Bildende Kunst
Spiegel und Erinnerung – Werke der brasilianischen Künstlerin Cristina Canale

Die in Berlin lebende brasilianische Künstlerin Cristina Canale präsentiert in ihrer Ausstellung mit dem Titel „Espelho e Memória“, zu deutsch „Spiegel und Erinnerung“, eine Reihe von Werken auf Leinwand und Papier aus den vergangenen Jahren.
Sie findet im Rahmen der Brazil-Wochen im schleswig-holsteinischen Barmstedt statt und sind noch bis Ende August ausgestellt.

Ihre farben- und lebensfrohe Malerei bildet eine Brücke zwischen ihrer Heimat und Deutschland. Die Verbindungen sind deutlich in den Themen, im malerischen Duktus und in der Berufung auf Tradition zu finden. Diese Aussage gilt es zu präzisieren: einerseits ist diese Brücke in ihrem Werk selbst begründet und der Tatsache geschuldet, dass sie seit 20 Jahren in Deutschland lebt, andererseits – und damit ist zu beginnen – ist zum Verständnis ein kurzer Ausflug in die brasilianische Kunst- und Kulturgeschichte nötig, um die Brasilien-Reduktion auf Bildstereotypen eines bunten, tanzenden Karnevals oder Strandlebens an der Copacabana aus den Köpfen zu bekommen.

Dass Brasilien mehrere kulturhistorische Ansätze kennt, gilt für alle kolonialisierten Länder Lateinamerikas. Eine indigene, eine europäische und eine koloniale/postkoloniale Kulturgeschichte sowie afrikanische Einflüsse. Die europäische und koloniale Kunstgeschichte, die hier nur kurz erwähnt werden soll, hat bis weit ins 20. Jahrhundert gewirkt und die Entwicklungen im bevölkerungsreichsten Land Südamerikas entscheidend beeinflusst.

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Die Sakralkunst, die Ausstattung von Kirchen und Klöstern durch Maler, Bildhauer und Steinmetze stand zur Kolonialzeit im Mittelpunkt. Die christlich-missionarisch-jesuitisch-religiösen Themen beherrschten bis ins 18. Jahrhundert den Bilderkanon. Motivisch tat sich zwar im 18. und 19. Jahrhundert in Brasilien mit der üppigen Natur und den riesigen Urwäldern und Landschaften für viele eingewanderte Maler eine eigene Welt auf, aber stilistisch und formal war ein Großteil der Künstler Europa verpflichtet. In der Malerei sieht man an Künstlernamen und Geburtsorten die europäische Achse, ebenso an den Stilmitteln, die sich zunächst aus Italien, via Spanien und Portugal nach Südamerika bewegten und später neben Italien auch aus Zentraleuropa und sich insbesondere aus der deutschen Romantik, später dem Impressionismus und Expressionismus konstatierte.

Johann Georg Grimm beispielsweise, ein 1846 in Deutschland geborener und 1877 nach Brasilien eingewanderter Maler wurde mit seiner „Grupo Grimm“ äußerst wichtig für die Öffnung der traditionalistischen brasilianischen Malerei hin zur Moderne. Oder Lasar Segall ein 1891 in Lettland geborener Maler, der wohl zu den wenigen bekannten brasilianischen Malern des frühen 20. Jahrhunderts gehört.

Daneben gab und gibt es aber auch immer Überwindungstendenzen in der brasilianischen Kunst, die Selbständigkeit und Eigenheiten aufweisen, die nicht europäisch extrapoliert sind, sondern entweder sich aus indigenen Einflüssen oder auch aus asiatischen, insbesondere chinesischen speisen. Hier weiter darauf einzugehen ist im Fokus auf die Malerei von Cristina Canale wenig sinnvoll.

Im 20. Jahrhundert war es der Impressionismus der große Bedeutung erlangte und mit Zeitverzug aus Europa kam. Der Maler Candido Portinaris gilt als größter Künstler Brasiliens des vergangenen Jahrhunderts. Seine kritischen Bildthemen führten später ab 1940 zur politischen Malerei des Sozialen Realismus.

