Fotografie

Apokalyptisch anmutenden Landschaften, unwirtlich, beängstigend und betörend schön. Der isländische Fotograf Ragnar Axelsson (65) dokumentiert seit mehr als 40 Jahren den dramatischen Klimawandel in der Arktis, in Nordkanada und Grönland, auf Island und den Faroer Inseln, in Nordskandinavien und Sibirien.

Seine grandiosen Aufnahmen sind seit einem Monat im PHOXXI, Deichtorhallen Hamburg, zu sehen: „Where the World is Melting“.

 

Die Faszination für Landschaften und Lebensräume am Rande der bewohnbaren Welt begleitet Ragnar Axelsson seit seiner Kindheit. Mit sieben Jahren überflog er zum ersten Mal einen Gletscher in seiner isländischen Heimat, unterhalb des Vulkans Öraefajökull, ein Jahr später machte er mit der geliehenen Leica seines Vaters die ersten Aufnahmen, lernte immer mehr über seine eisige Heimat, über Gletscher und Geologie, aber auch über Flora und Fauna. „Gelegentlich ritt ich auf meinem ungesattelten Schimmel vollkommen allein durch einen reißenden Gletscherstrom… wir hatten Probleme hinüberzukommen“, erinnert er sich. „Das war das Leben!“

 

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Mit 17 Jahren machte Axelsson seinen Flugschein und lernte die arktische Welt von oben kennen. Der ungewohnte Blick schulte sein Auge für die Ästhetik der Oberflächenstruktur. Die ab Ende der 1980er Jahre entstandenen Fotos aus der Vogelperspektive gleichen informellen Gemälden: Ein schwarzes, filigranes, krakeliges Linien-Geflecht auf weißem Grund. In Wirklichkeit sind es Furchen und Rinnsale voller schwarzer Schmutzpartikel, Asche und Lava der Vulkanausbrüche, die erst dann zum Vorschein kommen, wenn Eis und Schnee schmelzen.

Als der junge Foto-Journalist 1987 das erste Mal Grönland bereiste, dachte er jedoch noch nicht an die unaufhörliche Erderwärmung und ihre katastrophalen Folgen. Das Leben im Eis war für ihn ein großes Abenteuer. Er wollte seine Helden, die Inuit, fotografieren. Die Menschen, die seit Urzeiten Temperaturen von bis zu 40 Grad Minus trotzen. Er begleitete die Jäger bei der Robben- und Eisbärjagd, freundete sich mit ihnen an, hörte, was sie zu erzählen hatten, teilte ihren täglichen Überlebenskampf. Eine Erfahrung, die ihn so magisch in den Bann zog, dass er sie immer und immer wieder suchte.

 

Doch eines Tages hörte er, wie ein alter Jäger in Thule sagte: „Irgendetwas stimmt nicht, dem großen Eis geht es schlecht“. Damals, so Ragnar Axelsson, habe er begonnen „die Dinge anders wahrzunehmen“ und seine Fotografie als Auftrag zu begreifen. Seine unerhört eindringlichen, ausschließlich schwarz-weißen Aufnahmen in extremen Anschnitten und Perspektiven spiegeln diese Mission: Oft schiebt sich ein Kopf, ein Gesicht, eine Halbfigur - egal, ob jetzt Mensch, Hund oder Eisbär - seitlich in den Vordergrund, während im Hintergrund die unendliche Weite des Eismeeres oder gigantische Gletscher ihre magische Kraft entfalten. So fremd und surreal muten diese Bilder an, dass man unwillkürlich an Science-Fiction-Filme denken muss, an verwüstete Planeten und Galaxien. In jedem Fall aber besitzen sie eine Eindringlichkeit, der man sich nicht entziehen kann.

 

DTH Ragnar Axelsson 01

Arctic Hunter on the Sea Ice, Ingelfieldfjord, Greenland, 2019. © Ragnar Axelsson

 

„Nie war es wichtiger als jetzt, das Leben der Menschen und die Veränderungen, die sie in der Arktis durchmachen, in Worten und Bildern zu dokumentieren“, so Ragnar Axelsson. Seine erste große Retrospektive und das begleitende, sehr zu empfehlende Fotobuch tragen nicht ohne Grund einen Titel, der die Alarmglocken schrillen lässt: „Wo die Welt am Schmelzen ist“. Der engagierte Fotograf und Journalist ist sich sicher, dass in ein- bis zweihundert Jahren die gewaltigen Gletscher und das Eismeer verschwunden sind. Und mit ihm der Lebensraum von Mensch und Tier. „Die Kultur der arktischen Bevölkerung ist dem Untergang geweiht“, sagt Ragnar Axelsson, „die zerstörerischen Kräfte von Wirtschaft und Klimawandel sind einfach zu groß“. Seine Bilder sind der wunderschöne und zugleich tieftraurige Abgesang auf diese Kultur.


Ragnar Axelsson „Where the Word is Melting“

Zu sehen bis 18. Juni 2023, im PHOXXI, Haus der Photographie temporär, Deichtorstrasse 1-2, in 20095 Hamburg.

Weitere Informationen (Homepage Deichtorhallen)

 

Künstlergespräch: Ragnar Axelsson

Gespräch Mi, 24. Mai - 18.30 Uhr

Der isländische Fotograf Ragnar Axelsson diskutiert mit der Meeresbiologin Prof. Dr. Antje Boetius über die drastischen Folgen des Klimawandels für die arktischen Gebiete der Erde und die Rolle der Fotografie. Ragnar Axelsson und Antje Boetius kennen sich schon seit vielen Jahren und haben mehrfach gemeinsame Expeditionen in die Arktis unternommen.

 

Es ist eine Publikation im Kehrer-Verlag erschienen. Weitere Informationen (Kehrer-Verlag)

 

YouTube-Videos:

- RAGNAR AXELSSON – WHERE THE WORLD IS MELTING (4:35 Min.)

- RAGNAR AXELSSON – WHERE THE WORLD IS MELTING (Teaser, 0:45 Min.)

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