Film
INSIDE LLEWYN DAVIS

Lakonisch-liebevoll erzählen die Coen-Brüder von der glücklosen Odyssee eines jungen Folk-Sängers im New York der frühen Sechziger.
Ein betörend schöner Film voller Melancholie, Komik und wehmütiger Musik. Grandios: Oscar Isaak als talentierter wie mürrischer Troubadour.

Nach seinen Gigs im Gaslight Café nächtigt Llewyn Davis auf der Couch bei Freunden, alle paar Tage woanders. Ihm fehlt das Geld selbst für die billigste Unterkunft oder einen Mantel. (Vielleicht will er auch keinen?) So stapft er denn frierend mit seiner Gitarre auf dem Rücken durchs eisige winterliche New York. Er ist ein klassischer Antiheld in der Tradition von “A Serious Man” (2009) oder “The Man, Who Wasn’t There” (2001).  Joel und Ethan Coen bewähren sich wieder als zuverlässige Komplizen ihrer Außenseiterprotagonisten. Sie, die im Showbusiness immer Erfolgreichen zuletzt mit dem Spätwestern “True Grit”(2010), verstehen wie kein anderer die Psyche der Verlierer, die Mechanismen des Scheiterns. Doch dieses Mal ist mehr Gefühl mit im Spiel wenn auch nicht weniger Ironie. Im Gegenteil.
 
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Der Part des Llewyn Davis bedeutet für den in Guatemala geborenen und in Miami aufgewachsenen Oscar Isaak der große Durchbruch, er hatte bisher nur Nebenrollen wie in “Drive” oder “Das Bourne Vermächtnis”. Schon nach dem ersten Auftritt im verrauchten Kellerclub kann der Zuschauer dem rebellischen Protagonisten nicht länger seine Sympathie verweigern, obwohl der alles daran setzt Mitmenschen, grade die engsten Freunde, zu verprellen. Seine Songs sind herzzerreißend (“Hang me, oh hang me, until I am dead and gone”), aber der introvertierte Musiker selber gibt sich schroff, fast rüde, manchmal, vielleicht ungewollt, überheblich gehässig.
 
Sein schwarzer Humor kann zutiefst verletzen. Und dafür bezieht er auch am Anfang wie am Ende des Films Prügel. Auf eine ganz eigene, verhaltene Art scheint dieser Antiheld immer zornig, verzweifelt. Verständlich. Früher sang er zusammen mit seinem Freund im Duo. Mike beging Selbstmord, stürzte sich von der George Washington Bridge. Jetzt versucht Llewyn den Durchbruch als Solist. Ohne Erfolg. Seine Single “Inside Llewyn Davis” kauft keiner. Die Erinnerung an vermeintlich bessere Zeit verblasst nie und der gemeinsame Song: “If I had wings like Noah`s dove, I’d fly the river to the one I love. Fare thee well, my honey, fare thee  well” wird zum nostalgischen Refrain des Films.
 
Privat ist sein Leben ein völliges Chaos. Er hat die bezaubernde Jean (Carey Mulligan), Frau seines Kollegen und besten Freundes Jim (Justin Timberlake) geschwängert. Jeans Zorn kennt keine Grenzen. Die auf der Bühne so sanfte Sängerin zetert, giftet ohne Unterlass: “Alles, was Du anfasst, wird Scheiße, als wärst du der idiotische Bruder von King Midas” und empfiehlt ihm höhere Sicherheitsstandards für seine Kondome. Der Schuldige verspricht das Geld für die Abtreibung aufzutreiben, das heißt, er versucht wenig später den gehörnten Ehemann anzupumpen, natürlich ohne zu erwähnen um welche seiner Eskapaden es sich handelt. Was Llewyn viel mehr beunruhigt: der abenteuerlustige Kater eines befreundeten Universitätsprofessors, der ihm durch eigene Schusseligkeit immer wieder entwischt. Das listige Tier wird zum unfreiwilligen Begleiter des Folk-Sängers und Sinnbild der glücklosen Irrfahrt. Dass er Ulysses heißt, erfahren Protagonist und Zuschauer erst am Ende des Films. 
 
Wie schon in ihrer Hollywood-Parabel “Barton Fink”(1991) nehmen die Coens reale Orte, Epochen, Ereignisse oder Persönlichkeiten und machen sie zu ihren eigenen: Fakten sind lediglich Rohmaterial, die Bauelemente für Fantasie und Fiktion. Es geht um jene Zeit bevor Bob Dylan in New York auftauchte, das weniger beachtete Folk-Revival der späten Fünfziger Jahre.  Die episodenhafte subtile Tragikkomödie ist lose inspiriert von den Memoiren des Folk-Musikers Dave Ronk “The Major of MacDougal Street”, er galt als der wahre König der Szene und förderte viele Musiker, die später Weltruhm erlangten. Oscar Isaac, wie auch Carey Murray und Justin Timberlake singen ihre Songs live. Hier auf der Bühne des Gaslight Café überschneiden sich die verschiedenen Strömungen der Folk-Musik. Für die meisten seiner Kollegen hat Llewyn nur Verachtung.
 
