Bildende Kunst

Christo (1935–2020) und Jeanne-Claude (1935–2009) sind seit den 1960er Jahren aus dem Kunstbetrieb nicht wegzudenken. In einer Zeit als Pop-Art, Minimal-Kunst, Land-Art und die Konzeptkunst entstanden, gingen der in Bulgarien geborene Christo und die in Marokko geborene Jeanne-Claude über Paris, 1964 nach New York. Der „Big Apple“ erschien beiden als idealer Ort, um die Kunst zu machen, die ihren Vorstellungen entsprach.

 

Dass in der quirligen Stadt am Hudson River die Konkurrenz nicht schlief, die Aufbruchstimmung durch amerikanische und europäische Künstler noch weiter angeregt wurde, mag ein weiterer Grund für die Umsiedlung gewesen sein.

 

Christo und Jeanne-Claude hatten bis dato an ein paar Ausstellungen mit Objekten, Projektideen und Modellen teilgenommen wie beispielsweise die „Wrapped Packages and Objects“ der späten 1950er, frühen 60er Jahre.

 

Für ein erstes Aufsehen sorgte die im Juni 1962 errichtete Mauer aus 240 metallenen Ölfässern („Wall of Oil Barrels – The Iron Curtain“, Rue Visconti, Paris, 1961–1962), die das Künstlerpaar nach Christos Rückkehr aus Köln, als Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer im August 1961, in der Rue Visconti errichtete. Acht Stunden lang regelte das Kunstwerk den Verkehr mit Unpassierbarkeit.

Ölfässer sollten auch im späteren Werk der Künstler bei „The London Mastaba“, Serpentine Lake, Hyde Park London/GB, 2016–18 und dem unrealisierten Werk „The Mastaba“ Project for the United Arab Emirates (1977–heute) noch eine Rolle spielen.

 

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Das Kunstmuseum der Bodenseestadt Lindau widmet sich in einer atmosphärischen und wunderbar gemachten Ausstellungsinszenierung dem Werk der Künstler von den 60er Jahren bis zu deren Tod. In einzelnen Schritten kann man die unglaubliche Entwicklung des Künstler- und Ehepaares an vierzig Einzelarbeiten nachvollziehen, wie die Ideen immer raumgreifender und entgrenzter wurden. Grenzen gibt es, selbstredend, aber eben auch deren Überwindung. Hier liegt eine der ungeheuren Leistungen von Christo und Jeanne-Claude, dass sie sich mit den Umhüllungsaktionen ein einzigartiges und konsequentes Werk, einen internationalen Kulturraum und eine weltweite Bekanntheit geschaffen haben. Ob die Pont Neuf in Paris, die Ummantelung ganzer Küsten sowie einiger Inseln vor Miami in Florida, des Berliner Reichstags oder des Arc de Triomphe in Paris, ihre jahre-, teilweise jahrzehntelange Leidenschaft für ihre Projekte, die unermüdliche Arbeit an den Verwirklichungen, verdient Hochachtung.

Künstlerisch bewegen sie sich in den Bereichen der Objektkunst, der Skulptur, der Landart und der Konzeptkunst.

 

Eine ganze Reihe von Projekten wurden nie umgesetzt, andere wiederum, weil es Vorbilder gab. Die Genehmigung zur Umhüllung des Arc de Triomphe folgte deswegen, weil der Deutsche Bundestag nach Jahrzehnten der Diskussion der Umhüllung des Reichtags 1994 zugestimmt hatte. Jeanne-Claude wehrte sich übrigens gegen die Behauptung sie würden verhüllen. Sie pflegte zu sagen: „Wir verhüllen nicht, wir enthüllen.“ Damit hat sie sicherlich in zweifacher Hinsicht recht.

