Bildende Kunst
body next to body - Aspekte des Körpers in der Sammlung Cserni

Die in der Steiermark ansässige Sammlung Cserni hat ihren Fokus auf österreichische Kunst ab den 1960er-Jahren.
Eine Auswahl der Werke aus der Sammlung ist nun erstmalig in Hamburg zu sehen. Das Kunstforum Markert zeigt bis Ende Juni über fünfzig Arbeiten in einer Ausstellung, die von Franz Cserni eigens kuratiert wurde. Cserni, der selbst in seiner langjährigen malerischen Tätigkeit ein beachtliches umfangreiches Oeuvre geschaffen hat, übertrug seine Leidenschaft für die Kunst auf seinen Sohn Martin.
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Beide gemeinsam haben im Laufe von über 20 Jahren eine umfangreiche Sammlung österreichischer Kunst zusammen getragen. Die Qualität der Sammlung Cserni beruht nicht auf einem kunstgeschichtlich-wissenschaftlichen Zugang, noch auf einem spekulativen Blick auf die marktetablierte Kunst, es sind vielmehr im Besonderen die eigenen Zugänge der Sammler, ihr persönlicher Blick auf künstlerische Zusammenhänge und die teils jahrelangen Freundschaften zu den Künstlern, die die Sammlung prägen. "Wenn man sich mit den Gedanken, mit denen sich Künstler auseinandersetzen, beschäftigt, findet man Überlegungen, die nicht den Zeittönen unserer Gesellschaft entsprechen. Es sind Gedanken, die ausbrechen oder dem Heute vorausgehen und uns vielleicht in ein paar Jahren einholen", sagt Franz Cserni und beschreibt damit den Nukleus seiner Sammlung.
Neben Vertretern der zeitgenössischen Kunst aus Österreich finden sich in der Sammlung auch Werke u.a. von den deutschen Künstlern Martin Kippenberger und Jonathan Meese sowie dem Chinesen Zhang Huan.

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Die österreichische Kunst der Nachkriegszeit, vor allem in Verbindung mit dem Wiener Aktionismus, hat einen starken Fokus auf den Körper. Dieser Fokus bildet insbesondere einen der Schwerpunkte in der Sammlung Cserni. Die Körperwahrnehmung und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, der eigenen Psyche ist eine Tendenz in der österreichischen Kunst, die bis heute spürbar ist und weiter wirkt. Durchgängig bei allen auch noch so unterschiedlichen Positionen – beginnend in den 1960er-Jahren und weiterführend bis heute – ist die Wahrnehmung des Körpers als Erfahrungsraum im Sinne eines privaten wie auch öffentlich-politischen Körpers sowie die Verwendung des Körpers als künstlerisches Medium und Material selbst.

Der Wiener Aktionismus reagierte Ende der 60er-Jahre mit seinen Vor- und Aufführungen sowie Performances gegen die repressiven gesellschaftlichen Zustände im Nachkriegsösterreich und suchte bewusst die Konfrontation mit tradierter, staatlicher und kirchlicher Autorität. Über drastische Ausdrucksweisen und aggressive Tabuverletzung wurden einerseits Mechanismen offener und vor allem versteckt-unterdrückter Grausamkeit und Perversion in der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt, andererseits wurde eben diese Gesellschaft damit schonungslos schockiert. Die zentralen Protagonisten des Aktionismus waren Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler.
Sie arbeiteten nur kurze Zeit zusammen und nach 1970-71 trennten sich die künstlerischen Wege der Gruppe schon wieder. Die Wirkung dieser
Strömung war jedoch für viele Entwicklungen der österreichischen Kunst seit den 1960er-Jahren mitentscheidend.

Arnulf Rainer bezeichnete die Übermalungen der Fotos vom eigenen Körper als „Reproduktionen des mir noch nicht bekannten Ichs“ und formulierte weiter: „Ich bewege und verwandle mich permanent als Leib, Körper und Seele.“ Das Arbeiten mit dem eigenen Körper, die Überarbeitung von Fotos des Körpers, tritt bei Rainer gleichermaßen auf. So steht er als charakteristische Position österreichischer Kunst zumindest in Verbindung zum Aktionismus wie auch zur informellen Malerei.

