Teresa Margolles: „Frontera“ – minimalistisch, eindringlich, nachhaltig
- Geschrieben von Claus Friede -
Teresa Margolles ist Künstlerin, ausgebildete Gerichtsmedizinerin und lebt in Mexiko City.
In dieser Kombination ihres Tuns und Umfeldes steckt schon eine gewisse Brisanz, denn Margolles holt den Alltag aus Mexiko in europäische Museen.
Ciudad Juárez, eine Millionenstadt an der Grenze zum US-Bundesstaat Texas, nimmt seit Jahren eine traurige Spitzenposition in der Verbrechensstatistik Mexikos ein. Mit ihrer Ausstellung „Frontera“ reflektiert Teresa Margolles über den von der organisierten Kriminalität in der Stadt und allgemein, in der mexikanischen Gesellschaft, verursachten Schmerz, über die Ohnmacht und die Aussichtslosigkeit, mit Mitteln, die jeden Ausstellungsbesucher packen.
Ciudad Juárez steht beispielhaft für die Vorgehensweise, die Brutalität und Rücksichtslosigkeit des national und international vernetzten und menschenverachtenden Verbrechens und gleichzeitig für die Machtlosigkeit von Polizei und Staatsorganen. Neben dem Besonderen der Stadt und ihrer Situation fokussiert Margolles jedoch auch immer das Allgemeine. Die Grenze ist immer auch das Limit.
Sich künstlerisch diesem Themenkomplex anzunehmen ist eine schwierige Aufgabe und zweischneidige Angelegenheit. Teresa Margolles Werke schaffen das mit erstaunlich einfachen Mitteln, aber großer Eindringlichkeit. Während ihre Arbeiten auf den ersten Blick formal minimalistisch, aber nicht ‚clean’ erscheinen mögen, offenbaren sie ihre tiefe Emotionalität und Dramatik erst, wenn das Publikum ihrem scharfen Realismus jenseits des sichtbaren auf die Spur kommt. Ihre Objekte, Texte und Videoarbeiten haben allesamt eine eigene fokussierte Geschichte, die ergründet werden wollen. Die Künstlerin gibt klare, eindeutige Hinweise in ihrer Materialwahl: Wenn Wasser von der Decke auf heiße Metallplatten tropft und zischend verdampft, dann handelt es sich um kein klares Leitungswasser, sondern um Wasser, mit dem Leichen gewaschen wurden („Plancha“, 2010). Symbolisch zischt ein Leben dahin, in Ciudad Juárez sieben pro Tag gewaltsam.
Wenn eine unverputzte Mauer im Raum steht, so ist sie keine Hofabgrenzung, sondern eine mit vielen Einschusslöchern. Vor ihr wurden zwei Polizisten von der Drogenmafia erschossen.
„Muro Baleado Ciudad Juárez“, 2010 und „Muro Baleado Culiacán“, 2009 wurden in Mexiko ab- und im Bozener Museion wieder aufgebaut.
Die Arbeit „Cubo“, 2010 bezieht sich auf die Vergnügungsmeile Calle Mariscal im ehemaligen Künstlerviertel in Juárez, wo früher US-Stars wie Nat King Cole, Frank Sinatra oder Marilyn Monroe auftraten. In diesem eine Tonne schweren braunschwarzen Block verarbeitete Teresa Margolles die Metallreste abgerissener Gebäude dieser Gegend – das Gewicht der Erinnerung, symbolisch in einer Skulptur verdichtet.
In eine der Ausstellungswände sind fünf Worte eingekratzt: „Ya Basta Hijos De Puta“, 2010 („Genug, Ihr Hurensöhne“), ein Satz der in den Körper einer aufgefundenen weibliche Leiche in Tijuana, an der ‚Frontera’, der Staatsgrenze zu den USA, eingeritzt wurde. Diese Brisanz schneidet sich wohl in die Gefühlswelt eines jeden Ausstellungsbesuchers tief ein und verdeutlicht die forensische wie künstlerische Erfahrung Margolles. Margolles geht in vielen Arbeit wahrlich an und über eine Grenze hinaus, und so ist es auch kein Wunder, dass die Ausstellung im eher konservativen Bozen für Diskussionen sorgt und die Frage der Zumutbarkeit gestellt wird.
Neben den unterschiedlichen Installationen wird in der Südtiroler Hauptstadt zum ersten Mal „¿Cuánto dolor puede soportar una Ciudad?“, 2010 („Wie viel kann eine Stadt aushalten?“) gezeigt - eine im Videoformat dokumentierte Aktion in Juárez (Mexiko), Kassel (Deutschland) und Bozen (Italien). „Leiden gehören zur Geschichte jedes Ortes“, sagt Teresa Margolles und weiß aber gleichzeitig auch, dass die Leiden und die Schmerzen an den drei unterschiedlichen Orten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Die beiden Fragen „Wie viel kann eine Stadt ertragen?“ und „Wie viel Schmerz kann eine Stadt ertragen?“ wurden auf schwarze T-Shirts von zehn freiwilligen Helfern gedruckt. Diese stehen oder bewegen sich performativ in den jeweiligen Stadträumen. Die Künstlerin verweist so auf den öffentlichen Raum, jenseits des Museums und alle Museumsbesucher nehmen die Fragen, Bilder und Gedanken mit sich, wohin sie auch gehen.
Diese Ausstellung ist bis zum 28. August 2011 im Museion, Dantestraße 6, in I-39100 Bozen (Südtirol), zu sehen.
Fotonachweis:
Header: "Plancha", 2010; Foto: Museion Bozen
Galerie:
1. Detail aus "Plancha", 2010; Foto: Claus Friede
2. "Muro Baleado Culiancán", 2009; Foto: Museion Bozen
3. Detail aus "Muro Baleado Culiancán", 2009; Einschusslöcher; Foto: Claus Friede
4. "Muro Baleado Ciudad Juárez", 2010; Foto: Claus Friede
5. „Ya Basta Hijos De Puta“, 2010 und „Plancha“, 2010 (rechts); Foto: Claus Friede
6. Blick in die Ausstellung: „Plancha“, 2010 und "Muro Baleado Culiancán", 2009 (links); Foto Claus Friede
7. „¿Cuánto dolor puede soportar una Ciudad?“, 2010; Foto: Claus Friede
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