Das Römer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim
- Geschrieben von Christel Busch -
Es sind nicht nur die namhaften Museen in Hamburg, Berlin oder München, die mit archäologischen Sensationen locken.
Ein kleines Haus in Hildesheim im Süden Niedersachsens kann mit den Institutionen der Großstädte durchaus konkurrieren: das Römer- und Pelizaeus-Museum. Mit seiner Sammlung ägyptischer Altertümer erlangte es internationale Reputation. Zum Inventar des Hauses gehören rund 8.000 Exponate aus dem Alten Ägypten. Exponate von unglaublicher Faszination.
Die in Hildesheim gesammelten Kunst- und Kultgegenstände aus den Grab- und Tempelanlagen geben einen tiefen Einblick in die über 4.000 Jahre alte Kulturgeschichte des Pharaonenreiches. Die Sammlung spannt einen Bogen von der Frühgeschichte, weiter über die Epochen des Alten - bis Neuen Reiches, der ptolemäischen und römischen Periode bis zur christlich-koptischen Zeit. Schwerpunkt ist das Alte Reich, um 2707 bis 2170 v. Chr. Eine Zeitspanne in der die Pyramiden und die Ruhestätten in Gizeh mit den Gräbern der Eliten und hohen Beamten errichtet wurde. Es war die erste Blütezeit ägyptischer Kulturgeschichte. Dementsprechend kostbar sind Dekorationen und Ausstattungen dieser Grabanlagen, die der Nachwelt die religiösen Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter vermitteln. Daneben thematisiert die ständige Ausstellung auch das alltägliche Leben der Menschen am Nil sowie den Götter- und Totenkult mit seinen Bestattungsritualen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts finanzierte Wilhelm Pelizaeus, ein wohlhabender in Kairo lebender Geschäftsmann, mehrere Ausgrabungen auf dem Plateau von Gizeh. Hier, zu Füßen der riesigen Pyramiden des Cheops, Chephren und Mykerios, lagen die Friedhöfe der hohen Beamten. Die Grabanlagen, Mastabas (arabisch: Bank), bestanden aus einem Oberbau aus Stein oder Lehmziegeln mit geböschten Wänden. Über tiefe, senkrechte Schächte war der Unterbau erreichbar, in dem sich die Grabkammer mit dem Sarkophag und die Magazine mit den Grabbeigaben befanden. Lagen die Kulträume zunächst separat neben der Mastaba, wurden sie später in den Oberbau integriert. Es entstanden häufig mehrere Räume für den Totenkult, die dekoriert waren mit Szenen aus dem Leben des Verstorbenen. Im westlichen Teil des Oberbaus lag ein Serdab, ein zugemauerter Raum mit Scheintür, sowie eine Kultkapelle mit Opfertisch. Im Serdab standen die Statuen des Grabinhabers - sie dienten als Stellvertreter für den Toten und garantierte sein Fortleben im Jenseits. Durch die Scheintür konnte der Ka, die Seele des Toten, den Serdab verlassen und rituell an der Opferzeremonie teilnehmen.
Die Gräber waren, anders als von den Menschen erhofft, keine „Häuser für die Ewigkeit“. Denn bereits in der Antike wurden sie von Grabräubern geplündert. Während heute neu entdeckte Antiken dem jeweiligen Land gehören, teilten sich damals die Finanziers der Grabungen die Funde. So gelangten durch „Fundteilung“ zahlreiche wertvolle Artefakte aus den Mastabas von Gizeh in den Besitz Pelizaeus. 1907 schenkte er seine Sammlung der Stadt Hildesheim, die, seit der Gründung des Museum 1911, den Grundstock der Kollektion bildet. Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte das Haus kontinuierlich seine Sammlung, sodass heute ein facettenreicher Querschnitt durch alle Epochen gegeben ist: Reliefs und Statuen, sogenannte Ersatzköpfe, Scheintüren, Stelen, Mumien und Sarkophage sowie Dienerfiguren, welche die Versorgung des Toten im Jenseits garantieren sollen.
