Bildende Kunst

Die beeindruckende Sammlung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunstwerke des Lübecker St. Annen-Museums konnte durch einen schönen „Hieronymus im Gehäuse“ ergänzt werden.

Sophronius Eusebius Hieronymus (347-420) war einer der vier Kirchenlehrer, wahrscheinlich mehr als bloß eine Legende und bedeutend durch seine Übersetzungsarbeit, mit der er die Bibel aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzte. Damit war er einer der Schöpfer der „Vulgata“, der in einem eher volkstümlichen Latein verfassten Heiligen Schrift. Einerseits steht er vor uns als religiöser Asket, andererseits als ein Gelehrter, und in der Gegensätzlichkeit seiner Anlagen liegt wohl auch der Grund, warum diese Figur in einer Zeit des Übergangs den Wechsel von einem gottgefälligen Leben zu der Existenz eines Forschers symbolisieren konnte.

 

In der mittelalterlichen Kunst war das Leben des Hieronymus schon dank eines längeren Aufenthaltes in der Wüste ein beliebtes Thema. Sehr gern wurde er mit einem in seiner Nähe friedlich ruhenden Löwen abgebildet, dem er einen Dorn aus der Tatze gezogen hatte, um die Wunde danach zu reinigen und das Tier gesund zu pflegen. Was blieb dem Raubtier anderes übrig, als bei dem Heiligen zu bleiben?

 

Dürer: Hieronymus im GehäusDas zweifellos berühmteste und einflussreichste Bild des Heiligen stammt von Albrecht Dürer und zeigt ihn in seinem Studierzimmer („Gehäuse“ – dieses Wort gefällt mir weitaus besser als seine blassen Stellvertreter, schon weil es den Zeitenabstand deutlich macht). Dürers sehr verbreiteter und entsprechend einflussreicher Kupferstich von 1514 unterscheidet sich deutlich von dem Bild, das jetzt in Lübeck zu bewundern ist und das sich an einem Gemälde von Joos van Cleve (1485-1540) orientiert. Dürer stellt den Briefeschreiber Hieronymus dar und zeigt im Vordergrund nicht allein den Löwen, sondern auch noch einen Hund. Im Vergleich zu dem Bild Joos van Cleves sitzt Hieronmyus mehr im Hintergrund. Beide Bilder sind voll von Details aller Art, aber Dürers Stich ist präzise durchkomponiert, ja geradezu ausgerechnet. Das gilt besonders für den Zusammenhang des Heiligen mit seinen Attributen.

 

Die Lübecker Neuerwerbung befindet sich bereits seit 1852 in der Hansestadt und konnte aus einer privaten Stiftung und Familienbesitz angekauft werden. Das St. Annen-Museum ist vor allem für seine Sammlung spätmittelalterlicher Schnitzaltäre bekannt, besitzt aber zusätzlich eine beträchtliche Anzahl von Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts, zu denen jetzt auch der „Hieronymus im Gehäuse“ eines unbekannten Meisters gehört. Man kann dieses Gemälde in einer fast idealen Umgebung bewundern – ideal, weil der nicht zu große Raum dem „Gehäuse“ des Gemäldes mit seinen Butzenscheiben, den eingebauten, uralten Bücherschränken und der übrigen Holzausstattung so nahekommt, wie man sich das nur wünschen kann. Selbst der Fußboden sieht aus, wie er aussehen muss. In diesem Raum erglänzt das Bild wie neu, denn in einer aufwendigen Restaurierung wurde der in der Zeit gebräunte Firnis entfernt und besonders auch die Landschaft in der oberen linken Hälfte des Bildes wiederhergestellt. Das Gemälde sieht aus wie neu! Ein wenig stört vielleicht die Unausgewogenheit der Komposition, aber die hohe Qualität der sehr feinen Malerei ist mehr als ein Ausgleich.

 

Das Hieronymus-Gemälde spiegelt den historischen Ort seiner Entstehung, indem es einerseits dem Heiligen und Asketen ein Denkmal setzt, andererseits Hieronymus als einen Gelehrten darstellt, als einen Humanisten, wie sie in dieser Zeit – wir befinden uns im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts – durch Europa wanderten und mal einander mit Schriften aller Art bekämpften, mal gemeinsam an der Wiederherstellung der antiken Literatur arbeiteten. Zu Hieronymus als einer religiösen Gestalt zählt natürlich der Kardinalshut (der auch auf dem Stich Dürers nicht fehlt, aber tatsächlich ist Hieronymus nie ein Kardinal gewesen), und in den religiösen Zusammenhang gehören noch die Vanitas-Motive, also die halb heruntergebrannte Kerze, die rinnende Sanduhr und der Totenkopf, auf den der Zeigefinger der linken Hand deutet.

 

Zur Vorgeschichte des Hieronymus, nämlich zu seiner Zeit als Asket in der Wüste, gehört der Blick durch das Fenster in eine Landschaft (der Vordergrund braun, die Mitte grün, zum Horizont hin in einem blassen Blau: so gab das Mittelalter einem Raum Tiefe). Hier finden wir den Emeriten Hieronymus, und vor ihm liegt winzig klein der Löwe. Die Direktorin des Museums, Dagmar Täuber, betont angesichts dieser und noch anderer Details zu Recht die erstaunliche Feinheit der Malerei. So kann man auf dem gemalten Holz der Möbel zarteste Schnitzereien erkennen!

 

Auf den Gelehrten Hieronymus deuten die Brille (ganz vorne im Bild), selbstverständlich der Foliant und endlich der Federkiel, aber auf diesem Bild schreibt er nicht etwa Briefe wie auf Dürers Stich, sondern übersetzt die Bibel. Zu dem Bild eines Gelehrten passt das sachliche, auf die Materialität der Gegenstände gerichtete Interesse einer sich trotz des Wunderbaren realistisch gebenden Malerei. Ein wunderschönes Bild, dem ein ebensolcher Raum einen entsprechenden Rahmen gibt.


„Hieronymus im Gehäuse“

Das Werk ist im St. Annen-Museum zu Lübeck und nun in der "Studierstube" im zweiten Raum des Obergeschosses zu sehen.
Das Gemälde wurde erworben mit Mitteln aus dem Nachlass Georg Bartsch.

Weitere Informationen

 

Abbildungsnachweis:

Albrecht Dürer: „Der heilige Hieronymus im Gehäus“, 1514, Kupferstich, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD), Kupferstich-Kabinett, Signatur/Inventar-Nr.: B 60. Foto: Hans Loos

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