Bruno Gironcoli: Ich wollte eine Menschendarstellung leisten
- Geschrieben von Thomas Redl -
Gedanken zur Ausstellung „Gironcoli: Context“ im Belvedere Wien.
In eine künstliche Zeit eingesetzt üben wir täglich an unserer Umwandlung. Mit den Sedimenten unserer Erinnerung ausgestattet schmerzen unsere alten Körper an den Rändern. Prothesen mit neuen Gefühlen, metallern und hart, warten auf uns. In der Stirnplatte unseres Denkens und Fühlens ist dieser neue Raum noch ungelenk wuchernd – ihn gilt es erst zu formen. Thomas Redl
In der Orangerie des Belvedere wird das Frühwerk des bedeutenden Bildhauers Bruno Gironcoli im Kontext von wichtigen Positionen der Kunst des 20. Jahrhunderts gezeigt. Der Ausnahmekünstler Gironcoli, den stets eine Aura von undurchschaubarer Einzigartigkeit umgab, wird in der Ausstellung als Teil der künstlerischen Aufbruchsbewegung ab den 1960er-Jahren wahrgenommen, die die traditionelle Gattung Bildhauerei durch Grenzüberschreitungen aufbrach und damit bis dahin gültige Normen auflöste.
Basierend auf von Gironcoli selbst genannten Künstlern und Analogien zu Werken anderer Künstler werden Arbeiten von zehn Vertretern der Kunst von den 60er-Jahren bis heute gezeigt: Carl Andre, Francis Bacon, Matthew Barney, Joseph Beuys, Louise Bourgeois, Günter Brus, Jürgen Klauke, Bruce Nauman, Rudolf Schwarzkogler und Franz West.
So werden die großen raumgreifenden Installationen Gironcolis, die in den Jahren 1962 bis 1982 entstanden sind, in ein thematisches Spannungsfeld gesetzt. Der Berliner Kuratorin Bettina Busse ist es gelungen in exakter Setzung im Raum Korrespondenzen der einzelnen Arbeiten zueinander zu erzeugen, wodurch sich die Arbeiten gegenseitig aufladen. Durch diese Gegenüberstellung wird das Werk Gironcolis, dem immer ein solitärer Charakter anhaftete, in inhaltliche und formale Nähe zu den künstlerischen Entwicklungen seiner Zeit gesetzt.
Einflüsse und Wegbegleiter
Gironcoli trifft auf das Werk von Joseph Beuys in der Galerie Nächst St. Stephan 1967, wo Beuys die Performance Eurasienstab vorführte. Die Aufladung von Materialien mit sozialer wie physisch-psychischer Bedeutung, wie Beuys sie zelebrierte, wurde prägend für Gironcolis Skulpturenbegriff. Auch die Auseinandersetzung mit dem Wiener Aktionismus und deren Themen wie Ritual, Sexualität, Opferung und Materialkombinationen hatte Einfluss auf Gironcoli. Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler, als wesentliche Vertreter des Wiener Aktionismus – mit Fotografien und Filmen in der Ausstellung vertreten –, artikulierten sich in ihren Aktionen vor allem gegen das gesellschaftliche Klima und die Enge im Österreich der Nachkriegszeit. Die konservative Politik der Verdrängung sowie der drückende Katholizmus und seine Auswirkungen bis in die kleinsten sozialen Strukturen wurden mit einem Aufschrei von Enthemmung und Provokation durchbrochen. Gironcoli, der selben Generation angehörig und sozialisiert im Wien der 1960er und 70er Jahre, war diesem Klima ebenso ausgesetzt und musste sich aus diesem Humus der Verdrängung gleichsam herausarbeiten und herausschälen. Inwieweit dieses Umfeld und parallel die nachwirkenden traumatischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sein Werk bewusst oder unbewusst beeinflusst haben, wäre eine noch zu untersuchende Frage. Klar ist aber, dass die europäische Kunst der 1960er bis 1980er Jahre stark geprägt ist von den Erschütterungen dieses Krieges. Die Frage nach einer neuen Formulierung der conditio humana nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust ist eine zentrale Thematik, die sich allen Künstlern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert stellt.
