Bildende Kunst
Viviane Gernaert und Florian Breetzke: „Schichten“

Das Kunstforum Markert zeigt in seiner neuen Ausstellung „Schichten“ Werke zweier junger, in Hamburg lebender Künstler.
Viviane Gernaert (*1976) studierte Kunst am Institut Superieur de Peintre in Brüssel und an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Florian Breetzke (*1974) absolvierte sein Kunststudium an der University British Columbia Canada und an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Beide Künstler arbeiten mit unterschiedlichen Techniken und Stilen: Viviane Gernaert mit Objekten und Kohlezeichnungen, Florian Breetzke mit Malerei, Drucken und Zeichnungen. Ihre Art und Weise des Vorgehens und Arbeitens ähnelt sich jedoch, denn beide Künstler bauen ihre Werke in Schichtungen auf. Das verwendete Material spielt hierbei ebenso eine zentrale Rolle wie die Arbeitsweise des übereinander, aufeinander und drum herum Schichtens. Aus einem Nukleus heraus bilden sich so reale und suggestive Räume. Viviane Gernaert benutzt Gewebe und Stoffe, die sie in fixierte Faltungen verwandelt. Um einen Polystyrol-Kern formt sie mit weißem Stoff die gewünschte Figur in einer derartigen spannungsvollen Ungenauigkeit, dass der Betrachter nicht umhin kommt, an elegante Bewegung zu denken. Florian Breetzke lässt viele Farbschichten übereinander und ineinander laufen, die Landschafts- oder kosmischen Raum ergeben. Er scheut sich nicht, auseinander strebende Materialen wie öl- und wasserhaltige Farben zu benutzen, die sich auf der Leinwand abstoßen oder lediglich Inselbildungen zulassen. Zusätzlich sorgt der Künstler mit vieldeutigen Titeln dafür, dass auch eine Bedeutungsvielschichtigkeit entsteht.

Momente von Bewegung
Viviane Gernaert bezieht sich in ihrem plastischen und zeichnerischen Werk auf zeitgenössische Filme des Genres Martial Arts und auf das Kampfspiel abgerichteter Hunde. Beide Interessensgebiete sind mit dem Begriff Gewalt zu fassen.
Schaut man sich allerdings die Plastiken und Zeichnungen aufmerksam an, so verliert sich dieser Begriff schnell, denn die starren, kraftvollen Bewegungsmomente, die sichtbar bleiben, wirken derartig ästhetisch, dass jedes Moment von Gewalt, Brutalität und Kampf ausgeblendet erscheint.
Ihre, aus fixierten Geweben und Tuchen bestehende Figuren sind Momentaufnahmen eines Bruchteils von Bewegung. Bewegung und Handlung gehen dabei eine kausale Beziehung ein, weil sie einen entscheidenden Moment der filmischen Vorlage repräsentieren: Lauf, Sprung, Kampf oder Sturz reihen sich als skulpturale Augenblicke aneinander. Wie der tatsächliche Ablauf weitergehen könnte bleibt nur dem Filmkenner vorbehalten, den anderen verbleibt ihre Fantasie.
Die Objekte sind keine klar umrissenen Figuren, vielmehr überlässt die Art und Weise der „wehenden“ Erscheinungen deren zeitliches Vorher wie Nachher dem Betrachter. Dabei scheint es der Künstlerin wichtig zu sein, dass die Figuren anonym bleiben, denn die Gesichtsfelder sind verhüllt. Mit dieser Maßnahme hebt sie die Figuren in eine Stellvertreterrolle, in der wir uns alle wiederfinden können oder in die wir unsere eigenen filmischen oder realen Bezüge verpacken können.

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Die in Zellan gegossenen und glanzlackierten Hundeskulpturen bestätigen trotz unterschiedlicher Materialität auf gleichem Wege die Ästhetisierung von Kampfszenen ohne deren Idealisierung. In ihnen spielt jedoch gegensätzlich zu den Gewebeskulpturen nicht die Instabilität den Tenor, sondern das ineinander verkeilte Kraftspiel. Das gegeneinander zweier kämpfender Hunde ist zeitgleich das miteinander der physischen Bewegungsrichtung, die sich in den festgebissenen Köpfen als Knoten verdichtet. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den von der Künstlerin gewählten Verzicht von Farbigkeit. Die Hunde sind porzellanhaft weiß oder klavierlackfarben schwarz.