Vor dem Hintergrund dieser Ausstellung ist zu erwähnen, dass leider nur wenige Malerinnen so erfolgreich in Brasilien sind wie ihre männlichen Kollegen.
Um nicht missverstanden zu werden, Europa wirkte im 20. Jahrhundert in der Malerei, ist aber innerhalb der verschiedenen Schwestergenres wie Architektur, Literatur, Film oder Musik nicht adaptiv vergleichbar. Die Hervorbringungen und Einflüsse unterschiedlicher Einwanderungs- und Volksgruppen haben einen ganz eigenen kulturellen Kosmos geschaffen. Von heute – also aus der Sicht einer „World-Art-History“ darf man nicht verkennen, dass die Kunst Brasiliens weder nur als euro- oder portugiesisch-zentristische noch als postkoloniale Debatte zu führen wäre, sondern auch als eine aus einer frühglobalisierten und transkulturellen Sichtweise, in der es um Transfer und die Zirkulation von Ideen zwischen Europa und Brasilien geht. Schließlich ist die Biennale in São Paulo als größtes Kunstereignis in Brasilien zu nennen. Hier wird die internationale Weltkunst auch in Bezug zur eigenen künstlerischen Produktion gesetzt. 1991 war Cristina Canale übrigens Preisträgerin der 21. Biennale von São Paulo.

Die Künstlerin hat ein unterschiedliches Repertoire an Themen, Mal- und Zeichenformen. Sie bewegt sich in einem Spagat zwischen ihrer jeweiligen inneren Befindlichkeit und dem was sie in der Alltäglichkeit umgibt. Der Mensch und seine Umgebung definieren in ihrer Positivierung unkonventionelle Bodenständigkeit. Seine Einbettung in die Natur und ein lebensfreundliches Umfeld springt auf jedermann über. Alles in den Bildern schmeckt nach Kommunikation, nach Austausch. Obwohl die meisten ihrer abgebildeten Figuren keine oder kaum Gesichtszüge haben, verliert die Charakterisierung von Personen und Situationen dadurch gar nichts – im Gegenteil es scheint so als ob sie eine identifizierbare katalytische Essenz des Menschen am Ende des Malprozesses erhält. Die Offenheit und Unmittelbarkeit, die Canale in ihren Werken kreiert, gibt den jeweiligen Szenen und Momenten eine allgemeine Gültigkeit und wird jedem zugänglich und verständlich gemacht. Die Distanz zwischen den dargestellten Personen und dem Betrachter wird sukzessive aufgehoben, weil fast alle dargestellten Momente und Situation sofort nachvollziehbar, ja nachempfindbar sind. Das Wahrnehmungsregister speist sich also einerseits aus eigentlich banalen Szenen, andererseits sind sie mit Energie und Spannungsbögen versehen.

Die Umstände haben häufig narrative Bezüge, sie verweisen darauf, dass es beim festgehaltenen Moment ein narratives Vorher und Nachher gibt, selbst dann, wenn es sich um kontemplative Augenblicke handelt, in denen die Abgebildeten in sich ruhen oder zu dösen scheinen.

Häufig sind die einzelnen Farbschichten sichtbar, wolkig-lasierend und ineinander verwoben, ergeben räumliche oder dynamische Zusammenspiele. Abdeckende Farbflächen wirken dagegen in ihren Bildern plakativ und wie Ruhepole, sind aber nicht weniger definiert. Die Künstlerin verzichtet in keinem Bild auf die Sichtbarkeit des individuellen Malstrichs.

Dieser liebt die autonome, kraftvolle und unabhängige Form – da dürfen auch einmal Gegenstände in der organischen Andeutung verharren. Ihre Farbigkeit reflektiert das Leben in Brasilien, es scheint so, als gäbe es von Allem sehr viel, alles recht üppig und alles sehr lebensnah.

Ein weiterer Themenkanon sind die floralen Bilder aus den späten 1990er-Jahren, die in der Ausstellung allerdings nicht gezeigt werden. Als ob sie in eine menschenleere Welt abgetaucht ist, erschafft sie eine intime Atmosphäre und ein natürliches, friedliches Sein. Geradezu paradiesisch und in üppiger Natur assoziiert der Betrachter die reichen Urwaldgebiete ihres Mutterlands. Einsamkeit und mit der Natur im Einklang sein, sind die gefühlsbetonten Ausdrücke.

