Bildende Kunst

Verstümmelte Körper, entstellte Leichen, qualvolles Überleben in Ruinenlandschaften. Nein, nicht Gaza. Auch nicht Ukraine.

Vielmehr Bilder aus „Dix und die Gegenwart“ in den Deichtorhallen: 50 Dix-Werke im Zwiegespräch mit 100 Arbeiten von 50 internationalen Künstler*innen verdeutlichen erstmals den enormen Einfluss des genialen Vertreters der Neuen Sachlichkeit auf nachfolgende Künstler*innen-Generationen und überraschen immer wieder ob der Parallelen zwischen Heute und Gestern. Aufwühlend. Erschreckend. Unbedingt ansehen!

 

Otto Dix (1891–1969), das war der Maler mit dem scharfen, bitterbösen Blick, der „das Menschentier“ hinter der bürgerlichen Fassade frei schälte und es in all seiner Brutalität, Morbidität und Triebhaftigkeit vor Augen führte. Wer ihn kennt, denkt an seine traumatisierenden Kriegsbilder, grellen Caféhausszenen und sein karikaturistisch überzeichnetes Figurenkabinett. Die christlichen Motive und Landschaftsbilder hingegen, die der als „entartete Künstler“ gebrandmarkte Maler nach der Machtergreifung der Nazis und seiner Entlassung als Professor an der Kunstakademie Dresden notgedrungen malte, sind weit weniger bekannt; vor allem wohl, weil sie von der Kunstrezeption bislang als „unpolitisch“ abgetan wurden.

 

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Kuratorin Ina Jessen hat den Dix‘schen Landschaften in der sieben Kapitel umfassenden Ausstellung einen Schwerpunkt eingeräumt. Im Dialog mit großartigen zeitgenössischen Werken – allen voran Anselm Kiefers überwältigende Tableaus „Am letzten Tor“ und „An die Haltlosigkeit“ (2021), sowie „Balkan Baroque“ (1997), ein großformatiges Foto von Marina Abramović auf einem Berg blutiger Knochen, wird hier klar, dass auch die farblich übersteigerten Landschaften von Dix subversiv und somit politisch sind – man muss sie nur zu lesen wissen. Der blutrote Himmel in „Wald am Abend“ (1940) oder das Feuerinferno im „Gewitter im Riesengebirge“ (1942), in dem ein skelettierter Ast wie ein menschliches Gerippe mahnend emporragt, verstehen sich im Kontext früherer gesellschaftskritischer Schaffensperioden ganz ohne Frage als Anspielungen auf den tobenden Zweiten Weltkrieg.

 

DTH Yael Bartana Entartete Kunst Lebt 2010Yael Bartana: „Entartete Kunst Lebt“ (video still), 2010. © Yael Bartana. Courtesy of Annet Gelink Gallery, Amsterdam, and Sommer Contemporary Art, Tel Aviv.

 

Doch zunächst startet die Schau mit einem Dix, wie man ihn kennt und liebt: Mit seinen Tanzlokalen der 20er Jahre; der verlogenen Welt des schönen Scheins und ihren schillernden Gestalten; mit Rotlichtmilieu, abgetakelten Huren und Puffmüttern, zerlumpten Kriegskrüppel und Kleinkriminellen. In den Kapiteln „Großstadt“ und „Das Typenporträt im Umbruch“ sind sie alle versammelt und bilden mit den vielen Gegenwartsbildern und (zum Teil nicht jugendfreien) Fotografien von Nan Goldin, York der Knoefel, Tobias Zielony, Miron Zwonir ein drastisches Panoptikum tragischer, gebrochener Menschen aus der Subkultur. Deprimierend, wie wenig sich in hundert Jahren geändert hat.


„Dix und die Gegenwart“

Zu sehen bis 25.2.2024 in den Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstr. 1, in 20095 Hamburg

Geöffnet: Di-So, 11-18 Uhr, Jeden 1. Do im Monat freier Eintritt von 18-21 Uhr.

Weitere Informationen (Deichtorhallen)

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