R.B. Kitaj – mehr als „Obsessionen“
- Geschrieben von Christel Busch -
Knallig, bunt und von explodierender Farbigkeit sind sie, die Obsessionen des amerikanisch-jüdischen Malers R.B. Kitaj.
Obsessionen? Ein Terminus, der nicht nur Leidenschaft, sondern auch Besessenheit und Manie bedeutet. Wer ist dieser Künstler, dessen Name und Werk in Europa ganz offensichtlich in Vergessenheit geraten ist? Das Jüdische Museum in Berlin geht diesen Fragen nach und widmet dem Zeichner, Grafiker und Maler mit der Ausstellung „Obsessionen – R.B. Kitaj“ eine posthume und umfangreiche Retrospektive.
Rund 130 Exponate: Gemälde, Zeichnungen, Collagen und Druckgrafiken aus allen Schaffensperioden sind thematisch in 13 Kapiteln geordnet. Kitajs facettenreiches Œuvre umfasst aktuelle politische Ereignisse, aber auch gesellschaftlich-brisante Themen wie Gewalt, Rassismus, Korruption und Prostitution. Sein ambivalentes Verhältnis zu Frauen – speziell zu den Damen des horizontalen Gewerbes – spiegeln seine zum Teil sexistisch anmutenden Bildkompositionen wider. Hinzu kommen Selbstbildnisse, Porträts von Dichtern und Filmregisseuren, befreundeten Malern und Rabbinern sowie fiktive, archetypische Gestalten. Er verwendet Zeitungsartikel, Fotografien und Filme sowie journalistische und literarische Texte, die er fragmentarisch in seine Bildarrangements einwebt und sie in einen neuen Kontext stellt. Hinzu kommt, dass er eigene Texte und Kommentare in seine Werke einfügt, die er in der Tradition der ‚Midraschim’ – der Auslegung biblischer Texte – sieht. Dass er seine Bildideen bei Fra Angelico, Giotto, Velazquez, Matisse, Degas oder prominenten Malern des 20. Jahrhunderts fand, verheimlichte er nie.
Kitaj war ein leidenschaftlicher Bibliophiler. Quasi als intellektuelle Nahrung sammelt er neben Kunstbüchern, Lyrik und Romanen auch Werke jüdischer Dichter und Denker des 20. Jahrhunderts, angefangen bei Achad Ha'Am, Franz Rosenzweig, Franz Kafka, Walter Benjamin, Aby Warburg oder Sigmund Freud. In seinen „Manifesten des Diasporismus“ von 1989 und 2007, reflektiert er deren Gedankengut und hinterfragt seine eigene jüdische Identität und ob es eine zeitgemäße, jüdische Kunst gibt. Eine Kunst der Diaspora? Fragen, mit denen er sich seit seinen Katalonien-Aufenthalten in den 1960er-Jahren beschäftigt. Zur jüdischen Religion, die er zwar nicht praktiziert, findet er erst im Alter von fast 40 Jahren durch die Berichterstattung des Eichmann-Prozesses von Hannah Arendt. Ein zentrales Erlebnis für ihn als Mensch und für die Kunst, in der er sich als jüdischer Künstler zu positionieren versucht. Eine lebenslange Obsession, die er selbst als „meine Neurose, mein Krieg, mein Lustgewinn“ bezeichnet. Bleibt die Frage, ob Kitaj, der „skeptische Gottessucher“ und „jüdische Freidenker“, tatsächlich eine eigene Vision der diasporischen Kunst entwickelte.
R.B. Kitaj (1932-2007) verbringt mit seiner Mutter Jeanne Brooks, Tochter russisch-jüdischer Einwanderer, und seinem aus Wien geflohenen Stiefvater Walter Kitaj seine Kindheit in Cleveland, Ohio. 1950 beginnt er mit dem Kunststudium. Zunächst in New York und Wien, ab 1957 studiert er in Oxford und wechselt zwei Jahre später nach London, wo er die nächsten 40 Jahre leben und arbeiten wird. In Englands pulsierender Metropole der 60er-Jahre etabliert sich gerade ein neue Stilrichtung, die „Pop Art“, eine farbenfrohe und plakative Kunst. Zu den Vertretern dieser neuen Avantgarde gehören Eduardo Paolozzi, Allen Jones, David Hockney und Kitaj – letztere hatten gemeinsam am Londoner Royal College of Art studiert. Als innovative Künstler empfinden sie den abstrakten Expressionismus als verstaubt und nicht mehr zeitgemäß und wenden sich deshalb der figurativen Malerei zu. Die jungen Aktivisten favorisieren, neben der tradierten Maltechnik, Collagen, Grafiken und verschiedene Druckarten als Medium.
