Fotokunst aus Finnland kann man in diesen Tagen in der Kunsthalle St. Annen bewundern. Insgesamt zwölf Fotokünstler stellen ihre Arbeiten vor, kuratiert von Timothy Persons, ihrem Lehrer an der Aalto Universität in Finnland.
Es scheint, dass in der nächsten Zeit der Norden Europas, besonders aber Finnland eine etwas größere Rolle im Lübecker Museumsgeschehen spielen wird – nordisches Design soll noch in diesem Jahr vorgestellt werden, und für den 2. April ist ein Kurzfilmabend geplant.
Und schon jetzt sind Fotoarbeiten der Helsinki School zu sehen, die auf gute fünfundzwanzig Jahre zurückblicken kann und bereits die 6. Anthologie vorlegt, in der 27 Künstler mit ihren Arbeiten vorgestellt werden. Über ihr Gemeinsames sagt der Herausgeber im Vorwort, dass die Künstler ihre Gefühle über den Zustand der Welt ausdrücken wollen: „to express their feelings of the state of the world“. Dieser Zugang darf (oder soll sogar?) durchaus wissenschaftlich sein. Das gilt sowohl für den Umgang mit den Fotos als auch für die Erforschung der Natur.
Die Lübecker Ausstellung entspricht nicht dem Inhalt der Anthologie, obwohl Kurator und Herausgeber dieselbe Person sind. Timothy Persons, sonst noch Galerist in Berlin, ist nicht nur Professor, sondern versteht sich als derjenige, der seinen Studenten den Weg in die Öffentlichkeit zeigen und damit den Start ins Berufsleben erleichtern möchte. Die in Lübeck ausstellenden Künstler haben diese Phase bereits erfolgreich durchschritten.
In der Ausstellung werden die Fotos mit Bildern sehr verschiedener Art aus dem Bestand des St. Annen-Museum kombiniert, die von Antje-Britt Mählmann als der Leiterin der Kunsthalle ausgewählt wurden. Allerdings, wenn man davon absieht, dass es sich bei diesen Künstlern auch um Skandinavier handelt, ist die Verbindung zu den Fotos nicht leicht zu sehen.
Es ist gut begründet, dass die beteiligten Künstler nicht als Fotografen, sondern als Fotokünstler angesprochen werden wollen, denn das Entscheidende an allen Arbeiten ist die Entwicklung, ist das, was im Nachhinein (also zumeist am Computer) aus dem Fotomaterial gemacht wird. Zunächst wird inszeniert, dann fotografiert, schließlich bearbeitet.
Das allen Beteiligten gemeinsame Thema ist die Natur und unser Verhältnis zu ihr. Das Material bilden meistens Landschaftsbilder, manchmal Makroaufnahmen aus dem brasilianischen Urwald, sehr häufig auch (Selbst-)Inszenierungen in der freien Natur – also die Künstlerin unbekleidet am Strand oder auf einem Bein stehend, zum Beispiel. (Auf einem Bein zu stehen soll die Kreativität wecken oder vielleicht auch nur stärken – das müsste man mal ausprobieren, am besten, wenn keiner guckt.) Auch wird am Beispiel Grönlands gezeigt, wie sich eine Landschaft unter dem Klimawandel verändert. Oder der Finne Jorma Puranen zeigt mit großen farbigen Landschaftsfotos den Norden – aber es sind, obwohl die Landschaften durchaus als Landschaften erkannt werden können, keine realistischen, sondern stark verfremdete Abbildungen. Diese Bilder sind wie nicht wenige andere als „schön« zu bezeichnen; als ästhetisch gelungen und dekorativ mit kräftigen Farben (ein nächtliches Blau dominiert) und so verzeichnet, als schaue man durch eine dünne Wasserschicht in die Welt hinaus.
Originell ist der Ansatz des Künstlers Ilkka Hasso, der am Computer fiktive Landschaften aus realen Fotografien entstehen lässt, Landschaften, die als riesige Treibhäuser konzipiert werden (ein in Finnland sehr bekannter Fluss wird so dargestellt) oder von merkwürdigen, achterbahnähnlichen Textilfahnen begleitet werden. So erscheint alles als künstlich – man könnte sich diese Gegenden als Teil eines Science fiction-Films vorstellen.
