Bildende Kunst
Hammershøi und Europa – Ein dänischer Künstler um 1900

In der Münchner Innenstadt herrscht reges Treiben: die Sommersonne brennt, das Thermometer zeigt 30°C, und kein Lüftchen regt sich.
Doch es gibt sie, eine Oase der Ruhe, mittendrin. In ihren vorschriftsmäßig auf 20° Grad gekühlten Räumen, in bilderfreundlichem sowie an solchem Tag auch äußerst angenehmen Museumsklima, zeigt die Kunsthalle der Hypo- Kulturstiftung eine Retrospektive des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi (1864-1916).

Wenn Hammershøi Menschen zeigt, dann schweigen diese. Zumeist ist nur eine Figur zu sehen, Blicke und Gesten sind reduziert, häufig wenden die Figuren dem Betrachter den Rücken zu. Aber auch bei En-Face-Darstellungen gibt es keine Kommunikation nach außen.

Modell steht besonders häufig des Künstlers Frau Ida, neben Einrichtungsgegenständen in seinen diversen Kopenhagener Wohnungen in den Jahren um 1900. Hammershøis Farbpalette ist limitiert, die Räume kaum möbliert, die Wände kahl. Die Bilder an der Wand sind leer. Auf dem Notenblatt am Klavier fehlen die Noten.

Leise ist auch Ida, die dem Betrachter meist den Rücken zuwendet und selbst wenn sie einmal doch in dessen Richtung blickt, ihre Augen ins Leere wandern lässt. Hammershøis Bilder werfen Rätsel und Fragen auf.
Mal ist die Figur sitzend dargestellt, mal steht sie, sie sieht aus dem Fenster, liest, sitzt am Klavier oder einfach an einem Tisch. Oft sind Hände und Gesicht unsichtbar. Der Künstler verbirgt was die Figur gerade tut. Portraitiert sie nicht, erzählt uns nichts von ihr, außer dass sie wie ein Möbelstück in die Wohnung gehört.

"Das Bild der Frau" ist eines der neun Kapitelräume, in die die Ausstellung aufgegliedert ist. Nur im ersten einführenden Raum portraitiert Hammershøi seine spätere Frau tatsächlich.
Die Ausstellungsbeschriftung klärt im Kapitel “Die Frau im Blick” über das in Dänemark im Jahr 1908 eingeführte Kommunalwahlrecht für Frauen auf.

Ida ist kein symbolistischer Vamp, sondern ruhig und vor allem: zuhause – darf noch nicht wählen. Er betrachtet sie, beobachtet sie und versteht sie nicht. Sie ist ihm ein schönes, geliebtes, doch melancholisches Rätsel. Ihre Welt bleibt ihm verschlossen, er weiß nicht, ist sie glücklich?

Auch die Möblierung gibt Rätsel auf. Wo sind die Stühle? Warum werfen die Tischbeine Schatten in verschiedene Richtungen? Zu welchem Zweck stehen die Möbel überhaupt in dieser Anordnung? Warum steht ein Tellerchen mit Butter, nebst zweier großer Teller auf dem Tisch, wie bei “Interieur mit Frau am Klavier, Strandgade 30” aus dem Jahr 1901? Kein Besteck, nichts womit die Butter gegessen werden kann und keine Stühle. Ist sie womöglich gar nicht alleine? Sind die beiden Teller ein Symbol der Hoffnung? Einer Hoffnung auf heimelige Zweisamkeit? Hammershøi gibt keine Antworten und betont als scheinbar wichtigstes Element der Komposition die messerscharfen Faltlinien der leuchtend weißen Tischdecke, auf die der Blick des Betrachters als Tischnachbarn fällt.

Auch im Landschaftskapitel, das unter der Überschrift “Die entzauberte Natur” läuft, wird seine Vorliebe für klare Kompositionen und seine sachliche Herangehensweise deutlich. Hammershøis zeitlose und menschenleere Natur fasziniert. Sie ist zeitlos sachlich, ohne Spuren menschlichen Lebens.

