Fotografie
Idylle und Desaster – Ein Rundgang mit Bogomir Ecker

Zum ersten Mal zeigt der Düsseldorfer Künstler Bogomir Ecker seine Sammlung historischer Fotografien in Berlin: Idylle und Desaster.
Während eines Rundgangs durch die Ausstellung im Museum für Fotografie ließ er KulturPort.De an seiner mitreißenden Faszination für das Sammeln teilhaben.

Sein Jagdinstinkt richtet sich seit Jahren vornehmlich auf idyllische und desaströse Aufnahmen, so der an der Hochschule für Bildende Künstler Braunschweig lehrende Künstler, der eigentlich für sein Skulpturenwerk bekannt ist. Einerseits interessieren ihn Landschaftsaufnahmen des 19. Jahrhunderts, andererseits klassische US-Amerikanische Presse- und Sensationsfotografien des 20. Jahrhunderts.
Ein wissenschaftlicher Zugang ist für Ecker nicht von Bedeutung. Nicht die Ordnung, sondern das Sammeln und die bildästhetische Wirkung interessieren ihn. Auch privat sei er außerordentlich „schlampig“. Er beschädigt die Fotos gelegentlich sogar selbst. Durch Knicke, Risse und Abnutzung würden alte Presseaufnahmen eindrucksvoller werden, so Ecker.

Möglicherweise lässt dies Rückschlüsse auf die unkonventionelle Anordnung der Fotos im Kaisersaal zu. Im Zentrum der Ausstellung befindet sich Bogomir Eckers monumentaler schwarzer „Stimmen-Turbulator (man ist nie allein)“. Der Künstler beschreibt seine bereits 2006 in Hamburg ausgestellte Skulptur als bildschluckende und bildspuckende „Zentrifuge“. Tatsächlich erstrecken sich die Bilder von ihr ausgehend, Partikeln ähnelnd, entlang mehrerer senkrechter Stellwände in den Saal hinein.

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Eine dieser „ausgespuckten“ Bildreihen besteht aus Kriminalfotografien bei deren Anblick Ecker zu schwärmen beginnt. Es sind Neuabzüge von Negativen die er aus Auflösungen US-Amerikanischer Pressearchive erstand. Auf einer dieser Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist eine unbekannte Sängerin von 1940 zu sehen. Professionell geschminkt vor dem Hintergrund eines Busches hebt sie theatralisch die Arme und reißt Augen und Mund weit auf. Ein dramatisches Licht-Schatten-Spiel evoziert auf diesen alten Bildern filmische Assoziationen. Ein anderes Bild zeigt einen grinsenden Massenmörder hinter Gitterdraht aus dem Jahr 1929. Ecker fesseln lediglich vor 1970 entstandene Fotografien. Dramatische Bildkompositionen und geschultes Talent seien charakteristisch für diese Zeit.

Wie mit dem Abzug einer Waffe ließen die Fotografen in sekundenschnelle unglaubliche Kompositionen und Schnappschüsse entstehen. Ein sich im Sprung aus einem zusammenstürzenden Haus befindlicher Dalmatiner und ein dramatisch über den Tresen einer Polizeistation gebeugter weinender Mann sind das Resultat.

Eine Nahaufnahme zeigt zwei junge Männer, einen hinter dem Lenkrad, den anderen verdreht, die Beine unterm Armaturenbrett mit blutigem Kopf auf dem Beifahrersitz liegend. Bei genauerer Betrachtung ist ein unvergleichbarer Zugriff der Fotografen auf Opfer, Täter und Unfallorte feststellbar. Bogomir Eckers Bilder sind hart und echt dabei jedoch keinesfalls voyeuristisch. Bluttriefende Massaker bleiben aus. Er bevorzugt ethischen Pressejournalismus und eine „gewisse Evidenz der Bilder durch Abstraktion“.

Er schätzt lediglich Aufnahmen unbekannter Menschen von unbekannten Fotografen. Berühmte Bilder, wie der Tod John F. Kennedys und Aufnahmen von „9/11“ seien „Social Images“ und aus diesem Grund bloße Transmitter geläufiger Informationen. Seine Bilder besäßen eine andere Energie. Sie ließen eine vorbehaltlose und detaillierte Betrachtung des Zuschauers zu.

Idylle und Desaster erscheinen häufig in den Bildern vereint. Eine Schwarz-Weiß Aufnahme zeigt ein Flugzeug umgeben von hellen Lichtfäden. Die Einstellung wirkt heiter und abstrakt. Erst die Unterschrift kennzeichnet die Darstellung als einen der Luftangriffe auf Hamburg im Jahr 1943. Umgekehrt erschrecken ungewöhnliche Aufnahmen wie eine auf Stühle heruntergefallene Decke erst, sobald genaue Prüfungen im letzten Winkel eine Leiche preisgeben.