In der Zeichnung liegt ebenfalls eine Stärke der Künstlerin, denn sie sind gleichrangig zu der Malerei zu sehen. Sie sind weder Skizze, noch Übungsraum, sie fokussieren vielmehr jene Details, die sie in ihrer Malerei anders in andere Zusammenhänge bringt. In ihnen scheint Cristina Canale noch näher an das Geschehen heranzuwollen und uns eine noch intensivere fokussierte Beobachtung anzubieten.

Das Hauptwerk der Ausstellung mit dem Titel „Iracema“, das gleichzeitig Plakatmotiv ist, bezieht sich auf den 1865 von José de Alencar veröffentlichten gleichnamigen Roman und ist ein bedeutendes literarisches Werk der brasilianischen Romantik. Er befasst sich mit den Eingeborenen Brasiliens. Das Wort „Iracema“ entstammt der indianischen Tupi-Sprache („Honiglippen“ - Ira = Honig, tembè = Lippen). Daneben ist „Iracema“ auch ein Anagramm von „America“.
Die oft erotisch dargestellte Iracema ist die Göttin des Wassers und der Flüsse und wird auch heute noch von allen Indiostämmen ganz Brasiliens verehrt. Der Buchstabe „I“ steht für Wasser und alle Begriffe die damit zu tun haben beginnen mit „I“.

„Itapuã“ ein weiteres großes Werk der Ausstellung zeigt eine Szene aus dem gleichnamigen Badeort bei Salvador de Bahia zwischen Recife und Rio de Janeiro gelegen. Das bemusterte, ausgebreitete Badehandtuch, dass wie ein Schutzschild die Person vor einem leuchtend orangeroten Tuch rücklinks trocknet scheint sich auf der rechten Seite farblich seiner Umgebung langsam anzupassen und das Spiel mit Vordergrund und Tiefenraum auflösen zu wollen. Wie auch bei diesem Motiv orientiert sich Cristina Canale häufig an Fotos als Vorlage, was man einigen Bilder durchaus ansehen kann, denn sie wirken fotografisch vergrößert und ausschnitthaft wie die „Turista“ oder die Katze „Miau“.

Kunsthistorisch – und hier schließt sich der Kreis – ordnet sich die Künstlerin sowohl in der südamerikanischen Moderne wie in den europäischen Expressionismus ein. Cristina Canale ist Malerin – durch und durch. Die Kraft der Werke liegt in ihrem mitreißenden, unbeschwerten und farbenfrohen Ausdruck.


Die Ausstellung Cristina Canale: „Espelho e Memória“ (Spiegel und Erinnerung) ist vom 21. Juni bis 31. August 2014 zu sehen in der Galerie Atelier III auf der Schlossinsel Rantzau, in 25355 Barmstedt.
Ihre Werke sind außerdem in namhaften Sammlungen vertreten, u.a. im Museu de Arte Moderna do Rio de Janeiro/Brasilien; Coleção Gilberto Chateaubriand, Brasilien; Museu de Arte Contemporânea de Niterói/Brasilien; Pinacoteca do Estado de São Paulo/Brasilien und bei der Stadtsparkasse in Frankfurt/Oder.


Abbildungsnachweis:
Header: Details aus „Iracema“, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 175x200cm
Galerie:
01. „Itapuã“, 2013-14, Mischtechnik auf Leinwand,170x260cm
02. „Flor estranha“, 2013, Öl auf Leinwand, 100x105cm
03. „Camisa estampada“, 2013, Öl auf Leinwand,165x140cm
04. „Turista“, 2009, Mischtechnik auf Leinwand, 50x60cm
05. „rosto“, 2014, Öl auf Leinwand, 30x40cm
06. „Venus, 2010, Mischtechnik auf Leinwand“, 50x60cm
07. „Sandalia“, 2010, Mischtechnik auf Leinwand, 50x60cm
08. „Miau“, 2010, Mischtechnik auf Leinwand, 50x60cm
09. „Iracema“, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 175x200cm
10. Cristina Canale in ihrem Atelier in Berlin. Foto: Archiv

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