Meret Oppenheim. Über den Bäumen.
- Geschrieben von Ursula Zoller -
Zu ihrem 100. Geburtstag in diesem Jahr wird Meret Oppenheim mit mehreren Ausstellungen geehrt.
In Wien, in Berlin und derzeit auch in Hannover, wo das Sprengel Museum eine fein arrangierte Schau zeigt: „Über den Bäumen“ vereint gut 60 Arbeiten, vorwiegend aus dem zeichnerischen Werk der Künstlerin.
Mit der „Pelztasse“, die sie 1936 in Paris schuf, wurde Meret Oppenheim berühmt und überwand die festlegende Rolle der „Muse der Surrealisten“. Ein Beiname, den sie der „Artusrunde“ zu verdanken hatte: Einem Kreis vorwiegend männlicher Künstler, mit denen sie sich im Café de la Place Blanche in Paris regelmäßig traf – darunter Alberto Giaccometti, Marcel Duchamp, Hans Arp, Max Ernst und Pablo Picasso.
Die Künstlerin, die 1913 als Tochter des jüdischen Arztes Erich Alfons Oppenheim und seiner Schweizer Frau Eva Wenger in Berlin geboren wurde, ließ sich nicht vereinnahmen, auch später nicht von Feministinnen. Eigenwillig kämpfte sie um ihren eigenen Weg, der sich gegen Konventionelles, Angepasstes, vor allem gegen Stillstand richtete. Die Beschäftigung mit C. G. Jung, den sie als junges Mädchen einmal getroffen hatte, mag ihre Vorliebe für Hintergründiges, Absurdes, Paradoxes und manchmal Aggressives verstärkt haben. Kunst ist für sie vor allem Ausdruck des Unbewussten, in dem sie Grenzen und Verbindungen etwa von Traum und Wirklichkeit, von Weiblichem und Männlichem, von Natur und Kultur auslotet.
Im Sprengel Museum bestechen zwei Fotografien dieser wunderschönen Frau. 1933 steht sie Man Ray nackt Modell hinter dem Rad einer Druckerpresse, zartgliedrig, in der bezaubernden Anmut ihrer 20 Jahre, aber auch würdevoll-distanziert. Die erotische Ausstrahlung wird sie bis ins hohe Alter behalten, sichtbar in einer weiteren Fotografie „Portrait mit Tätowierung“, die sie stolz, mit einem leichten Lächeln um die Mundwinkel in einem Gesichts-Schmuck zeigt, einer Schamanin gleich. Dieses Selbstportrait, bei dem sie die Ohrringe zusätzlich mit „Federn“ verzierte, könnte ein Hinweis auf ihre Nähe zum mystischen Denken archaischer Kulturen sein.
Das Pelzige war ein weiteres Zeichen ihrer Neigung, Erotisches zu verfremden: In der „Pelztasse“ als Phantasie eines Reizes an den Lippen, beim „Projekt für Sandalen“, bei dem ebenso wie bei den „Pelzhandschuhen“ die rot lackierten Nägel einen wirksamen Kontrast des Unbedeckten zum Bekleideten bilden.
Das Thema der Ausstellung „Über den Bäumen“ wird deutlich in einem so benannten späten Bild (1978) der Künstlerin, das sie wenige Jahre vor ihrem Tod schuf. „Baumwurzeln“ zeigen Bäume mit ihrem Wurzelwerk als ein Zeichen des Lebens. Die Zeichnungen „Sonnenflecken“ und „Weiße Wolke“ gehen wie auch „Landschaft mit See (und schwarzer Mauer)“, “Wolken über Stockholm“ und „Blume auf Hügel“ auf Naturphänomene ein, mit denen sie sich in den 1960er- und 70er-Jahren erneut befasste. Während ihrer Schaffenskrise in den beiden Jahrzehnten zuvor hatte sie das Restaurieren gelernt, gemalt, gezeichnet, modelliert, fotografiert, Gedichte geschrieben und Geld mit dem Anfertigen von Modeschmuck verdient. Aber sie vernichtete auch viele Zeichnungen, die insgesamt zwei Drittel ihres Gesamtwerkes ausmachen.
Zahlreiche Werke erscheinen zunächst rätselhaft, evozieren jedoch einen emotionalen Eindruck, z.B. „Kopf eines Ertrunkenen, dritter Zustand“ oder „Non“, auf dem ein mit knallroten runden Malen versiegelter, dunkelgrüner Briefumschlag zu sehen ist.
Meret Oppenheim starb 1985 an einem Gehirnschlag. Drei Jahre zuvor hatte sie betont: „Die Phantasie ist die Landschaft, in der der Geist des Künstlers spazieren geht.“
Die Ausstellung "Meret Oppenheim. Über den Bäumen" ist noch bis zum 5. Mai 2013 zu sehen im Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, in 30169 Hannover.
Der Katalog kostet 10 Euro.
Weitere Informationen unter: www.sprengel-museum.de
Abbildungsnachweis: Meret Oppenheim
Header: Das Paar (mit Ei), 1967, Objekt: zwei schwarze Stiefelchen, die abgeschnittenen, Spitzen bilden das Ei, das auf einem Nest aus, Schnürsenkeln liegt. Paar. Leihgabe im Sprengel Museum Hannover. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling,
Sprengel Museum Hannover.
Galerie:
01. Portrait mit Tätowierung, 1980, Farblack auf Bromsilbergelatine Print, Ex. 31/50, Aufnahme Heinz Günter Mebusch, Düsseldorf, 1978. Depositum im Kunstmuseum Bern aus Privatsammlung. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Meret Oppenheim-Archiv, Kunstmuseum Bern
02. Projekt für Sandalen, 1936, Bleistift und Aquarell. Leihgabe C. F. Reuterswärd Art Foundation, Cologny. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover
03. Zwei Bäume, rot-braun und blau, 1961, Farbstift, Kunstmuseum Bern. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Meret Oppenheim-Archiv, Kunstmuseum Bern
04. Kopf eines Ertrunkenen, 1966, Holzschnitt, ein Block, drei Farben. Privatbesitz Hannover. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover
05. Weisse Wolke, 1980, Ölkreide auf grauem Papier. Kunstmuseum Bern. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Meret Oppenheim-Archiv, Kunstmuseum Bern
06. Blume auf Hügel, 1964, Öl auf Leinwand. Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Kurt und Ernst Schwitters Stiftung, Hannover. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover
07. non, 1957, Blauer Umschlag mit roten Siegeln, Gouache. Sprengel Museum Hannover, Leihgabe C. F. Reuterswärd Art Foundation, Cologny. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover
08. Man Ray: Erotique voilée, 1933, Bromsilbergelatine. Leihgabe im Sprengel Museum Hannover. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover.
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