Kameramann Bruno Delbonnel beweist, dass er die Tristesse der verwaschenen winterlichen Grautöne sogar noch besser beherrscht als die skurrile Buntheit wie in “Die fabelhafte Welt der Amélie”. Die beiden US-Regisseure hatten sich für Film, gegen Digital entschieden, sie brauchten ein leicht körniges Material um die Atmosphäre jener Zeit einzufangen. Enge düstre Hausflure, steile Treppen, dunkle, ungemütliche Wohnungen, einsame Autobahnkreuze, ein New York fern seines herkömmlichen glamourösen Leinwandimage mit Empire State Building oder Fifth Avenue.
 
Der Zuschauer glaubt die Kälte zu spüren, den eisigen Wind, wie der Schneematsch langsam in die Schuhe dringt. Llewyn hat nur dieses eine Paar. In den für die Coens typischen Establishing Shots am Anfang der Sequenzen verschwinden die Menschen fast. Es bleibt nur endlose Weite, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit, aber auch die Freiheit sich nicht anzupassen. Der erfolglose Künstler als Nonkonformist, jemand der sich und seinen Idealen treu bleibt. In einer Welt, wo oft allein der kommerzielle Erfolg zählt und das Prekariat sozial ausgegrenzt wird, stimmen nicht nur die Bilder der engen Straßen des Village mit den flachen, breiten Limousinen der Fünfziger wehmütig.
 
Llewyn träumt von Plattenverträgen oder wenigstens einem Auftritt im Club “Gate of Horn” und macht sich auf nach Washington zu einem Treffen mit dem berühmten Produzenten Bud Grossmann (F. Murray Abraham, reales Vorbild Robert Grossmann, Entdecker von Peter, Paul & Mary). Über einen Kollegen findet er eine Mitfahrgelegenheit und wieder zeigt sich, bei den Coen-Brüdern gibt es eigentlich keine Nebenrollen. Jeder Auftritt, jedes Intermezzo ist ein Meisterwerk in sich, komplex, skurril, hintergründig wie eine brillante amerikanische Short Story. Tragik wie Komik liegen im Detail. Am Steuer sitzt Johnny Five, ein schweigsamer Beat-Poet nach Kerouc-Manier, gespielt von Garrett Hedlund, der schon bei Walter Salles’ “On the Road” mit dabei war.
 
Im Fond des Wagens thront John Goodman als Roland Turner, ein extrem übergewichtiger Jazzmusiker, der an Doc Pomus erinnert und bei jeder Raststätte auf seinen Stöcken zur Toilette wankt, um sich den nächsten Schuss zu setzen. In seinen wenigen klaren Momenten ist er an Bösartigkeit nur schwer zu überbieten: “Ach Folk. Sagtest Du nicht, Du wärst Musiker?” Diese abschätzende Haltung war unter Jazzern und Blues-Sängern weit verbreitet. Für einen Freitod akzeptiert Turner nur die Brooklyn Bridge. Bei Bud Grossmann erwähnt Llewyn den Selbstmord des Freundes lieber erst gar nicht. Unvermeidlich, dass der Impressario ihm wärmstens empfiehlt, sich wieder mit seinem Partner zusammen zu tun, denn in seinem Solo sei “kein Geld drin”. Grotesk der krasse Gegensatz zwischen den gehässigen Dialogen und den poetisch gefühlvollen Texten der Songs.
 
Das Angebot für ein Trio schlägt der störrische Antiheld aus, Kompromisse sind für ihn indiskutabel. Er trotzt allen Einflüssen und dreht sich nur im Kreis. Genauso haben die Coen-Brüder auch die einwöchige Odyssee angelegt, Gegenstück zu der Mississippi-Odyssee “O Brother, Where Arn’ t Thou” (2000) einer exzentrischen Burleske mit George Clooney in der Hauptrolle. Bei der Entwicklung des Drehbuchs gingen sie vom ersten Bild aus, in der ein Folk-Sänger in einer kleinen dunklen Seitengasse zusammengeschlagen wird. “Wir schreiben nie, auch bei diesem Film nicht, eine Outline oder versuchen uns zu überlegen, was passieren oder in welche Richtung sich das Skript entwickeln wird, sagt Ethan Coen. “Wir schreiben einfach, die erste Szene nieder und sehen dann weiter, wohin uns das führt.”
 

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Originaltitel: Inside Llewyn Davis  
Regie/Drehbuch: Joel & Ethan Coen
Darsteller: Oscar Isaak, Carey Mulligan, John Goodman, Justin Timberlake, F. Murray Abraham  
USA 2013, 104 Min.
Verleih: STUDIOCANAL Filmverleih
Kinostart: 5. Dezember 2013

Fotos & Video: Copyright STUDIOCANAL

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