Bildende Kunst

Um Arbeiten der großartigen Künstlerin Anita Albus herum hat die Kunsthalle Kiel eine ungefähr hundert Arbeiten umfassende Neupräsentation ihrer Sammlung zum Thema Natur in der Kunst arrangiert, in der noch zusätzlich die Stellung von Künstlerinnen reflektiert wird.

 

In dreizehn Räumen werden Gemälde, Aquarelle, Grafiken und Plastiken zu diesen Themen gezeigt – Arbeiten unter anderem von Gerhard Richter, Emil Nolde, Paula Modersohn-Becker und Max Pechstein.

 

Ein großartiger Titel! Kann die Ausstellung halten, was er verspricht?

Trotz der Prominenz vieler Künstler: Es sind die Werke von Anita Albus, um die sich alles dreht. Albus, die in diesem Jahr 80 Jahre alt wird und deren Arbeiten seit langem von der Kieler Kunsthalle gesammelt werden, hat sich einen bedeutenden Ruf mit akkuraten Tier- und Pflanzendarstellungen erarbeitet. Zu diesem Thema gehören auch Texte zur Metamorphose der Schmetterlinge oder zum Wesen der Schildkröte, in denen es mal um Naturgeschichte geht, mal um deren Erforschung in der Geschichte. Wie ihre bildnerischen Arbeiten, so sind auch ihre Texte mit bemerkenswerter Sorgfalt erstellt. Albus hat in ihren Texten nicht geschludert, und auf ihren Bildern hat sie nicht mit dem Pinsel gewütet oder mit Farbe geklettert. Vielmehr ist jedes einzelne ihrer Bilder – fast sind es Miniaturen, so klein sind sie – mit großer Liebe zum Detail gearbeitet und verdient es, mit der Lupe angeschaut zu werden.

 

Es ist kein Zufall, dass man sich an Sibylla Maria Merian (1647-1717) erinnert fühlt, die mit ihren Büchern zur Insektenkunde ausgangs des siebzehnten Jahrhunderts Aufsehen erregte und sogar noch heute Bewunderung provoziert. Erklärtermaßen gehört Merian zu den Vorbildern von Albus. Besonders die Pflanzenaquarelle von Albus erinnern an Merian, weniger ihre Tierdarstellungen. Aber während Merian die Pflanzen vor allem abbildete, um die Ernährung der Insekten oder überhaupt ihre Umwelt zu dokumentieren, lässt Albus die Schönheit einer Pflanze auf sonst leeren Blättern ganz allein für sich sprechen. Wie sorgfältig sie malt, kann man daran sehen, dass sie gelegentlich einen Einhaarpinsel benutzt, den sie nicht absetzen darf, wenn sie einen Blumenstiel malt – es bliebe eine störende Unterbrechung der Linie zurück. Die zarten Pflanzen auf leicht getöntem Papier erinnern sehr stark an Merian, und manchmal möchte man glauben, es seien Blätter, in denen ein Botaniker seine Funde klebte.

 

Anders die meisten ihrer Tiere – deren Abbildungen wirken wesentlich artifizieller, weniger dokumentarisch; es sind viel offensichtlicher Kunstwerke, und ihr dokumentarischer Wert, der bei Merian so schwer wiegen musste, ist dagegen nicht nur unbeträchtlich, sondern bei dem heutigen Stand des Wissens zu vernachlässigen. Niemand würde Albus‘ „Sperbereule im Birkenwald“ für einen gemalten Schnappschuss halten – es ist eine Komposition, zu der natürlich auch der ein wenig an das gewaltige „Las lanzas“ von Velazquez erinnernde, nur wenig realistische Stangenwald gehört. Übrigens behandeln die „Kiefernstämme im Sonnenlicht“ von Christian Rohlfs ein ganz ähnliches Thema. Manche von Albus‘ Bildern erinnern von fern an mittelalterliche Miniaturen, und bei ihren Umschlagsillustrationen von Büchern (kleinformatigen Büchern selbstverständlich) wird man finden, dass sie unmöglich noch besser hätten passen können.

 

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Um Albus‘ Arbeiten sind viele andere Bilder und einige wenige Skulpturen aus dem Bestand der Kunsthalle organisiert: Ein Raum zeigt – das sind die ältesten Arbeiten – in dichter Hängung Stillleben und Landschaften aus dem 18. Jahrhunderts, in denen die Künstler ihre Fähigkeiten demonstrieren, auch subtilste Farbnuancen und kleinste Blütenfäden abzubilden. In einem anderen Raum, dessen Arbeiten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts stammen, werden Scherenschnitte Philipp Otto Runges mit floralen Motiven gezeigt oder zarte Bleistiftzeichnungen des Dresdners Johann Adolph Darnstedt (1769-1844) – Allegorien, deren Titel an Philipp Otto Runges Hauptwerk erinnern. Dabei denkt man zunächst, vor Jugendstilblättern zu stehen, nicht vor romantischen Werken. Wie kann das sein? Waren die Romantiker ihrer Zeit so weit voraus, oder hinkte die Ästhetik des Jugendstils ihrer Zeit um hundert Jahre hinterher?

 

In Kiel kann man noch andere Stücke der Sammlung bewundern – dazu gehören etliche Kunstwerke, bei denen sich der Zusammenhang mit dem Werk von Anita Albus nicht unbedingt erschließt. Ein schöner Raum zeigt doppelseitig gemalte Gemälde vor allem expressionistischer Künstler, ein anderer neusachliche Darstellungen von Interieur und Innenräumen, dann gibt es Menschendarstellungen, so von Emil Nolde ein antisemitisches Gemälde (fast möchte man sagen: Machwerk), das Jesus mit den Pharisäern zeigt. Ist schon die Thematik fragwürdig, so ist es noch viel mehr die klischeehafte Darstellung der beiden Juden, die aus dem »Stürmer« stammen könnte und eines Genies wirklich unwürdig ist.

 

Insgesamt ist es eine perspektivenreiche und sehr interessante Präsentation der sehenswerten Kieler Sammlung, die zu besuchen sich unbedingt lohnt – wegen Anita Albus, aber auch wegen etlicher anderer Kunstwerke. Die meisten Besucher schwärmen für Gerhard Richters „Abendstimmung“, andere lieben Emil Noldes »Dahlien und Rittersporn«, und der Favorit des Rezensenten ist das farblich wunderbare Gemälde von Max Pechstein, das den „Convent von Monterosso del mare“ zeigt.


Wildes, Wüstes, Wunderschönes. Natur im Fokus der Sammlung.

Zu sehen seit 19. Februar in der

Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1, 24105 Kiel

Künstler*innen (Auswahl):
Anita Albus, Ernst Barlach, Joseph Beuys, Peter Doig, Christoffer Wilhelm Eckersberg, Teude Grönland, Erich Heckel, Jan Davidszoon de Heem, Axel Hütte, Alexander Kanoldt, Geord Friedrich Kersting, Lina Kim, Ernst Ludwig Kirchner, Peder Severin Krøyer, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, Max Pechstein, Gerhard Richter, Pieter de Ring, Christian Rohlfs, Dieter Roth, Philipp Otto Runge, Gertrud Wiebke Schröder, HA Schult, Bernard Schultze, Renée Sintenis, Michael Wesely, Julie Wolfthorn.

Geöffnet: Di-So: 10 – 18 Uhr und Mi: 10 – 20 Uhr

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