Eine Attraktion ist die Sitzstatue des Hem-iunu, die 1912 in Gizeh gefunden und im selben Jahr nach Hildesheim gebracht wurde. Die stark beschädigte Figur stand hinter der Scheintür im Serdab. Die lebensgroße über eine Tonne schwere Statue aus Kalkstein ist inzwischen restauriert und präsentiert sich dem Besucher in imposanter Schönheit. Die alterslosen, idealisierten Gesichtszüge, der fleischige Körper mit der Fettleibigkeit von Bauch und Brustpartie sind in meisterlicher Bildhauerkunst modelliert und deuten den hohen Status des Grabherrn an. In der Tat, war Hem-iunu unter Cheops der höchste Beamte seiner Zeit. Er war Wesir, Mitglied der königlichen Familie und gilt als Baumeister der Cheopspyramide.
Eine bemalte Reliefplatte aus seinem Grab zeigt ihn an einem Speisetisch sitzend, der beladen ist mit köstlichen Speisen und Getränken, welche seine Versorgung im Jenseits sichern: Brote, Rindfleisch, Geflügel, Wein und Augenschminke; ein zweiteiliges Handwaschgeschirr dient der Reinigung. Früchte und Getreide ergänzen seine Speisung.
Das Highlight der Ausstellung ist die Nachbildung der Grabkammer des Sen-nefer aus dem Neuen Reich, 18. Dynastie (um 1430 v. Chr.). Er war unter Amenophis II. Bürgermeister von Theben. Der Grabnachbau mit seinen reichen Dekorationen entführt den Besucher auf eine Zeitreise in eine längst vergangene Kultur.
Das Originalgrab des Sen-nefer, auch als Grab mit der Weinlaube bekannt, liegt am Berghang von Schech Abdel Quarna auf dem Westufer von Theben. Einer Nekropole, in der sich die Gräber von etwa siebzig hohen Beamten befinden. Die Grabanlage bestand aus einer Kultkammer mit einem vorgelagerten Hof, der von einer Mauer aus ungebrannten Ziegeln umgeben war. Während die Kapellenräume mit den Wandmalereien und auch der Hofbereich heute weitestgehend zerstört sind, hat sich die unterirdische, tief in den Fels gehauene Grabkammer mit ihren Malereien gut erhalten. Der Eingang, der in pharaonischer Zeit mit einer kleinen Pyramide geschmückt war, liegt an der südlichen Seite des einstigen Hofes. Steinstufen führen in die 12 Meter tiefe unterirdische Anlage mit Vorraum und Pfeilerhalle. Durch einen breiten Gang erreicht man die Halle mit vier quadratischen Pfeilern. Wände, Pfeiler und Decken der Räume sind mit heute teilweise noch sehr gut erhaltenen Wandmalereien überzogen. Der Grabraum war früher mit einer Holztür und dem Nekropolensiegel verschlossenen. Ob Sen-nefer und seine Frau tatsächlich in diesem Grab bestattet wurden, ist nach den derzeitigen Quellen nicht belegbar.
1826 besuchte der Engländer Rober Hay de Linplum erstmals die Anlage und fertigte Zeichnungen an, die aber erst 1898 von dem Ägyptologen Philippe de Virey publiziert wurden. Im Auftrag des Römer- und Pelizaeus-Museum begannen in den 1990er-Jahren französische Ägyptologen den Pfeilersaal im Grab des Sen-nefer zu vermessen und die Wandmalereien zu fotografieren - die Reproduktion des Vorraumes konnte aus technischen Gründen nicht ausgeführt werden. Ein architektonischer Unterbau aus Polystyrenplatten wurde im Maßstab 1:1 gebaut. Um eine möglichst originale Wiedergabe des felsigen Gesteins zu erhalten, überzog man die Vorderseite der Platten mit einer Harzschicht. Die im Kodak-Pathe-Verfahren hergestellten Fotos wurden anschließend wie Abziehbilder auf den Unterbau geklebt, kleinere Fehler retuschiert, sodass sich der etwa sieben Meter im Quadrat große und knapp drei Meter hohe Pfeilersaal dem heutigen Betrachter in einem fast originalen Zustand präsentiert. Seit 2002 ist das Grab des Sen-nefer fester Bestandteil der Ausstellung.
