ästhetische und lesenswerte Spielform des vertrauten Erzählstoffs.
Sebastiano und Lorenzo Toma: „Der Himmel über Berlin“
nach dem Film von Wim Wenders und dem Drehbuch von Wim Wenders, Peter Handke und Richard Reitinger.
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten, Verlagshaus Jacoby & Stuart,
1. Auflage 2015. ISBN 978-3-942787-57-4. € [D] 12,95 | € [A] 13,40.
Trailer zum Buch
Abbildungsnachweis:
Header und Galerie: Diverse Ausschnitte aus der Graphic Novel. (c) Verlagshaus Jacoby & Stuart
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