Ein Beitrag zum nicht ganz unkomplizierten Verhältnis von Film und Musik: Im großen Hörsaal des Völkerkundemuseums diskutierten zwei Komponisten, zwei Filmproduzenten (ein Männchen und ein Weibchen) sowie ein Alleskönner (im besten Sinne), nämlich Tom Tykwer, über ‚den Mehrwert von guter Filmmusik’.
Das Interesse an dieser Veranstaltung war so groß, dass die überraschten Veranstalter – die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und der Composers Club e.V. – hastig noch einige Namensschildchen zum An-die-Brust-Heften herstellten, um sorglose Nichtangemeldete, die den Andrang zum Event unterschätzt hatten, ehrlich zu machen. Schließlich saßen etwa zweihundert Zuhörer erwartungsvoll in der Arena.
John Groves, Musikproduzent und Vorsitzender des Composers Clubs, umriss in seiner Einleitung das Dilemma, um das es geht. Es scheint fast die Regel zu sein, dass beim der Herstellung eines Films ziemlich zum Schluss plötzlich der Gedanke aufkommt: Oh, wir brauchen ja auch noch Musik - um dann für diesen Punkt das Budget zu kürzen. Komponisten seien zudem meist ruhige, bescheidene Wesen, die im stillen Kämmerlein arbeiteten. Groves hielt gerade für sie die Devise ‚Tu Gutes und rede drüber’ für bedeutend sinnvoller. Er seinerseits wünschte sich die Musik an erster Stelle – wenigstens für diesen Abend.
Nach ihm sprach Tom Tykwer sein kleines Vorwort. Der Mann ist von Geburtsrecht Regisseur, Leiter, Kapitän. Er muss eingreifen, wo etwas nicht stimmt – so springt er auf, um den umgekippten Kragen von John Groves mal eben zurechtzuklappen und biegt später flink Lars Büchels Mikrophon, das sich nicht in Mundhöhe befindet, mit einem langen Arm in die perfekte Position.
Tykwer redete präzise, amüsant und leider so schnell, dass man’s gern gestoppt und noch mal gespielt hätte. Er beklagte, dass die eine Filmmusik häufig das mehr oder weniger eindeutige Imitat einer anderen sei, einfach, weil die woanders bereits funktioniert hat. Verantwortlich dafür sei die Angst der Macher (Regie und Produktion) vor der Masse, eine panische Unsicherheit über die erfolgreiche Vermarktung - der Gral allen Filmkönnens.
Bedauerlicherweise sind die Komponisten im Entwicklungsprozess oft überhaupt nicht dabei. An Stelle der endgültigen Melodien wird Temp-Music benutzt, die provisorische Vorstufe der geplanten Filmmusik. Daraus entstehe manchmal dann auch noch Temp-Love (das Publikum lacht zustimmend) nämlich der Fall, dass sich die Filmschaffenden im Lauf der Arbeit in die Temp-Music derart verlieben, dass sie mit der richtigen Komposition nichts mehr anfangen können. Meist dürfe der Musiker sowieso erst beim Feinschnitt des Films auftauchen. Jetzt soll er ein Meisterwerk liefern, ganz ähnlich, eigentlich sogar genau wie von Diesem und Jenem („Kriegst du das hin, ohne, dass es jemand merkt?“) Natürlich muss es exakt auf den Schnittrhythmus passen und zum Schluss wird ihm drohend hinterher gerufen: „Wir mischen in drei Wochen!“ – worauf der Ärmste zwanzig Tage und Nächte im Stück arbeitet…
Tom Tykwer forderte ein Ende der Praktik, sämtliche Filme und Serien mit diesem Stumpfsinn zu begießen und zu behaupten, es gehe um große Emotionen, er forderte die Abschaffung jeglicher Temp-Music und die rechtzeitige Einbindung des Komponisten, wobei mehr Zeit und mehr Geld einkalkuliert werden müsse!
In den rauschenden Applaus bemerkte er erstaunt, eigentlich habe er sich viel kürzer halten wollen als John Groves, das sei ihm wohl nicht ganz gelungen… Böse war ihm bestimmt keiner.
Die Komponisten Reichardt und Hinderthür gaben zu, von Filmmusik nicht leben zu können und deshalb auch andere, lukrativere Sachen zu machen. Dirk Reichardt meinte, er leiste sich eine Filmmusik pro Jahr, das sei es ihm wert. Hinderthür fügte hinzu, in diesem Geschäft verschwende man 80% der Kraft für Verhandlungen. Man sollte sich dabei vor Augen halten, dass diese beiden Männer als ungewöhnlich erfolgreich bezeichnet werden können und für besonders renommierte Filme komponiert haben.
Dann die Sequenz der Bankraube aus "Der Baader-Meinhof-Komplex", ohne Dialoge, nur mit der sehr kraftvollen, rhythmischen Untermalung von Peter Hinderthür, der hinterher erklärt, er habe das endlos Vorantreibende der Gruppe ausdrücken wollen, die nach vorn muss, ohne zu wissen, wo die Wand kommt. Und schließlich im Gegensatz dazu Hinderthürs eher zarte und weiche Musik zu einem Tatort vom letzten November.
Dazwischen wird weiter überlegt: Intensivere Kommunikation zwischen den Filmmachern und den Komponisten scheint nötig – aber ist sie überhaupt möglich? Sofern ein Regisseur keine Ahnung von Musik hat, meinte Tykwer, könne er eigentlich zum Komponisten nur sagen: „Nee, so nicht. Mach noch mal…“ Judy Tossell: „Wie heißt das doch? Über Musik sprechen ist wie Architektur tanzen…“
Und Lars Büchel bekannte, ihm fehlten da in der Tat manchmal die Worte. Ihm widersprach Dirk Reichardt, denn die beiden kennen sich seit Kindertagen und haben schon in vielen Filmen ausgezeichnet miteinander gearbeitet. Reichardt erklärte, dass sein Freund eigentlich gar nichts zu sagen brauche; er sähe es ihm an den Augenbrauen an, ob er zufrieden sei oder nicht.
Doch, gab er dann zu, sie hätten auch anstrengende Prozesse miteinander gehabt, Monate, bis die Musikfassung stand, Tage, an denen sämtliche habhaften Instrumente ausprobiert wurden, auch irgendwelche Exotischen, aus Bali mitgebrachten, und in denen sie in einem sechs Stockwerke hohen Treppenhaus den Hall mit einbrachten – bis es endlich beiden gefiel. Es sei eben auch eine Frage des Vertrauens. Das fiel Reichardt besonders in der Zusammenarbeit mit anderen Regisseuren oder Produzenten auf, dann also, wenn er ‚fremdgegangen’ ist. Im Übrigen, wenn Büchel hier behaupte, keine Ahnung von Musik und Noten zu haben, er verzaubere jede Frau, sobald er sich ans Klavier setze…
Als ich gehe, fallen mir in den Nischen und zwischen den Säulen der Außenfassade des Museums die Weingläser der Raucher auf, die sie hier abgestellt und vergessen haben. Ein bisschen ungezogen. Aber malerisch…
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