Fotografie
Wilde Zeiten – Fotografien von Günter Zint im Stadtmuseum Norderstedt

Lang, lang ist’s her, als die Beatles und Jimi Hendrix im Hamburger Star-Club rockten, die Studentenunruhen in Berlin und die Anti-Atomkraft-Demos in Brokdorf, Wackersdorf oder Gorleben die Republik erschütterten, der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung bejubelt wurden. Mitten drin im Geschehen, der Fotograf Günter Zint.
In Zusammenarbeit mit der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Bonn) zeigt jetzt das Stadtmuseum Norderstedt bis zum 25. Februar 2018 eine beeindruckende Foto-Ausstellung über die Ereignisse der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Günter Zint, in Fulda geboren, startet Ende der 50er-Jahre seine Karriere als Redakteur und Fotojournalist bei der Deutschen Presse Agentur. Seine Fotoreportagen für „Der Spiegel“, „Quick“, „konkret“ und „Twen“, machen ihn bekannt. Seit Mitte der Sechzigerjahre lebt er in Hamburg, taucht ein in die alternative Szene und wird er zu einem wichtigen Chronisten der sogenannten wilden Sechziger- bis Achtzigerjahre in der Hansestadt und der jungen Republik. Ist es zunächst nur das Kiez-Leben, werden im Laufe der Jahre seine Bildthemen immer politischer, kritischer und provokanter. Denn, es brodelt in der jungen Republik. Zint dokumentiert den Zeitgeist dieser Jahre, das Aufbegehren einer jüngeren Generation gegen das Establishment. Nicht aus der Distanz, mit seiner analogen Schwarz-Weiß-Fotokamera ist er mittendrin im Getümmel. Drückt auf den Auslöser, fotografiert und fotografiert. „Ran ans Motiv“, ist sein Credo. „Ich sehe mich eher als Dokumentarist“, sagt Zint. „Ich will Realität zeigen, meine Bilder sind Gebrauchsfotografien“. Anfang der Achtzigerjahre gründet Zint die Pan-Foto-Agentur für alternative Pressefotos. 2011, inzwischen siebzig Jahre alt und etwas ruhiger geworden, zieht er mit seinem riesigen Fotoarchiv ins ländliche Behrste im Landkreis Stade.

Galerie - Bitte Bild klicken
Das Stadtmuseum Norderstedt zeigt in seiner aktuellen Ausstellung „Wilde Zeiten – Fotografien von Günter Zint“ mehr als sechzig seiner Schwarz-Weiß-Fotografien, die heute zu den Ikonen der Dokumentarfotografie zählen.

Zint, damals Stammgast im Star-Club auf St. Pauli, porträtiert die Beatles, Jimi Hendrix, Eric Burdon und The Who oder Frank Zappa und kreischende Teenies. Sein fotografischer Blick hält das multikulti Leben auf dem Kiez, die Punks und Rocker, die Damen vom horizontalen Gewerbe mit der Kamera fest. Und die neue Freiheit in den Kommunen und Wohngemeinschaften. Statt prüder Sexualmoral ist nun – Dank der Pille – die freie Liebe angesagt. „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", heißt es bei den jungen Leuten damals.

Mitte der 60er-Jahre fotografiert Zint die Protestbewegungen der Studenten in Berlin und anderen Universitätsstädten. „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren!" Mit diesem Slogan demonstriert die jüngere Generation gegen die verkrusteten Strukturen an den Universitäten der Adenauer-Ära im Nachkriegs-Deutschland. Ihre öffentlichen Protestmärsche und Blockaden richteten sich gegen das verstaubte Hochschulwesen und die große Koalition, die fehlende Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, den Vietnamkrieg der USA. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, der Galionsfigur der deutschen Studentenbewegung, eskaliert der Streit im April 1968 zu einer Studentenrevolte. Mitten drin Günter Zint, der die Wasserwerfer gegen die Demonstranten vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin und die umgestürzten Auslieferungswagen der verhassten Springerpresse fotografiert.
In den Siebzigern und frühen Achtzigerjahren eskalieren die Proteste zwischen der Polizei und den Anti-Atomkraft-Gegnern in Brokdorf, Wackersdorf oder Gorleben. Militante Gruppen unterwandern die friedlichen Demonstranten, sodass bürgerkriegsähnliche Konflikte mit der staatlichen Ordnungsmacht entstehen. Zint wird Augenzeuge von prügelnden Polizisten, von Steine werfenden Demonstranten, Panzerwagen und Wasserwerfern. Motive wie das windschiefe Kreuz mit der Aufschrift „Träume" am Stacheldrahtzaun von Gorleben oder von Demonstranten unter lärmend kreisenden Hubschraubern auf dem Deich bei Brokdorf prägen sich dem Betrachter ein.