Dies führt uns direkt zu Francis Bacon, der mit dem Bild Portrait of Henrietta Moraes in der Ausstellung gezeigt wird. Bacon thematisiert exemplarisch die Angst und die Verlorenheit des Individuums im 20. Jahrhundert – den Schrei des Einzelnen aufgrund des bodenlosen Abgrundes nach Verlust sozialer, ethischer wie religiöser Wertestrukturen.
Ein weiteres Werk in der Ausstellung, das Hanging Carousel von Bruce Nauman, verdeutlicht die Auseinandersetzung mit physischer und psychischer Gewalt wie sie auch bei Gironcolis Arbeiten durchgängig auftaucht. Louise Bourgeois teilt wiederum mit Gironcoli die Beschäftigung mit dem Thema Mutter, Sexualität, Familie. Von Franz West, Gironcolis bekanntestem Schüler (Gironcoli leitete die Bildhauerklasse an der Akademie der bildenden Künste in Wien von 1977 bis 2004), werden frühe Passstücke gezeigt, die eine freudsche Interpretation körperlicher Befindlichkeit darstellen.
Von der Installation zur Großskuptur
Ich habe eher einen Klang gesucht, keine Abstraktion. Ich wollte ja nichts machen, was andere schon fertig gestellt haben; ich wollte meiner Welt begegnen und Fragen, die für mich noch ungeklärt sind, berühren. Ich habe wohl auch das verlorene Menschenbild gestalten wollen, ohne es dafür zu setzen. Bruno Gironcoli
Parallel zu den frühen installativen Werken Gironcolis werden im Außenbereich, im barocken Kammergarten des Belvedere, großformatige Güsse aus der Zeit von 1984 bis 2003 gezeigt. In der Gegenüberstellung des frühen Werks und der späteren Großplastiken stellt sich die Frage nach der Genese und den formalen Entwicklung des Werkes. Gibt es einen Bauplan, eine innere Struktur, dem Gironcoli instinktiv folgte?
Die Installationen der ersten Werkphase fügen Objekte aus dem Alltäglichen zu Environments zusammen, diese trivialen Objekte sind ihrer konventionellen Funktion enthoben und werden im skulpturalen Arrangement Bedeutungsträger und Handlungsraum für seine Themen. Damit erfahren sie eine neue Aufladung. In den Großskulpturen seines späteren Werks werden diese Alltagsobjekte und Formen sprichwörtlich zu einem Guss zusammen gefügt. Aus Polyester geformt, mit Bronzefarbe gestrichen oder komplett aus Aluminium gegossen werden alle Teile zu einer stimmigen Gesamtapparatur, wo Maschinenartiges mit natürlich Vegetativem verschmilzt. Das immer wiederkehrende Embryomotiv macht diese Apparaturen zu symbolistischen Geburtsstationen und Menschwerdungsapparaturen. Das dafür verwendete Prinzip ist das der Assemblage, wie es seit dem Kubismus, Dadaismus und Surrealismus eingesetzt wird. Formen und Gegenstände werden durch dieses dreidimensionale Collagieren neu kombiniert, entfremdet und einer Metamorphose unterzogen. Weniger die uns ursprünglich bekannte Belegung der Form wie zum Beispiel bei Kornähren, Weintrauben, Blättern, maschinenähnlich-mechanischen Teilen ist von Bedeutung, sondern deren neue psychologische und symbolische Wirkung im Gesamtensemble der Skulptur. (1) Das Ziel Gironcolis ist aber kein Therapeutisches noch ein analytisch Aufklärerisches, vielmehr ist es ein Ästhetisches, das die Frage nach dem Menschenbild und seiner adäquaten Abbildung neu stellt.
Gironcolis aktuelle Bedeutung
Diese Frage nach der Darstellbarkeit des Menschen zwischen Abstraktion und Realismus, Figuration und freier Form stellt sich nach wie vor in der aktuellen Kunst. Gerade am Beginn des 21. Jahrhunderts, wo das Individuum in einer Sozialität zwischen Posthumanismus und Globalkapitalismus angekommen ist, ist die Frage nach der Identität und gleichzeitig der Abbildmöglichkeit des Menschen virulent. Gironcoli selbst formulierte: Sie, die Skulptur, habe kein Menschenbild anzubieten außer dieses, in diesen Montagen aus Resten von Menschenbildern zusammengetragene, ohne den kollektiven Traum der gesellschaftlichen Inszenierung. Es dürfte dies sicherlich kein Weg sein, so vergehend die Unlösbarkeit allgemeiner Entfremdung aufzuheben, aber in dieser Bildhauerei ist versucht, Teile menschlichen Reagierens einzufangen.
