Bildende Kunst

In Hamburgs Süden, jenseits der Elbbrücken befindet sich die Veddel, eine Insel zwischen Norder- und Süderelbe. Das ehemalige Weideland gehört seit 1768 – nach der Einigung Dänemarks und Hamburgs durch den Gottoper Vertrag – zur Hansestadt.

Heute teilt sich das viereinhalb Quadratkilometer Gebiet auf den Hafen im Westen, Wohnquartiere in der Mitte sowie das Museum BallinStadt, die einstigen Auswandererhallen, und die Industrie und Lagerhallen sind im Osten.

 

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Die große Sturmflut von 1962 traf den Stadtteil mit voller Wucht, die überwiegende Mehrheit waren Hafenarbeiter, die dort mit ihren Familien lebten. Heute stammen knapp die Hälfte der Einwohner aus anderen Ländern.

Die Architektur liebt den dunklen Backstein, die Gebäude sind mächtig und blockartig, auf den Straßen hört man viele Sprachen. Es ist ein Stadtteil mit teils geschütztem Milieustatus, vieler Kulturen und Religionen, sehr unterschiedlicher Menschen mit einem hohen Anteil an junger Bevölkerung.

 

Eine Autobahn und Bahngleise durchschneiden die Veddel von Nord nach Süd. Die meisten Züge rauschen durch, lediglich die S-Bahn hält. Der Brückenbahnhof überspannt den Müggenburger Hafen, der Nordausgang führt zum Wilhelmsburger Platz und zum Zollhafen, der Südausgang zur Harburger Chaussee und zum Busbahnhof. Allein der „schwebende“ Bahnhof ist schon etwas Besonderes, das macht ihn aber noch lange nicht schön, attraktiv oder gar zu einem besuchenswerten Ort.

Wie viele Bahnhöfe wirkt auch dieser etwas schmuddelig: aus der S-Bahn aussteigen, Treppe runter und schnell durch. Die Deutsche Bahn empfand Anfang 2022 das für keinen guten Zustand und kündigte an, den S-Bahnhof Veddel (BallinStadt) attraktiver machen zu wollen – und zwar durch Kunst im öffentlichen Raum.

 

Für den in Hamburg lebenden Street-Artist Lapiz war und ist es nach wie vor eine Herausforderung nicht nur ein repräsentatives, sondern auch ein identitätsstiftendes Kunstwerk zu kreieren. Seine erste Idee, Portraits von Bewohnern der Elbinsel auf die Wände des Bahnhofs zu bringen, wie es der französische Künstler JR mit Projekten wie „Women Are Heros“ gemacht hatte wurde aus rechtlichen Gründen, wegen mangelnder Anonymität abgelehnt.

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Doch für Lapiz, der mit bürgerlichen Namen Wenzel Czepluck heißt und studierter Biologe ist, war dies kein unlösbares Problem. Seine Idee, die auf eine wissenschaftliche Studie zurückgeht, deren Ergebnis war, dass alle heute lebenden Europäer nur sieben gemeinsame Vorfahren haben – die vor etwa 10 bis 50.000 Jahren lebten –, also wir Nachfahren von lediglich einer Handvoll Mütter sind. Somit sind wir alle miteinander verwandt, wir sind uns näher als sich das individuell darstellen lässt, wir sind miteinander verbunden, egal wo und wie wir leben. Bereits 2018 hatte der Künstler bei seinen Werk „7 Daughters of Eve“ im georgischen Tiflis Bezug darauf genommen.

 

Seit Oktober 2022 wird der S-Bahnhof Veddel durch ihn nun sukzessive neugestaltet.

 

LapizAtWork F Christian Bartsch

Lapiz bei der Arbeit. Foto: Christian Bartsch

 

Gemeinsam mit dem auf der Veddel ansässigen Fotograf Christian Bartsch und in Zusammenarbeit mit Organisationen der Veddel (zum Beispiel Made auf Veddel, das Cafe Nova oder die BallinStadt) sowie Einzelpersonen beginnt das Werk in der frühen Phase mit Fotos. Verschiedene Portraits von Menschen unterschiedlicher Herkunft wurden dann in einem zweiten Schritt miteinander kombiniert. Die Wange eines Mädchens addiert sich mit der Nase einer Frau, das Kinn stammt von einer dritten Person und so setzen sich jeweils sechs bis acht Einzeldetails zu neuen Gesichtern zusammen. Die Anonymität ist gewahrt, eine Lösung gefunden. Dennoch wirken die „Gesichter der Veddel“ authentisch, da sie nun auf Wänden um und im Bahnhof mit Schablonenpixeln aufgetragen werden, ein weiterer Filter, eine weitere individuelle Entfremdung. Die Nah- und Fernwirkungen sind daher sehr unterschiedlich. Hinzu kommen Ornamente, die Lapiz und sein Team als eine Art Tapetenmuster an vertikalen Pfeilern und Stützen ranken lässt.

 

Lapiz begann als Autodidakt in den Straßen von Dunedin (Neuseeland) zu malen. In Afrika arbeitete er in der AIDS-Forschung und verarbeitete die unbeschreiblichen sozialen Zustände zu künstlerischen Statements im öffentlichen Raum. Das anspruchsvolle großflächige Arbeiten mit der Technik des Stencil eignete er sich in seiner dritten Lebensstation, in Argentinien an. Daher auch sein spanisches Pseudonym, denn Lapiz heißt Bleistift.

In seinem Werk spiegeln sich gesellschaftliche und politische Themen sozialkritisch, unaufdringlich eindringlich, ernsthaft und konsequent, aber auch immer mit einem Augenzwinkern, wider.

Zu einer kurzen Ausstellung, Anfang Mai, die begleitend zum Entstehungsprozess der Kunst im Bahnhof in den Räumen des Kunstvereins Hyper Cultural Passengers e.V. auf der Veddel stattfand, ist ein Katalogheft entstanden.


Lapiz: „Gesichter der Veddel“

Kunst im öffentlichen Raum zu sehen im S-Bahnhof Veddel (BallinStadt), Wilhelmsburger Platz 10, 20539 Hamburg-Veddel

Weitere Informationen (Homepage Lapiz)

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