„Der Schrecken übt eine große Faszination auf Menschen aus“, sagt Bogomir Ecker. „Allerdings erwecken atemberaubende Landschaftsaufnahmen ebenfalls Emotionen. Idyllische Aufnahmen besitzen dennoch eine kürzere Wirkung. Darüber hinaus findet man in den größten Katastrophen unglaubliche Momente der Idylle. Diese sind eine Grundkonstruktion unseres Lebens welche selten Beachtung findet“.
Die Technik eint die Wunder des Fortschritts und seine desaströsen Folgen seit jeher. Skurrile Aufnahmen riesiger Abhörrohre aus der Sowjetzeit, an fliegenden Ballons hängende Männer, altertümliche Röntgengeräte, ungewöhnliche Vehikel und Laboraufnahmen sind ebenfalls in der Ausstellung vertreten. Viele dieser technischen Aufnahmen weisen Ähnlichkeit zu Bogomir Ecker’s Skulpturen auf. Eine zeigt ein Antennenmesssystem welches dem Stimmen-Turbolator gleicht. Das Archiv dient Ecker offenkundig als Inspiration für seine eigene künstlerische Arbeit.

Die vielen Landschaftsaufnahmen, besonders Studien von Wasserfällen oder großformatige Abzüge riesiger Bäume auf Sri Lanka, lösen ebenfalls eine Faszination aus. Darüber hinaus existiert sogar eine fotografische Analogie zu Caspar David Friedrichs berühmtem Bild „Das Eismeer“ („Gescheiterte Hoffnung“), das in der Hamburger Kunsthalle hängt. Neben den lebensnah fixierten Unfällen und Naturkatastrophen verblassen diese Eindrücke jedoch ebenso schnell wie Bogomir Ecker es oben prophezeit. Am Ende sind es diese ungewöhnlichen und brillant komponierten Schnappschüsse aus den US-Amerikanischen Pressearchiven die es in einer von Bildern überfluteten Gesellschaft noch vermögen, dem Besucher den Atem zu rauben oder ihm wenigstens ein Schmunzeln entlocken.

Überwiegt eines der beiden Themen Idylle oder Desaster?

3:06min

Mit der Absorbierung der Lautstärke hat es nichts zu tun?

0:54min

Das sind schon harte Fotos...

0:46min


„Idylle und Desaster“
im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, in 10623 Berlin
Die Ausstellung der Kunstbibliothek in Kooperation mit dem Museum für Photografie, Braunschweig und der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, gefördert von der Kunststiftung NRW
ist noch bis zum 17.3.2013 zu sehen.
Öffnungszeiten der Ausstellung: Di - So 10-18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr

Vom 25. Januar bis 14. April ist die Ausstellung Teil 2 im Museum für Photographie in Branschweig zu sehen. Hamburger Straße 267, 38114 Braunschweig
Öungszeiten der Ausstellung: Di - So 10-18 Uhr, Do 10 - 20 Uhr

Katalog
Ludger Derenthal und Florian Ebner (Hg.) Idylle + Desaster. Die Fotosammlung Bogomir Ecker. Mit Beiträgen der Herausgeber, von Hubertus von Amelunxen, Oswald Egger und Sibylle Lewitscharoff und einem Gespräch von Annette Philp mit Bogomir Ecker.
ISBN 978-3-940064-61-5


Fotonachweis: Alle © Bogomir Ecker
Header: Detail aus W.: The Grand Causeway, Staffa, um 1880, Albuminpapier
Galerie:
01. Bogomir Ecker: Stimmen-Turbolator (man ist nie allein), 2006-2012 © VG Bild-Kunst, Bonn 2012. Foto: Helge Mundt
02. Fotograf unbekannt: Sängerin, um 1940, Silbergelatinepapier, Neuabzug
03. International Newsreel: Richard Reese Whittemore, alleged master criminal and murder, as he appeared in his cell at Erie County Jail with broad smile on his face, Erie, Pennsylvania, 1926, Silbergelatinepapier
04. Fotograf unbekannt: Hamburg Thunderbolt Raid on Feb. 1.43 a Lancaster against the 4'000 lbs Bomb Burst's, 1943, Silbergelatinepapier
05. Fotograf unbekannt, Detective Art Madzinski inspects Yellow Cab found burned at Hoyne-Ogden aves. Driver fled, 1937
06. Fotograf unbekannt: Engineers at Bunker-Ramo Corp. use this echo-free chamber to test a missile´s antenna system in an outer space environment, 1965, Silbergelatinepapier
07. Bob Kotalik: Icy fire scene at 22nd and Jefferson, Chicago, 1965, Silbergelatinepapier
08. Fotograf unbekannt: Nikkō, Kirifuri-Wasserfall, um 1890, Albuminpapier
09. Fotograf unbekannt: Darryl F. Zanuck, 1946, Silbergelatinepapier
10. Expedition Edward F. Glenn: Alaska, 1898, Cyanotypie
11. Fotograf unbekannt: "One of the most inquisitive of all curious cats is Stormy Dawn", 1952, Silbergelatinepapier

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