Da heute die Kunst vollständig im spekulativ kapitalistischen System angekommen ist, hat der Kunstmarkt freies Spiel und integriert das Kunstwerk als vermarktbares Objekt in das Regelwerk der Spekulation und Wertanlage.
Gironcoli hat nie die Erwartungen des Kunstbetriebes erfüllt und sich so stets freigehalten von den Anforderungen des Marktes (dies konnte er unter anderem auch aufgrund seiner langjährigen Professur und der damit verbundenen finanziellen Unabhängigkeit). Er ging einen autonomen Weg fern aktueller und gehypter Strömungen und diese Position erlaubte ihm ganz bei seinem Werk und seinen Themen zu bleiben. Die Kompromisslosigkeit seiner Haltung verleiht ihm die exemplarische Bedeutung für die jetzige Generation von Künstlern und bietet gleichzeitig ein Potential an Möglichkeiten an, sich der Ausgeliefertheit am Markt zu entziehen und sich neue Freiräume zu schaffen, künstlerisch wie existenziell.
Die Ausstellung zeigt anschaulich die Aktualität von Gironcolis künstlerischer Sprache für das 21. Jahrhunderts sowie den Kontext der Kunstströmungen, aus denen sich sein Werk generiert.
Sicherlich ist diese Skulptur Teil des in seine Zeit eingebundenen Denkens. In der Spannung ihrer Emanzipation davon besteht und bestellt sie ihre Wirklichkeitsform. Sie wäre sinnlos ohne diese Eingebundenheit, aber sie scheint von dieser totalen Vergesellschaftung für ein Bild von Freiheit zu stehen, das sie in sich selbst anbietet. Sie scheint Rettung der Innerlichkeit vor dieser totalen Erfassung des Menschen in seiner Zeit zu sein, sie sucht jedenfalls Menschenbilder. Bildhauerei wird dabei ein Instrument der Revolte, IST SIE JA ZUM TEIL SINNLICHE BEZEICHNUNG. Sie ist aber kein Kampfgefährte des Revolutionärs. Sie kann nur aus sich heraus leisten oder sein. Bruno Gironcoli (2)
Die Ausstellung ist bis 27. Oktober 2013 in der Orangerie des Belvedere Prinz-Eugen-Straße 27, in 1030 Wien, Österreich zu sehen. Begleitend ist eine Publikation, herausgegeben von Agnes Husslein-Arco & Bettina M. Busse, erschienen.
Fußnoten:
(1) Martin Titz, „Mein Ziel war ein Ästhetisches.“ Über Bruno Gironcoli und seine rätselhaften Großskulpturen, in: C-live Magazin, architektur / raum / kunst, Hg. Martin Cserni, Wien 2012.
(2) Alle Zitate Gironcolis aus: Überlegungen zu einer konventionellen Kunstform Bildhauerei, erstveröffentlicht 1970 und im Katalog zur Biennale Venedig 2003, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln.
Bildnachweis: Fotos Belvedere
Header: Detail eine Gironcoli Skulptur, Ohne Titel, 1970-72. Foto: Thomas Redl
Galerie:
01. Bruno Gironcoli: Große Messingfigur, 1970. Gregor Titze, Belvedere Wien, 2013
02. Joseph Beuys: Eurasienstab, 1968-69. Foto: Gregor Titze, Belvedere Wien, 2013
03. Louise Bourgeois: Arched Figure, 1993. Foto: Gregor Titze, Belvedere Wien, 2013
04. Bruno Gironcoli, Ohne Titel, 1970-72, Foto: Thomas Redl (An der Wand: Francis Bacon)
05. Bruno Gironcoli, Ohne Titel, 1970-72. Foto: Gregor Titze, Belvedere Wien, 2013
06. Bruno Gironcoli, Außenskulptur. Foto: Thomas Redl
07. Ausstellungsraumansicht. Foto: Thomas Redl
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