Neben den vielen politisch motivierten Bilddokumenten finden sich auch private Momente des Fotografen Zint, wie die junge Nina Hagen auf einem Bauernhof in Hemmoor, 1980. Seinen Freund Günter Wallraff, mit dem er beruflich zusammenarbeitet und dessen Bücher „Der Aufmacher” und „Ganz unten” er illustriert, fotografiert er als türkischen Gastarbeiter Ali zusammen mit Franz-Josef Strauß. Sein jüngstes Bild zeigt seinen engen Freund Ernst Bader, der Songtexte für Freddy Quinn, Catharina Valente und andere geschrieben hat, und bis 1999 im Norderstedter Seniorenheim Scheel lebte. Gemeinsam feiern sie dort mit drei älteren alten Damen Karneval, erzählt Zint.

Nach dem etwas nostalgischen Rundgang durch die Fotoausstellung, fragt sich der heutige Betrachter: Was ist aus den Revoluzzern, den Wutbürgern von einst geworden? Hat jede Generation ihre eigenen wilden Jahre?

Die Ausstellung „Wilde Zeiten – Fotografien von Günter Zint“ läuft bis zum 25. Februar 2018

Norderstedter Stadtmuseum, Friedrichsgaber Weg 290, 22846 Norderstedt.

Die Öffnungszeiten sind mittwochs bis sonnabends von 15 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr.
Am 17. November 2017 um 19 Uhr führt Günter Zint durch die Ausstellung und erzählt Geschichten und Hintergründe zu seinen Fotos.
Ein Katalog ist erschienen.
Weitere Informationen: www.stadtmuseum.norderstedt.de


Abbildungsnachweis: © Günter Zint
Header: Weinender Demonstrant, Berlin 1968. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Galerie:
01. The Beatles (Starr, McCartney, Harrison, Lennon); anlässlich der BRAVO-Blitztournee im Juni 1966 in der Ernst Merck Halle, Hamburg
02. Jimi Hendrix bei der Vorstellung seiner neuen Schallplatte „Hey Joe", Hamburg, 1967
03. „Der Junge der an der Mauer wohnt". Günter Zint beobachtete eine Woche lang Olaf Pöschel, dessen Familie durch die Mauer getrennt wurde, Berlin, Bernauer Straße, 1964
04. Kreuz im Wasserwerfer-Strahl Ostern 1968 auf dem Berliner Kudamm nach dem Dutschke Attentat.
05. Hubschraubereinsatz gegen Demonstranten in Brokdorf, 1981. Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten gegen den Bau des Atomreaktors. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
06. Marianne Fritzen, die ehemalige Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, bei einer Demonstration gegen den Bohrbeginn für das geplante Atommüll-Endlager in Gorleben, 1979. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
07. Junge Landwirte kämpfen um Bäume die für das Endlager gefällt werden sollen, Gorleben, 1979
08. Strauß & Wallraff. Günther Wallraff gibt sich als „Grauer Wolf" aus der Türkei aus und bekommt dafür eine Widmung in eine Strauß-Biographie. Nibelungenhalle Passau, 1984
09. Friseurladen auf St. Pauli, 1964. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
10. Marianne aus Dieters Puff in St. Pauli, 1979. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
11. Stimmung nach dem sonntäglichen Fischmarkt in Hamburg, 1975
12. Putzfrau Berta kam um das Studio zu säubern. Als sie das Modell sah fragte sie: „Ich hatte auch mal so schöne Haut, darf ich dich mal anfassen?" Sie durfte und war glücklich. (Schnappschuss).

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment