Der Titel klingt harmlos, fast langweilig, die Ausstellung jedoch überrascht nicht nur mit unerhört kritischen Inhalten, sie fasziniert und bezaubert auch wie kaum eine ihrer Art: „Flowers Forever – Blumen in Kunst und Kultur“ im Bucerius Kunst Forum geht tatsächlich bis an die Schmerzgrenze.
Bei dem Thema denkt man sicher zunächst an niederländische Blumenstillleben des 17. Jahrhunderts und die Blumenwiesen Claude Monets. Doch damit ist die Rolle der Blumen längst nicht erschöpft.
„Flowers Forever“ aus München (in Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum) bietet einen opulenten und höchst sinnlichen Überblick von der Antike bis in die Gegenwart, vom Christentum bis zum Islam und Buddhismus, der deutlich macht, wie vielschichtig die Bedeutungsebenen von Blumen sind. Denn Blumen waren und sind nicht nur begehrte Statussymbole, dekorativer Schmuck und Bestandteil edler Parfums, sie sind vor allem auch mythologische, religiöse, politische, romantischen und sexuelle Symbole; ein wichtiger Faktor für Ökologie und Ökonomie. „Wir haben hier sehr breit gedacht“, sagt Kuratorin Franziska Stöhr, die diese Ausstellung nach Kapiteln wie “Zwischen Kunst und Wissenschaft“ oder „Zwischen Repräsentation und Widerstand“ gegliedert hat – sie hätte es nicht betonen müssen, man sieht es auf Anhieb.
Allein schon die Ausstellungsarchitektur ist mal wieder ein Genuss: Den Auftakt macht eine riesige Blumen-Weltkarte, die auf die ursprüngliche Herkunft der Arten verweisen. Die Karte wird flankiert von fantastischen Blüten-Modellen aus Pappmaché, die im 19. Jahrhundert der Lehre dienten. Die Wissenschaft hat Priorität, das zeigt auch die großformatigen Fotografie „Honey-Flower“ (2022) des Konzeptkünstlers Maximilian Prüfer. Seine Arbeit richtet den Fokus auf die Tatsache, dass in China Bäume mittlerweile von Hand bestäubt werden, da unter Mao erst die Spatzen und dann die Insekten ausgerottet wurden. Ein paar Schritte weiter geht es um die ökologische Rolle der Tulpe in den Niederlanden im 17. Jahrhundert: Ein satirisches Gemälde voller Affen von Jan Brueghel dem Jüngeren (1601–1678) spielt auf die damalige Tulpenmanie an, die für den ersten Börsencrash der Geschichte verantwortlich war (eine einzige Tulpenzwiebel erreichte den Wert eines Hauses – bis die Blase 1637 platzte). Darauf spielt auch die Videoinstallation der Künstlerin Anna Ridler von 2019 an, in der sich Tulpenblüten entsprechend der Kursentwicklung des Bitcoins öffnen und schließen.
Jan Brueghel d. J.: Satire auf die Tulpenmanie, ca. 1640, Frans Hals Museum, Haarlem, erworben mit Unterstützung der Rembrandt Gesellschaft
So steckt hinter jedem Kunstwerk eine Geschichte, die sich zu erfahren lohnt. Die Geschichte sexualisierter Gewalt während der Kolonialzeit beispielsweise, der Kapwani Kiwanga buchstäblich Raum gibt: Einen (schmerzhaft) grellgelben Raum für zwei Pflanzen des Pfauenstrauchs, wunderschön und hochästhetisch. Kiwanga bezieht sich in ihrer Installation auf die Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647–1717), die in ihren Aufzeichnungen notierte, dass die versklavten Frauen in Surinam die Samen des Pfauenstrauchs als natürliches Abtreibungs- und Verhütungsmittel nutzten.
Spannend auch die Geschichte des chinesischen Künstler Ai Weiwei, der während seines Hausarrestes in Peking jeden Tag ein Blumenbouquet im Fahrradkorb vor der Tür platzierte und nun den „Fahrradkorb mit Blumen“ in Porzellan als Sinnbild des friedlichen Widerstands ausstellt. Oder die Erkenntnis, dass westliche Erwachsene heute zwar rund 1.000 Logos und Markennamen kennen, aber keine zehn einheimische Wildpflanzen mehr – Grund für Tracey Bush eine Wildpflanzen-Collage aus Verpackungsmaterial anzufertigen.
Es geht in dieser Schau kreuz und quer durch die Jahrhunderte, alle Kunstsparten sind vertreten, aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist vielmehr die Auswahl der einzelnen Exponate: So kostbar, so zwingend und dabei so unkonventionell kombiniert, dass es eine Lust und Freude ist, sich durch die Räume treiben zu lassen – einzutauchen in den fantastisch farbeprächtigen, virtuellen Blumengarten von Miguel Chevalier (eine interaktive Installation mithilfe von Algorithmen); den Duft von Rebecca Louise Laws Installation aus 150.000 Trockenblumen aufzunehmen, oder ein paar Minuten vor der hinreißenden Computerarbeit von Rob und Nick Carter zu stehen. Ihr vorgeblich klassisches „Blumenstilleben“ verändert sich nämlich (fast) unmerklich. Aber um das zu beobachten, braucht es Zeit.
„Fowers Forever – Blumen in Kunst und Kultur“
Zu sehen bis 19. Januar 2025 im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, in 20457 Hamburg.
Öffnungszeiten: täglich 11:00–19:00 Uhr, donnerstags 11:00–21:00 Uhr
Weitere Informationen (Bucerius Kunst Forum)
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