Aus der gleichen Generation kommend wie Rainer erforschten Maria Lassnig, Franz Ringel, Valie Export und Bruno Gironcoli den Körper als fragile Ich-Hülle, als angegriffenes Wesen in der modernen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Valie Export wurde zu einer zentralen Figur der feministischen Kunst, Gironcoli entwickelte in seinen raumgreifenden Objekten ein neues Bild des Menschen zwischen Körperlichkeit und Maschine, Ringel arbeitete am psychischen Körperportrait im Sinne Freuds. Franz West, als Vertreter der nächsten Generation und Schüler von Bruno Gironcoli, schuf mit seinen benutzbaren „Passstücke“ um 1970 Objekte, die Befindlichkeiten und Neurosen regelrecht sichtbar machen. Seine Gips- und Pappmacheobjekte folgen zwei Aspekten von Körperlichkeit: die Anwesenheit des Körpers während der Benutzung und die Abwesenheit, die sich quasi den Körper immer zu dem Objekt denkt, weil sie sonst lediglich reines Instrumentarium sind, aber nicht Werk.

Gottfried Helnwein, der in den 1970er-Jahren mit schockierenden Plakatsujets auftritt, nimmt als Außenseiter eine spezifische Rolle in der österreichischen Kunst ein, allerdings hat auch er schon früh Affinitäten zum Aktionismus. Er thematisiert das Individuum als das von äußeren gesellschaftlichen Zwängen malträtierte und damit leidende Wesen. „Mit dem Thema der Leidensdarstellung hat sich Gottfried Helnwein seit jeher beschäftigt. In den 1970er- und 80er-Jahren setzte er häufig auf den spektakulären Schock der Übertreibung, auf Provokation, auf groteske Formen und grimassierende Mimik von gequälten Individuen. Diese schrien, teils fratzenhaft verzerrt, teils bandagiert und mit chirurgischen Klammern festgezurrt wie einst der Aktionist Rudolf Schwarzkogler ihr Leid an der Welt hinaus, wobei Helnwein (der sich in ähnlichen Posen auch oft selbst porträtierte) deren Leidensdruck häufig mit der Erblast von Nationalsozialismus und Katholizismus und dem autoritär-repressiven Klima des Nachkriegsösterreich im Bild verknüpfte“, schrieb der Kurator Thomas Edlinger 2006. Und weiter: „Mit dem Triptychon „Das stille Leuchten der Avantgarde“ bezieht sich Helnwein auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“. Er stellt der Reproduktion dieses Bildes zwei Selbstbildnisse mit blutrot eingefärbten Kopf- und Augenbandagen zur Seite – erblindete/geblendete “Betrachter“ also, zugleich personifizierte Zitate aktionistischer Körper-Interventionen.“

Von hier aus lässt sich weiter eine Verbindung herstellen zu aktuellen künstlerischen Positionen wie Elke Krystufek, TOMAK, Christian Eisenberger, Thomas Redl und auch zu Karl Karner. Immer tritt bei dieser jungen Generation das einzelne menschliche Wesen als äußerst gefährdetes Subjekt auf, in Vibration gehalten durch die eigene innere Spannung sowie durch die permanent prekären gesellschaftlichen Bedingungen. Der renommierte Kulturwissenschaftler und Kurator Herbert Lachmayer schreibt in einem Text zur Arbeit von Thomas Redl, welchen man auch stellvertretend für viele Positionen österreichischer Kunst lesen kann, folgendes: Es haftet dieser Kunst etwas Kathartisches an: Wer sich darauf einlässt, wird innerlich vermint. Was als Spuren erinnerter Vergangenheit erscheinen mag, ist andererseits keine bloße Sedimentierung des Gewesenen. Vielmehr entpuppt sich diese Kunst als subversive Strategie, die die in gesellschaftlichen Alltagsverkrustungen eingeschlossenen Bilder gleichsam lossprengt, um eine „a-perspektivische Sicht“ (Jean Gebser) auf die je und je verlustig gehende Gegenwart freizumachen.“

Die Gegenüberstellung dieser verschiedenen künstlerischer Positionen in der Sammlung Cserni erzeugen jenes Spannungsmoment, welches explizit in der Thematik dieser Auseinandersetzung mit dem Körper vorhanden ist – physische und psychische Grenzerfahrungen der Künstler werden ausgelotet. Letztere trifft auch für die Betrachter und Besucher von Performances zu.