 

Christo F Claus Friede

„Wrapped Reichstag“, Berlin, 1971–1995. Ausstellungsansicht. Foto: Claus Friede

 

Der Ausstellungsrundgang ist chronologisch aufgebaut, in der Mitte findet sich ein Raum mit einem zehnminütigen Videobeitrag – ein Interview mit Wolfgang Volz, dem Werkfotografen und späteren Projektmanager der Christos. Die Räume sind abgedunkelt, die Werke leuchten entweder durch Rückprojektion oder durch Strahler. Dadurch erscheinen sie dramatisch schwebend, stechen aus der Dunkelheit hervor.

 

Alle wichtigen Arbeiten sind erfasst. Es beginnt mit den „Show Cases, Show Windows und Store Fronts“ der Jahre 1963 bis 68, Skizzen und Ideen zu verpackten Gebäuden in Manhattan, dem „Valley Curtain“, Rifle/Colorado, 1970–1972, The Gates, Central Park, New York City, 1979–2005, „Surrounded Islands“, Biscayne Bay, Greater Miami/Florida, 1980–1983 und den „The Umbrellas“, die zeitgleich in Japan und den USA der Öffentlichkeit übergeben wurden, 1984–1991. Während sich symbolisch die gelben Schirme (Trockenheit) in Kalifornien, nördlich von Los Angeles ausbreiteten wurden blaue Schirme (Feuchtigkeit) in der Präfektur Ibaraki, nördlich von Tokio aufgestellt. Und schließlich fokussiert die Ausstellung noch auf ein Projekt, bei dem Jeanne-Claude schon verstorben war: „The Floating Piers“ auf dem Lago Iseo/Italien, 2014–2016, immense, schwimmende Stoffstege, auf denen die Besucher über den See auf eine Insel und zurück gelangten. Zu empfehlen ist der Audio-Guide mit sehr guten Erzählungen und Hintergrundinformationen.

 

Das Verpacken von riesigen Gebäuden (Kunsthalle Bern, Reichstag, Pont Neuf, Gasometer Oberhausen etc.) war für die Künstler nicht nur ein künstlerischer prozessualer Akt. Christo sagte sinngemäß in einem Interview der 1970er Jahre: Was Architektur ist, wird durch das Verhüllen zur Skulptur. Die Idee Baukunst und bildende Kunst eins werden zu lassen, hat hier seinen Kern. Trotz vieler Schwierigkeiten – der Eigenfinanzierung, langwieriger Genehmigungsverfahren, das richtige Material zu finden, um die Auflagen zu erfüllen – von schwerer Entflammbarkeit bis dazu, auf Wasseroberflächen schwimmend über die temporär festgelegten Zeiträume zu überdauern – schafften es die Künstler und ihre jeweiligen Teams, ihre Projekte umzusetzen. Bis heute lassen sie uns staunen. Sie haben eine eigene Wirklichkeit geschaffen, die auch zukünftig Nachwirkungen hat. Auch das schafft die Ausstellung zu vermitteln.

 

Deutlich wird in der Ausstellung zudem der Umstand, dass zwar beide Künstler den US-amerikanischen Pass besaßen und von New York aus arbeiteten, sie aber sich als Nomaden europäischen Ursprungs gefühlt haben. Für sie konnte Kunst grundsätzlich überall stattfinden, im Kleinen wie im Großen.

 

Christo und Jeanne-Claude – als auch die Lindauer Ausstellungsmacher – lassen uns voller Respekt auf ein Lebenswerk zweier Ausnahmekünstler blicken.


Christo und Jeanne-Claude. Ein Leben für die Kunst

Zu sehen bis zum 13. Oktober 2024 im Kunstmuseum Lindau, Maximilianstraße 52, in 88131 Lindau

Öffnungszeiten: täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr

Das Museumsgebäude ist barrierefrei zugänglich.

Weitere Informationen (Museum)

 

Lesen Sie bei KulturPort.De auch:
Christo am Lago d’Iseo: „The Floating Piers“

Geschrieben von Dagmar Reichardt, Dienstag, 05. Juli 2016

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