Bildende Kunst
Baltic Raw - Open Museum Hamburger Kunsthalle

Jahrelang schien das Plateau zwischen Kunsthalle und Galerie der Gegenwart nur BMX-Radlern und ausgewählten Großskulpturen, wie Gregor Schneiders Kaaba und der Riesenspinne von Louise Bourgeois, vorbehalten.
Doch nun hat sich Brigitte Kölle vorgewagt, das gesamte Spektrum an künstlerischen Spielmöglichkeiten auf dem quadratischen Feld hoch über der Binnenalster auszuloten. Ausgehend von einer „selbstverordneten Reflexion über die Relevanz eines Gegenwartsmuseums“ zum 15. Geburtstag der Galerie der Gegenwart lud die Leiterin des Hauses die Hamburger Künstlergruppe Baltic Raw ein, ihr „Open Museum“ auf dem Platz zu errichten: Dieses Museum auf Zeit – auch ein Projekt des Hamburger Architektursommers – versteht sich als offenes Angebot an alle Besucher: Sie sind eingeladen an allen kreativen Prozessen teilzunehmen und mit den Künstlern ins Gespräch zu kommen. Neben dem offiziellen Programm (Ausstellungen, Performances, Konzerten und Videos) können sie die Räume und Skulpturen zu jeder Tages- und Nachtzeit für sich entdecken und nutzen. Die Jugendlichen, die sich hier regelmäßig mit ihren BMX-Rädern treffen und Kunststücke einüben, haben das Open Museum bereits als Bühne erobert.

Früher, sagt Brigitte Kölle, sei Hamburg für sie immer die Stadt der „Kunst im öffentlichen Raum“ gewesen. Die Stadt, die mit großen, spektakuläre Projekten wie zuletzt „Aussendienst“ (1999-2001), kuratiert vom damaligen Kunstvereins-Chef Stephan Schmidt-Wulffen und dem Referatseiter Bildende Kunst in der Kulturbehörde Achim Könnike, die Kunst raus aus den Museen direkt auf die Straße brachte. Doch als Kölle dann im vergangenen Jahr in die Hansestadt kam, um gemeinsam mit Petra Roettig die Leitung der Galerie der Gegenwart zu übernehmen, musste sie feststellen, dass in Sachen Kunst im öffentlichen Raum kaum noch etwas zwischen Alster, Bille und Elbe läuft. Das soll sich nun ändern, denn gerade auf der Museumsinsel spielt der öffentliche Raum eine zentrale Rolle. „Man ist dem Ganzen hier so enthoben“, so Kölle. „Das wollen wir aber nicht“. Baltic Raw und ihr „Open Museum“ sollen nun dazu beitragen, die isolierte Lage aufzubrechen und Hemmschwellen abzubauen.

Als erstes fällt der optische Kontrast ins Auge. Schon von weitem signalisieren die Sperrholz-Pavillons zwischen Ungers-Kubus und alter Kunsthalle: Wir sind der glatte Gegenentwurf zum klassischen Museum! Wir sind nix für die Ewigkeit, sondern nutzen den flüchtigen Moment. Jetzt und hier entsteht die Kunst. Morgen kann es schon wieder ganz anders sein und mit unseren mobilen Raumeinheiten sind wir offen für jede Art der Veränderung.

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Sieht man sich dann diese provisorischen Bauten näher an, stellt man schnell fest, dass es Hybride aus Architektur und begehbarer Skulptur sind. Alle Räume sind an mindestens einer Seite offen, sie bieten Schutz, aber keine Grenzen. Es gibt auch keine Öffnungszeiten und keinen Eintritt, denn das Credo lautet: Offenheit auf allen Ebenen. Der Künstlergruppe geht es um gesellschaftliche Teilhabe an Kunst, um den permanenten Austausch zwischen Produzent und Konsument. Zugleich, sagt Berndt Jasper, verstehe er das Open Museum aber auch als Sinnbild für die ungerechte Verteilung der finanziellen Mittel in der Stadt. Dafür, wie wenig Geld in Kunst und Kultur fließt, insbesondere in Projekte im öffentlichen Raum: Sperrholz gegen Granit – diese Botschaft versteht man auch ohne Worte.

Gemeinsam mit der Künstlerin Móka Farkas und dem Architekten Christoph Janiesch gründete Jasper vor zwölf Jahren die Gruppe Baltic Raw. Mehrere temporäre Kunsträume installierten die Künstler und ihr Netzwerk an Partnern seitdem in Hamburg, in der HafenCity, im Oberhafen, am Glockengießerwall und zuletzt am Pulverteich, wo ein Treffpunkt der Stadtteilszene entstand, der immer noch genutzt wird.
Das Open Museum werden nun bis zum 30. September zahlreiche Kulturschaffende bespielen (hauptsächlich abends von Do-So). Noch nicht alle Programmpunkte stehen fest, nur so viel: Die Fahnen von Rocko Schamoni flattern bereits im Wind. Filomeno Fuscos und Viktor Kégis Arbeit „Winterdienst im Schüttelbild“ mit dem Untertitel „Ein-Euro-Jobber“ (sobald Passanten einen Euro in einen Münzautomaten werfen, verrichtet ein Mann in einer Box voll Kunstschnee „Winterdienst“) ist noch bis zum 26. August zu sehen und am 27. August laden Carsten „Erobique“ Meyer und Jacques Palminger zu einem „Open Recording“ ein.

Fest steht auch bereits, das Tjorg Douglas Beer die von ihm initiierte „2nd Berlin Kreuzberg Biennale vom 6. bis 9. September auf die Plattform der Hamburger Kunsthalle bringen wird. Am 7. September feiert die Galerie der Gegenwart ihren 15. Geburtstag im Open Museum mit dem Mandolinenorchestra Kapaikos aus Berlin und dem DJ Hell und Dunkel. Und am 23.9. beginnt dann allmählich der Rückbau durch die Stuttgarter Künstler- und Architektengruppe „Umschichten“ zerlegt das Open Museum, um es im Lichthof der Galerie der Gegenwart skulptural aufzuschichten.

Was in der Zwischenzeit sonst noch passiert, hängt vor allem davon ab, wie gut die Hamburger das Angebot annehmen und welche spontanen Aktionen in den kommenden Wochen in und um diese „Schutzräume“ laufen. Vielleicht wird es ja wirklich eine Mischung aus „Galerie und Trash, Bühne und Club“. Oder einfach: Ein Museum für alle.

Baltic Raw – Open Museum, noch zu sehen bis zum 30. September 2012 auf der Hamburger Museumsinsel, Glockengießerwall, 20095 Hamburg.
Header: Open Museum. Alle Fotos: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Berndt Jasper
02. Móka Farkas

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