Sen-nefer war als Bürgermeister von Theben eine wichtige, einflussreiche und wohlhabende Persönlichkeit. Er gehörte zur gesellschaftlichen Elite und genoss das Vertrauen seines Königs. Anders als in den Gräbern des Alten Reiches finden sich in seinem Grab keine Szenen aus dem Alltagsleben. Das Bildprogramm hat rein funerären Charakter. Das heißt: Die teilweise wandhohen Illustrationen zeigen Begräbnis- und Jenseitsrituale sowie Wiedergeburtsriten, welche zur Reinkarnation des Verstorbenen erforderlich sind.
Die Szenen sind eingebettet in dem, die Sockelzone umlaufenden schwarz gerahmten Streifen in Rot und Gelb und einem Band aus mehrfarbigen Rechtecken, Weinranken oder Chekerfries, ein Schutzsymbol aus verknoteten Pflanzen. Die gewölbte Decke des Raumes überspannen Weinranken mit üppigen Früchten sowie teppichartige Baldachine mit Schachbrett- und Zickzackmustern. Auf der Reise durch das Totenreich wird Sennefer von seiner Frau Merit in der symbolischen Gestalt der Isis oder Hathor begleitet. Sie ist es auch, die die Regeneration und Wiedergeburt des Körpers durch Gaben von Myrrhe und Weihrauch, Essen und Getränke, magischen Amuletten und Lotusblüten vollzieht. Mit dem Lotus spendet sie ihm den lebenswichtigen Atem, erweckt all seine Sinne und seine Sexualität, damit sein Ka in dem neuen Leben existieren und am Tage aus dem Grab heraustreten kann.
Die Wanddekorationen faszinieren nicht nur durch ihre Ästhetik sondern auch durch ihre religiöse Symbolsprache, ihre Farbig- und Lebendigkeit. Ein imaginärer Windhauch scheint durch den Grabraum zu wehen, der die Baldachine im Winde sich bauschen lässt. Magischen Charakter haben die unzähligen hieroglyphischen Opfer- und Beschwörungsformeln, welche die Götter der Unterwelt gnädig stimmen sollen für ein ewiges Leben im Jenseits. Die dargestellten luxuriösen Sitzmöbel, variierende Kleider und Perücken sowie kostbarer Kopfschmuck, Pektorale und Armbänder geben Einblick in das Leben der elitären Oberschicht vor fast 4.000 Jahren.
Der Name des Museums geht zurück auf die Hildesheimer Bürger Hermann Roemer (1816-1894) und Wilhelm Pelizaeus (1851-1930), die mit ihren Sammlungen und Spenden zur Gründung des Hauses im Jahr 1911 beigetragen haben.
Der jetzige, viergeschossige Neubau, im Mai 2000 offiziell eröffnet, ersetzt einen Vorgängerbau aus dem Jahr 1959. Errichtet nach den Plänen der Braunschweiger Architekten Gerd Lindemann und Florian Thamm, besteht die moderne Architektur aus zwei rechteckigen Baukörpern, deren Längswände mit Naturstein verkleidet sind. Eine glasüberdachten Freitreppe verbindet beide Häuser und die Ausstellungsetagen. Beim Ostbau sind die Frontseiten verglast, welche dem Gesamtkomplex eine architektonische Leichtigkeit geben. Vom Glaspavillon auf dem Dach hat man einen Panoramablick über die Stadt. Der ansonsten geschlossene Westbau präsentiert sich im Erdgeschoss mit Glasfernstern; hier liegt der Eingangsbereich des Museums. Von dieser Seite ist durch einen Glasgang die historische Franziskanerkirche St. Martini erreichbar, die heute Teil des Römer- und Pelizaeus-Museums ist.