In Erinnerung an seine Oxforder Studienzeit entsteht 1961/62 „Warburg as Maenad“, welches sich an Warburgs „Mnemosyne-Projekt“ anlehnt, einen Bildatlas, der das Weiterleben antiker Ikonographie und Mythologie von der Renaissancekunst bis in die europäische Neuzeit belegt. Den schlanken, tanzenden, rosafarbenen Frauenkörper der Mänade ergänzt der Maler mit männlicher Behaarung. In einen quadratischen Rahmen zwängt er Warburgs Kopf, den er einem Foto anlässlich dessen Reise zu den Pueblo-Indianern in New Mexiko entnommen hat. Als Collage klebt der Künstler, einen politischen Text des Historikers am rechten Bildrand ein.
„Where the Railroad leaves the Sea“, gemalt 1964, ist eine Reminiszenz an die Urlaube mit seiner ersten Frau, Elsi Roessler, in Katalonien. Zu sehen ist das sitzende Paar in dem alten Bahnhof in Sant Feliu. „ ...meine Hommage an Katalonien, an mein eigenes unzeitgemäßes Katalonien, das mich mit dazu inspirierte, ein seltsamer Jude zu werden, vielleicht der erste Jude, der sich wünschte, eine neue jüdische Kunst zu entfesseln“, so Kitaj.
Dem Thema Frauen und Prostitution widmet sich „The Rise of Fascism“ von 1980. In Anlehnung an Picassos oder Cézannes Badende evoziert das Bild auf den ersten Blick eine harmonische Badeszene am Meeresstrand, wären da nicht der anfliegende Bomber über dem schwarzen Meer und die Unheil verkündende schwarze Katze - ein Hinweis auf Manets „Olympia“ und die Ausnutzung der Frauen in der Prostitution. Die erotisch-laszive Haltung seiner drei Badenden ist, so Kitaj, ein Verweis auf die Prostitution jüdischer Frauen und deren Ausbeutung durch jüdische Zuhälter während der Nazizeit in Frankreich.
Kitaj avanciert ab den 60er- Jahren zu einem der erfolgreichsten amerikanischen Künstler. Er stellt auf diversen Einzel- und Gruppenausstellungen in Amerika, England und Deutschland aus, unter anderem 1964 und 1977 auf der Documenta in Kassel. Auf dem Zenit seines Erfolges erlebt er jedoch seine größte Niederlage, sein persönliches Waterloo. Im Juni 1994 ehrt ihn die Tate Gallery in London mit einer großen Retrospektive. Präsentiert werden 115 Exponate, die der Künstler mit erklärenden Texten ergänzt. Die Kritiken sind vernichtend, teilweise sogar bösartig: er sei ein eitler und selbstverliebter Maler, „ …der eine exhibitionistische und sexuell aufgeladene Vorstellung vom Judentum habe.“ Neben der negativen Kritik bricht aber auch ein unverhohlener Antisemitismus aus. Man findet es empörend, „ …dass sich Kitaj als Ausländer, Staatenloser, Andersdenkender, Geächteter und Jude stilisierte und mit den bedeutendsten Malern der Kunstgeschichte auf eine Stufe stellte.“ Als im September überraschend seine zweite Frau Sandra an einem Aneurysma stirbt, interpretiert er ihren Tod als Folge des öffentlichen Mobbings. In „The Killer-Critic Assassinated by his Widower, Even“ verarbeitet er seine Traumata. Als eine Art Altarbild mit Predella konzipiert, nimmt er blutige Rache an seinen Kritikern: Gerahmt von Buchcovern, welche die Rache thematisieren, stehen zwei bewaffnete Figuren und schießen auf ein medusenartiges Monster – seine Kritiker. Aus dessen Mund entrollt sich ein Spruchband „yellowpressyellopress killkillkillkill the heretic always kill heresy“.