Auch Anflüge an Journalistisches finden sich, zum Beispiel, wenn Tilna Itkonen den Klimawandel in einem im nördlichen Grönland gelegenen Dorf der Inuit dokumentiert – immerhin seit 1995, so dass die Fotokünstlerin erhebliche Veränderungen nicht allein klimatischer Art konstatieren musste. Diese Arbeiten sind sehr nüchtern und poetisch allenfalls auf Grund ihrer Motive.
Von Jaakko Kahilaniemi sagt der Katalog, dass seine Werkgruppe »100 Hectares of Understanding« den Wald als eine Art Buch der Natur liest: „Der Wald ist seine Sprache und die Objekte darin sind sein Vokabular.« Wie manches andere auch, so sind diese Beschreibungen ein schönes Beispiel für eine leicht bis mittelschwer verquaste Katalogprosa: »Die immateriellen Visualisierungen helfen ihm, seine eigene Bedeutung im neuen Terrain zu finden und Unbekanntes in Vertrautes zu verwandeln." Ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich solche Sätze verstehe.
Sehr gut gelingt die Inszenierung eines unwirklichen Geschehens Riita Päiväläinen. In eigentlich allen Arbeiten ihrer Serie „River Notes“ arbeitet sie mit Textilien und Stoffbändern, die sie mal hier, mal dort über einen Baum oder einen Busch geworfen hat. Das Ergebnis ist gelegentlich eine mystische Atmosphäre. Ihr schönstes Foto in dieser Ausstellung erinnert an einen Altweibersommer – man denkt, wenn man die silbrig glitzernden, über einen schmalen Fluss gespannten Stoffbahnen sieht, ganz unwillkürlich an Riesenspinnen, die harmlosen Wasserwanderern auflauern, die sich in ihren Netzen verfangen haben.
Die Schwarzweiß-Fotos von Ulla Jokisalo könnten von den surrealistischen Fotos von Man Ray beeinflusst worden sein, wogegen die Bilder von Susana Majuri manchen an die Elfendarstellungen in den Tolkien-Verfilmungen erinnern werden. Allerdings, im Katalog werden als Anregung die Videos von Björk angegeben.
Die vielleicht prominenteste der in Lübeck vertretenen Fotokünstlerinnen ist Elina Brotherus, die sich nicht nur gelegentlich selbst als Modell nimmt. Und sehr gern lässt sie sich von den Werken anderer Künstler anregen. Der „Der Wanderer 2" zum Beispiel – man darf auf ihren Rücken schauen – bezieht sich zweifellos auf eines der berühmtesten Bilder von Caspar David Friedrich, auf den „Wanderer über dem Nebelmeer". Das Bild verstehe ich, aber auch hier habe ich meine Probleme mit den Texten des Kataloges – ob auf Deutsch oder Englisch. Es geht der Künstlerin, lese ich, „um das Verstehen der schriftlichen Protokolle, der sogenannten Event Scores.“ Was ist mit den „Event Scores“ gemeint? Soll man darunter den erzählerischen Kern eines Fotos oder eines berühmten Bildes verstehen? Eigentlich handelt es sich doch nur um die leicht ironisch eingefärbte Aufnahme und Weiterverarbeitung eines berühmten Motivs.
Frischer Wind aus dem Norden – Naturmotive in der Helsinki School
Werke der Künstler*innen: Elina Brotherus, Joakim Eskildsen, Ilkka Halso, Tiina Itkonen, Jaakko Kahilianiemi, Sanna Kannisto, Anni Leppälä, Susanna Majuri, Riitta Päiväläinen, Jorma Puranen, Mikko Rikala und Santeri Tuori.Zu sehen bis 26. April 2020 in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11 – 17 Uhr (im Sommer: 10 – 17 Uhr)
Weitere Informationen
Bei Hantje Cantz erschienen ist „The Helsinki School. The Nature of Being, Vol. 6”. Das Buch mit seinen mehr als 250 Seiten und ungezählten Abbildungen hat einen englischen Text, aber mitgeliefert wird auch eine Übersetzung ins Deutsche in einer inliegenden Broschüre.
Abbildungsnachweis:
Header: Elina Brotherus: „Der Wanderer 2", 2004
1. Tiina Itkonen: „Home 5 – Kuummiut“, 2016
2. Susanna Majuri: “Elskar Fyr”, 2006
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