Es sind nicht nur die altägyptischen Kunstwerke aus den Grab- und Tempelanlagen des pharaonischen Reiches, sondern auch die Sammlung präkolumbianischer Artefakte aus der Andenregion, die chinesischen Porzellane der Ming- und der Qing-Dynastie oder die paläoanthropologischen Objekte, die einen Museumsbesuch zu einem sinnlichen Erlebnis machen. Hinzu kommen hochkarätige Sonderausstellungen, die dem Haus ein überregionales Renommee verschafft haben.
Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim
Am Steine 1-2
31134 Hildesheim
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10 - 18 Uhr, montags geschlossen (ausgenommen Feiertage) für Gruppen auf Anfrage geöffnet.
24. und 31. Dezember: geschlossen, 25. und 26. Dezember: 10 - 18 Uhr , 1. Januar: 10 - 18 Uhr
www.rpmuseum.de
Fotonachweis:
Header: Deatial aus: Das Grab des Sen-nefer, © Roemer- und Pelizaeus-Museum
Galerie:
01. Außenansicht Römer- und Pelizaeus-Museum,© Roemer- und Pelizaeus-Museum
02. Modell einer Mastaba, © Roemer- und Pelizaeus-Museum
03. Scheintür des Iri-en-achti, genannt Iri; Kalkstein, Giza, Westfriedhof, Grabung Steindorff 1903; Altes Reich, 6./8. Dynastie, um 2200 v. Chr. Vatikan, Museo Egizio Gregoriano, MGE 22775 (Geschenk W. Pelizaeus 1903), © Vatican Museums
04. Standfigur des Memi; Hildesheim, Pelizaeus-Museum, Inv.-Nr. 2; Kalkstein, bemalt aus Giza, Westfriedhof, Mastaba D 32; Altes Reich, 6. Dynastie, um 2250 v. Chr. © Roemer- und Pelizaeus-Museum. Fotograf: Sh. Shalchi
05. Hockfigur des Sa-Hathor; Hildesheim, Pelizaeus-Museum, Inv.-Nr. 10; Granodiorit, Herkunft unbekannt; Mittleres Reich, 12. Dynastie, um 1870 v. Chr. © Roemer- und Pelizaeus-Museum. Fotograf: Sh. Shalchi
06. Schreiberfigur des Der-senedj; Granit, Giza, Westfriedhof, Grabung Ballard 1902; Altes Reich, 5. Dynastie, um 2450 v. Chr.; Berlin, ÄMP 15701, © Staatliche Museen
07. Sarkophag des Kaj-em-nofret; Pelizaeus-Museum, Inv. Nr. 3177
Rosengranit, Giza, Südfriedhof, Mastaba G II S.
Altes Reich, 4. Dynastie, um 2480 v. Chr.
©Roemer- und Pelizaeus-Museum (Sh. Shalchi)
08. Dienerfigur: Bierbrauer; Kalkstein, bemalt, Höhe 36 cm, Breite 11 cm, Tiefe 19 cm; Giza, Westfriedhof, Grab des Djascha (D 39/40); Altes Reich, 5.–6. Dynastie, um 2400–2300 v.Chr. Hildesheim, PM 18, © Roemer- und Pelizaeus-Museum, Sh. Shalchi
09. Die Grabstatue des Wesirs Hem-iunu; Pelizaeus-Museum, Inv. Nr. 1962; Kalkstein, Bemalungsreste, Giza, Westfriedhof, Mastaba G 4000
Altes Reich, 4. Dynastie, um 2530 v. Chr. © Roemer- und Pelizaeus-Museum (Sh. Shalchi)
10. Fayence-Kacheln aus dem Grab des Königs Djoser; Fayence, grün glasiert; Sakkara, Djoser-Bezirk, Südgrab; Altes Reich, 3. Dynastie, um 2670 v. Chr. © Roemer- und Pelizaeus-Museum (Sh. Shalchi)
11. Das Grab des Sen-nefer, © Roemer- und Pelizaeus-Museum
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