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Die Werke hängen gemeinsam mit denen der Worpsweder Künstler Hans am Ende (1864-1918) und Fritz Overbeck (1896-1909) sowie dänischer Zeitgenossen und einem pointilistischen Wäldchen von Charles Seurat (1859-1891).
„Hammershøi und Europa. Ein dänischer Künstler um 1900“ zeigt eben nicht nur Werke Hammershøis, sondern auch solche von Zeitgenossen deren Stil den Künstler geprägt haben, solche, die er selbst inspiriert hat und auch solche, die das Klima Europas um 1900 durch ähnliche Ausdrucksweise oder Themengebiete illustrieren.
Besonders großen und sichtbaren Eindruck auf Vilhelm Hammershøi machten Arbeiten des Amerikaners James McNeill Whistler (1834-1903) und des französischen Malers Eugène Carrière (1849-1906). Auf Werke beider Künstler stieß er bei Reisen nach Paris und London. Die Ausstellung der Münchner Kunsthalle vereint Gemälde aller drei Maler.

Whistlers „Anordnung in Grau und Schwarz Nr.1 – Die Mutter des Künstlers“ aus dem Jahr 1871 ist wohl das bekannteste Bild der Ausstellung und wird erstmals in München gezeigt. Monumental thront die Mutter des Künstlers im Profil, gehalten in verschiedenen Grau- und Schwarztönen auf einem einfachen Holzstuhl. Die Ausstellung widmet dem Ölbild ein kleines eigenes Kabinett mit der Betitelung “Das Portrait”, mit dem Hinweis, dass der Zusatztitel: “Die Mutter des Künstlers”, erst nachträglich hinzu gefügt wurde. Es darf alleine wirken, hat eine Wand für sich. An den flankierenden Seiten befinden sich dreimal Hammershøis Mutter und fünf weitere Portraits verschiedener europäischer Zeitgenossen.

Dieser „moderne nordische Vermeer”, so nannte ihn der Kritiker Georg Biermann als er 1909 mehrere Werke Hammershøis anlässlich der X. Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast sah: „Der wundervolle Däne Vilhelm Hammershøi, dessen Bilder sicherlich mit zu dem Besten gehören, das die heutige Internationale zu vergeben hat, bedeuten nichts als die Lyrik der absoluten Ruhe und Weltabgeschiedenheit, wobei dieser moderne nordische Vermeer in den durchsichtig weichen Silberglanz, von dem seine Innenräume erfüllt, seine Gestalten umschlossen sind, ein malerisches Mittel von beinahe musikalischer Gewalt besitzt.“
 Dieses Zitat findet sich im großen Interieur-Kapitel der Ausstellung in dem an Hammershøis Seite wundervolle kleine bunte Innenräume von Edvard Munch (1863-1944), wie das aufgewühlte „Nacht in Saint-Cloud”, 1893 und zwei Ölbilder Pierre Bonnards (1867-1947) voll verschiedener Muster an den dunkelvioletten Wänden hängen. Hammershøi zieht die klare Linie und einer reduzierten Farbpalette, farbenfrohen Mustern und wildem Pinselstrich vor. Immer wieder finden sich seine Lieblingsmotive: seine Frau. Der Lichteinfall ist ihm wichtig.

Doch nicht auf allen Arbeiten Hammershøis sind Menschen abgebildet, nicht einmal auf allen Interieur-Darstellungen. Es gibt sie auch pur. Ein Unterkapitel ist zum Beispiel konsequenterweise dem “leeren Raum” gewidmet. Auch hier zeigt er immer wieder die eigene Wohnung und ausgewählte Orte, an denen er sich gerne aufhielt.

Auf “Interieur der großen Halle im Lindegaarden”, 1909” vertieft sich der Künstler ganz in die Stuckatur an Wänden und Decke eines historischen Saales, die Holzdielen am Boden verschwimmen zusehends. Keine Figur, keine Farbe und kein Möbelstück lenken ab.

