Sattsam bekannte Meisterwerke aus vertrauten Zusammenhängen zu lösen, um in neuen Inszenierungen einen frischen Bick zu ermöglichen, das hat sich die Hamburger Kunsthalle schon eine Weile auf die Fahnen geschrieben.
Was für erstaunliche Einsichten dabei zu gewinnen sind, zeigen derzeit die „deutsch-französischen Begegnungen“. Sie führen die reiche Impressionismus-Kollektion des Hauses in thematischen Dialogen vor Augen, die Gemeinsamkeiten, aber auch unterschiedliche Auffassungen links und rechts des Rheins erstaunlich klar zum Ausdruck bringen.
Zwei Mal der „Abend am Uhlenhorster Fährhaus“: Max Liebermann malte ihn 1910, Pierre Bonnard drei Jahre später. Ein und dasselbe Motiv, ein und derselbe Titel – und doch ein gewaltiger Unterschied: Während Liebermanns Freizeitgesellschaft auf der Alster heiter und sorglos stimmt, wirkt Bonnards Gemälde dramatisch aufgeladen: Im Vordergrund hell gekleidete Menschen an kleinen Tischchen, im Hintergrund dunkle Segelboote in der Dämmerung, die wie unheilvolle Schatten (des 1. Weltkriegs?) heranziehen.
Jahrzehnte lang waren der französische und der zeitversetzt einsetzende deutsche Impressionismus nach Nationalitäten und Jahrhunderten geordnet. Die erste und die zweite Generation so auseinandergezogen, dass Vergleiche nur schwer möglich waren: Manet, Monet, Renoir, Sisley oder Pissarro, auch Liebermann, hingen in der Abteilung „19. Jahrhundert“. Corinth, Slevogt, Lesser Ury, Pierre Bonnard und Edourd Vuillard in der „Klassischen Moderne“ des 20. Jahrhunderts.
Markus Bertsch und Karin Schick, die Kurator*innen beider Abteilungen, fanden gemeinsam eine bessere Lösung. Sie fassten rund 80 impressionistische Werke motivisch zusammen, und zeigen sie nun in fünf thematisch geordneten Räumen, die dem „Porträt“, der „Landschaft“, der „Inszenierten Figur“, dem „Stillleben“, sowie der „Stadt und Freizeit“ gewidmet sind.
Das Ergebnis: Ein Aha-Erlebnis nach dem anderen.
Mit einem Mal werden die Verwandtschaften zwischen Edouard Manet und dem frühen Max Beckmann augenfällig. Wie ähnlich doch die Porträts von Henri Rochefort, das Manet 1881 malte und Beckmanns Mutter-Bildnis 25 Jahre später, angelegt sind. Die Bedeutung von Camille Pissaro für den kaum bekannten Paul Baum, dessen „Toskanische Hügellandschaft“ (1928) die Farbpalette der „Wiese und Nussbaum im Frühling“ (1892) des französischen Meisters verrät.
Spannend auch der unmittelbare Vergleich zwischen Lovis Corinths „Blick auf den Köhlbrand“ von 1911 und Claude Monets „Waterloo Bridge“ von 1902. Wie positiv Corinth doch die Hamburger Industrielandschaft sieht, während Montes Schlote jenseits der nebelverhangenen Themsebrücke eher düster und bedrückend wirken.
Die neue Hängung wirkt so schlüssig und überzeugend, dass man sich fragt, warum die Hamburger Kunsthalle nicht schon längst auf die Idee thematischer Gruppen gekommen ist. Man sieht wohlbekannte Gemälde wirklich neu. Entdeckt mit einmal Mal Details, die einem früher nie aufgefallen sind. Ganz offenbar wurde hier zusammengeführt, was zusammengehört und man darf nur hoffen, dass uns diese Hängung auch nach dem Dezember 2023 erhalten bleibt.
„Impressionismus. Deutsch-französische Begegnungen“
Zu sehen bis 31.12.2023, in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr.
YouTube-Video:
Ausstellungsfilm Impressionismus. Deutsch-französische Begegnungen (5:55 Min.)
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