Die Handzeichnungen – Kohle auf Papier – sind gegenüber den Objekten feine, filigrane Linienführungen und Schraffuren. Sie dienen nicht der bloßen skizzenhaften Überlegung für Skulpturen, sondern sind als eigenständiger serieller Werkbereich anzusehen. Allein wie Viviane Gernaert die miteinander ringenden Hunde auf dem Papierträger komponiert und vergleichbar den Skulpturen, eine ungeheure Dynamik kreiert, bestätigt diese Behauptung. Auch in ihren Zeichnungsreihen sind Aufmerksamkeitszentren zu finden, die Bewegung bündeln oder hervorheben: die Stärke der Schraffur, die Ausarbeitung der Details und die ihr gegenübergestellte Fragmentierung.

Vielschichtig
Florian Breetzkes Werk ist kaum älter als zehn Jahre, zählt man seine Studienzeit in Hamburg und Kanada hinzu. Was sich allerdings in diesem Zeitraum künstlerisch entwickelt hat, ist bemerkenswert und zeigt eine breite Facette der sensiblen malerischen und zeichnerisch-grafischen Kraft des Künstlers.

Seine Bildwerke sind thematisch dual an der Tierfigur und der Landschaft orientiert. Letztgenannte kann äußerst farbig, manchmal sogar schrill und beißend sein. Dennoch hat die Mehrzahl seiner Bilder auch eine düstere, mystische und bedrückende Seite. Seine Formensprache reicht innerhalb eines Bildes vom amorphen, nebulösen Farbraum bis zur festen geometrischen und architektonischen Gegenfigur. Die dadurch ausgelöste Gefühlsambivalenz beim Betrachter führt wie bei einem guten Film dazu ‚dran’ zu bleiben, sich magisch angezogen zu fühlen und zum Interesse den Dingen der Bilderwelt Breetzkes auf den Grund zu gehen. Allerdings wird man den Grund weder erblicken noch erreichen, dafür hat der Künstler gesorgt, denn er arbeitet intuitiv, prozessual und weicht Festlegungen aus. Er benutzt ein weites Feld an Stilvariationen, was darauf schließen lässt, dass ihm die malerische Auseinandersetzung eine wichtigere ist als die inhaltliche.
Zudem scheinen viele seiner Betitelungen auf reinen visuellen Inspirationen zu beruhen, die erst nach Fertigstellung des jeweiligen Bildes bestimmt werden.
Lediglich die eine erwähnte Motiv-Art will sich immer wieder deutlich neben dem Landschaftsraum in den Vordergrund rücken: die eines Tieres. Diese Modellierungen der animalischen Formen tauchen in allen Werkkomplexen immer wieder auf.

Für alle Arbeiten gilt gleichermaßen, dass Florian Breetzke wie ein Alchemist vorgeht, das Experimentieren dem wissenschaftlichen Forschen vorzieht. Diese Arbeitsweise ist immens erfrischend, denn sie zeigt Seiten der Kunst, die auf dem abwechslungsreichen Verhältnis von Prinzip und Zufall, von Humor und Ernsthaftigkeit und von Naivität und Erfahrung beruht.


„Schichten“ mit Werken von Florian Breetzke und Viviane Gernaert
Laufzeit: 28. Oktober 2011 bis 15. Januar 2012
Zur Ausstellung erschienen zwei Kataloghefte.
Öffnungszeiten nach Vereinbarung: Tel. (04321) 8701-0
Eintritt frei

Kunstforum Markert
Droopweg 31
20537 Hamburg
www.kunstforum-markert.de

Foto- und Abbildungsnachweis:
Header: Florian Breetzke: Detail aus „Landschaft 4“, 2007, Öl auf Leinwand
Galerie:
01. Viviane Gernaert: Closer, 2009, Stoff, Styropor, Metall, 105 cm x 70 m x 60 cm. Foto: Viviane Gernaert
02. Viviane Gernaert: Amores Perros II, 2010, Zellan, Lack, 29 x 33 x 20 cm, Ed. 3 + 1 A.P. Foto: Matthias Leupold
03. Viviane Gernaert: Böser Hund, 2011, Stoff, Pigment, Epoxidharz, Glasfaser, Metall, 44 x 82 x 30 cm. Foto: Stefan Heine
04. und 05: Viviane Gernaert: Dogs 2.5 - 2.8 (4 von 8 Zeichnungen), 2011, Kohle auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Viviane Gernaert
06. Florian Breetzke: Landschaft 5, 2007, Ölfarbe auf Leinwand, 150 x 200 cm
07. Florian Breetzke: Nebula, 2009, Ölfarbe und Eitempera auf Leinwand, 150 x 200 cm
08. Florian Breetzke: Universum, 2009, Ölfarbe und Eitempera auf Leinwand
09. und 10. Florian Breetzke: Aus der Serie „Raw Bodies”, 2008 Tusche, Fineliner auf Papier, 42 x 60 cmalt

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