Ein letztes großes Kapitel der Münchener Ausstellung widmet sich schließlich der “leeren Stadt”: Hammershøi scheint die Zeit anzuhalten und zeigt weder moderne Bauten, noch Fabriken, sondern historische Denkmäler. Kein Mensch, kein Auto, kein Tier ist zu sehen.

Die Retrospektive schafft einen Überblick über alle seine Schaffensphasen und bettet den Künstler in den Kontext seiner Zeitgenossen und seiner Epoche ein. Gezeigt werden Bilder die auf- und miteinander wirken.

Zum Abschied sehen die Besucher Vilhelm Hammershøi auf seinem späten “Selbstportrait” (1911) melancholisch. Ein Flügel des Fensters in seinem Rücken ist geöffnet und in seiner vom linken Bildrand angeschnittenen Hand hält er einen Pinsel. Kein Rätsel wird hier mehr aufgegeben, er verrät was er gerade tut, schaut heraus aus seinem Rahmen. Vilhelm Hammershøi stirbt im Jahr 1916.


Hammershøi und Europa – Ein dänischer Künstler um 1900
Noch zu sehen bis zum 16. September 2012
In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, in 80333 München
Ein Katalog ist erhältlich.

Fotonachweis:
Header: Vilhelm Hammershøi, Detail aus Interieur, Strandgade 30, 1901 Öl auf Leinwand, 62,4x52,5 cm. Foto: © Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover
Galerie:
01. Vilhelm Hammershøi, Innenhof. Strandgade 30, 1899, Öl auf Leinwand, 65,7x47,3 cm. © Toledo Museum of Art, Ohio, (Schenkung der Apollo Society)
02. Vilhelm Hammershøi, Interieur mit einer Frau am Klavier, Strandgade 30, 1901 Öl auf Leinwand, 55,9x45,1 cm. Privatsammlung. Foto: © Maurice Aeschimann
03. Vilhelm Hammershøi, Interieur mit Porzellanterrine, 1904, Öl auf Leinwand, 78,5x57,5 cm. I K H Prinzessin Benedikte von Dänemark
04. Henri Fantin-Latour, Die Lektüre, 1877, Öl auf Leinwand, 97x130 cm. Musée des Beaux-Arts de Lyon. © Lyon MBA, Foto: Allain Basset
05. Vilhelm Hammershøi, Interieur mit jungem lesenden Mann, 1898, Öl auf Leinwand, 64,4x51,8 cm, Die Hirschsprungsche Sammlung, Kopenhagen. © SMK-Foto, Jakob Skou-Hansen & Riccardo Buccarella
06. Vilhelm Hammershøi, Interieur mit Porzellanterrine, 1904. Öl auf Leinwand, 78,5x57,5 cm. I K H Prinzessin Benedikte von Dänemark
07. Vilhelm Hammershøi: "Portrait eines jungen Mädchens" Die Schwester des Künstlers, Anna Hammershøi, 1885 Öl auf Leinwand, 112,4x91,3 cm. Die Hirschsprungsche Sammlung, Kopenhagen. Foto: © SMK-Foto, Jakob Skou-Hansen & Riccardo Buccarella
08. Vilhelm Hammershøi, Interieur der großen Halle von Lindegården, 1909, Öl auf Leinwand, 77x118 cm. © Sikorsky Family Collection
09. Vilhelm Hammershøi, Blick auf Schloss Christiansborg, Spätherbst, 1890-92, Öl auf Leinwand, 115,5x147,5 cm. Statens Museum for Kunst, Kopenhagen. © SMK-Foto, Jakob Skou-Hansen & Riccardo Buccarella
10. Vilhelm Hammershøi, Die Jüdische Schule in der Guilford Street, London, 1912-13, Öl auf Leinwand, 51x41,5 cm. © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen. Schloss Gottorf, Schleswig

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