Als nicht österreichische Position sind zwei Werke des chinesischen Künstlers Zhang Huan in der Sammlung vertreten, wobei die Verwendung des eigenen Körpers als Träger politischen Statements bei Zhang Huan exemplarisch zu lesen ist. Er stellt sich die selbe Frage wie die Aktionisten – bei ihm im globalen Zusammenhang von Immigration und politischer Repression, bei den Aktionisten in einem österreich-spezifischen Kontext: Welchem Leidensdruck ist der Mensch ausgesetzt aufgrund der gegebenen politischen und sozialen Bedingungen, in die er hineingeboren ist?

Was in den, in der Sammlung und im Kunstforum Markert präsentierten Werken abgehandelt wird, ist nichts weniger als die Frage nach der Conditio Humana am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts.


Eine Auswahl der Sammlung Cserni unter dem Titel „body next to body“ wird im Kunstforum Markert Hamburg, Droopweg 31 gezeigt.
Zu sehen vom 16. Mai bis 23. Juni 2013. Öffnungszeiten nach Vereinbarung unter Tel.: 04321 – 8701 0 oder per Mail unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
www.kunstforum-markert.de

Parallel dazu werden bei Cserni live, Schottenring 14 in A-1010 Wien, neue Arbeiten von TOMAK - Posterboy of Antikunst gezeigt – zu sehen von 7. 6. bis 7. 7. 2013.
www.cserni.at

Buchtipp: Sammlung Cserni – Österreichische Kunst von 1960 bis zur Gegenwart
Der Band präsentiert erstmals Werke der Sammlung Cserni – beginnend mit den 1960er-Jahren, dem Wiener Aktionismus, Malereien der 80er und 90er bis hin zu Positionen aktueller Kunst. Im umfangreichen Bildteil werden ausgewählten Arbeiten in großformatigen Abbildungen gezeigt. Begleitet wird der Bildteil von drei Essays der Autoren Peter Keicher, Lucas Gehrmann und Florian Steininger. Ein Interview mit Franz und Martin Cserni schafft weiter einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Sammlung und in die persönliche Motivation der Sammler.
Folio Verlag, Wien 2011, ISBN 978-3-85256-590-3
www.folioverlag.com

Bildnachweis: © Sammlung Cserni
Header: Karl Karner, "Körperlichkeiten und Virtuosität", 2009, überarbeitete Fotografie einer Performance
Galerie:
01. Günter Brus, "Ansteckende Kopfkrankheit", 1988, Dispersion auf Karton
02. Otto Mühl, o.T., 1984, Öl auf Leinwand
03. Hermann Nitsch, "Das Orgien Mysterien Theater", 1965, frühe Aktionen 1966-69, Fotografie
04. Rudolf Schwarzkogler, "Aktion mit seinem eigenen Körper", 1966, Fotodokumente
05. Arnulf Rainer, O.T., 1974, Fotoradierung
06. Franz Ringel, "Kreuzigung", 1973, Mischtechnik auf Papier
07. Gottfried Helnwein, Das stille Leuchten der Avantgarde, 1986, Triptychon
08. TOMAK, "30 Jahre später - (10 Jahre Tomak Zyklus), 2008, Bleistift, Rötel auf Papier
09. Thomas Redl, aus der Serie "Liebling", 2009, übermalte Zeitungsblätter
10. Franz West, "Haini", Edition 51/60, 2003, Synthetic fiberglass lacquered
11. Karl Karner, Skulptur - o.T. 2004, Bronze
12. Zhang Huan, "1/2 (meat)", 1998, C-Print auf Aluminium, Nr. 10 von 15

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