Zutiefst verletzt, verlässt er im Jahr 1997 London und übersiedelt mit seinem Sohn Max nach Westwood, in die Nähe von Los Angeles. Bis auf kleinere Ausstellungen zieht er sich aus dem kommerziellen Kunstbetrieb zurück. Er ist ein gebrochener Mann, der den Angriff auf seine Person und den Tod seiner Frau nicht verkraftet. In innigen Zwiegesprächen sucht er verzweifelt Trost bei der Verstorbenen. Zuflucht findet er zudem in der jüdischen Mystik, der kabbalistischen Theosophie. Er beginnt Sandra als „Schechina“, die weibliche Seite Gottes, zu verehren und malt sich und die Tote als Engel in einem imaginären Raum „Los Angeles Nr. 19“. Die letzten Selbstporträts aus den Jahren 2006 und 2007 zeigen seinen physischen Verfall: einen alten, von Depressionen und der Parkinsonschen Krankheit gezeichneten Greis. Im Oktober 2007 scheidet R.B. Kitaj freiwillig aus dem Leben.
R.B. Kitaj ist ohne Zweifel einer der interessantesten Künstler der neuzeitlichen Moderne. Zeit seines Lebens ist er ein unruhiger Geist gewesen. In einer amerikanischen Kleinstadt aufgewachsen, lebte er in New York, Wien, Oxford, London, Paris, Katalonien, Amsterdam etc. Kurzum: er war ein Nomade und Weltenbummler. Ein Wanderer zwischen den Kulturen. Ein Jude, der nirgendwo heimisch war und der sich immer in der Diaspora fühlte, allerdings in einer freiwillig gewählten. Dennoch sah er darin Vorteile, bot ihm das Leben in fremden Kulturen doch die Möglichkeit eine, wie er meinte, Kunst der Diaspora und keine jüdische Kunst zu entwickeln. Ob ihm das tatsächlich gelungen ist, bleibt diskutierbar.
„Obsessionen – R.B. Kitaj“ im Jüdischen Museum in Berlin ist eine hervorragend, stringent konzipierte Retrospektive, die an das vielschichtige Lebenswerkes des amerikanisch-jüdischen Malers erinnert.
Die Ausstellung „Obsessionen – R.B. Kitaj“ ist bis zum 27. Januar 2013 zu besichtigen.
Im Jüdischen Museum Berlin, Lindenstraße 9-14, in 10969 Berlin
Ein Katalog ist erhältlich.
Öffnungszeiten: Montag: 10-22 Uhr, Dienstag-Sonntag: 10-20 Uhr, letzter Einlass für Besucher ist dienstags bis sonntags 19 Uhr, montags 21 Uhr.
www.jmberlin.de
Fotonachweis:
Header: Detail aus The Wedding, 1989-1993. © R.B. Kitaj Estate. Tate, London 2012
Galerie:
01. R.B. Kitaj in seinem Atelier, auf der Staffelei das Gemälde »Self-Portrait (Hockney Pillow)«, 1993. © R.B. Kitaj Estate. Fraenkel Gallery, San Francisco, Foto: Lee Friedlander.
02. The Jew Etc., 1976-1979. © R.B. Kitaj Estate. Courtesy of Dan Burt
03. The Rise of Fascism, 1979-1980. © R.B. Kitaj Estate. Tate, London 2012
04. Erasmus Variations, 1958. © R.B. Kitaj Estate. Tate, London 2012
05. R.B. Kitaj (1932-2007). © R.B. Kitaj Estate. UCLA Center for Jewish Studies, Los Angeles, Foto: Lewinsky
06. Unpacking my Library, 1990-1991. © R.B. Kitaj Estate
07. The Ohio Gang, 1964. © R.B. Kitaj Estate 2012. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence
08. Two London Painters (Frank Auerbach and Sandra Fisher), 1979. © The estate of R.B. Kitaj. Los Angeles County Museum of Art
09. The Murder of Rosa Luxemburg, 1960. © R.B. Kitaj Estate. Tate, London 2012
10. The Killer Critic Assassinated by his Widower, Even, 1997. © R.B. Kitaj Estate. Astrup Fearnley Museum of Modern Art, Oslo, Foto: T. Widerberg
11. Gershom Scholem, 2007. © R.B. Kitaj Estate
12. und 13. Blicke in das Yellow Studio in L.A., 2007. © R.B. Kitaj Estate, Foto: Robert Wedemeyer.
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