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Die Ausstellung „Present Memories“ im Kunstforum Markert in Hamburg zeigt rund 50 Werke dreier Künstler: Viola Matthies aus Hamburg, Gerwin Eipper aus München und des in Dannenberg lebenden Malers Hieronymus Proske.
Im englisch sprachigen Haupttitel steckt zunächst die Übersetzung: gegenwärtige oder derzeitige Erinnerungen. Gemeint sind also jene Erinnerungen, die wir von heute aus denken – rückwärtsgewandt. Betont man jedoch in dekonstruktivistischer Manier den ersten Begriff anders, so kommt man zu einem anderen Sinnzusammenhang und der Bedeutung von Geschenk, Gabe oder Wert. Erinnerungen sind demnach Gaben unseres Gedächtnisses. Der US-amerikanische Gehirnforscher Eric Kandel formulierte es so: Wir sind was wir sind, weil wir lernen, denken und erinnern. Das ist das große Thema dieser Ausstellung. Jedoch zielgerichtet. Im Fokus sind Kindheits- und Jugenderinnerungen. Und schließlich steckt auch das Präsentieren von Erinnerungen in der Überschrift. Diese Auslegung ist als ein Angebot zu verstehen, in die künstlerische Welt einzutauchen, um den eigenen Assoziationsketten Raum und Zeit zu geben.
Im Zentrum der Ausstellung stehen in erster Linie neben subjektiven Wahrnehmungen historisch-persönlicher Zusammenhänge aus einer aktuellen Perspektive, auch kollektive Wahrnehmungen die sich aus der Darstellung eines allgemeingültigen Wissens ergeben.
Die drei Künstler unterschiedlicher Generation beschäftigen sich inhaltlich mit Phänomen dieses Erinnerungsfeldes, projizieren dieses auf die eigene und allgemeine Kindheit und Jugend. Die Ausstellung präsentiert Werke, die unterschiedliche Aspekte von Erinnerungen thematisieren oder die sich teilweise gegenseitig ergänzen.
Die meisten Arbeiten zeigen Portraits von Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen, die sich in sehr unterschiedlichen Situationen, an verschiedenen Orten und in diversen Vergangenheiten befinden. Verweisen einige der künstlerischen Produktionen rückwärts gewandt, in die Vergangenheit, so zeigen andere, dass Erinnerung sehr deutlich vom Blick aus dem Hier und Jetzt heraus definiert ist. Gemachte Erfahrungen spielen dabei eine wichtige Rolle, denn sie beeinflussen unsere Blicke auf die eigene und allgemein historische Vergangenheit.
Selbst wenn kein menschliches Wesen auf den Werken zu sehen ist, so bestimmt zumindest ein Ort oder eine Situation konkret oder fiktiv Erinnertes. Dabei spielt die Landschaft eine besondere Rolle, die als Erinnerungsraum lokalisiert wird oder sich sehr häufig als innere Landschaft psychologisch spiegelt.
Soweit zu den konventionellen Sichtweisen.
Das Ausstellungsthema hat darüber hinaus auch unkonventionelle, zeitgemäße also gegenwärtige Aspekte, nämlich dann, wenn man von der These ausgeht, dass die Erinnerung an sich künstlerisches Material sein kann. Was analog alle drei Künstler individuell tun, aber insbesondere in der kommunikativen Speerspitze der Schau, ist eine kreative Nutzung zur Herstellung von Erinnerungen. Es ist die Schaffung von hybriden Räumen aus denen wir Erinnerungen kreieren können vor dem Hintergrund unserer persönlichen und kulturellen Identität oder unseres filmischen Bildgedächtnisses.
Der polnische-britische Philosoph und Soziologe Zygmunt Bauman spricht von „flüssiger Moderne“ und meint damit, dass geographische und gedankliche Grenzen in der heutigen Zeit zerfließen. In Abwandlung seines Begriffs, möchte ich von flüssigen, dynamischen Zuständen sprechen. Genau hier sind die Werke der Künstler eingebettet: Die Reflexion ist filterlos und kommt ohne eigene Lebensanekdoten daher. Sie ist eine, die zunächst das Ich des Künstlers (zumindest bei Eipper und Proske deutlich) abstrahiert und entleert, bevor sie wieder aufgefüllt werden kann, respektive liquide von uns Betrachtern mitgefüllt wird.
Die zwei unterschiedlichen Generationen (Proske einerseits und Eipper und Matthies andererseits) spiegeln sich augenscheinlich – aber auch gegensätzlich – im Interesse an Biographien und Identitäten per se wider und wie sich die Protagonisten in den Bildern präsentieren. Bei Matthies und Eipper wird dies in der Art und Weise der Selbstpräsentation der Figuren deutlich, dargestellt als harter Fakt mit persönlicher Aussage. Bei Proske klingen neben den leicht verschwommen Protagonisten immer auch imaginäre Antagonisten: anonym, abwesend aber vorhanden und gefiltert mit. In dessen Werken präsentiert sich das Gegenüber nicht, Hieronymus Proske hält die Identität offener, undefinierter und distanzierter.
Für die Besucher der Ausstellung eröffnen sich somit Blicke auch in die eigene Vergangenheit, Kindheit und Jugend, weil alle drei Künstler es schaffen, allgemein gültige Aussagen und gleichzeitig unabhängige persönliche Assoziationen in uns auszulösen, die zu weiteren kommunikativen Prozessen führen.
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