Bildende Kunst
Hyper! A Journey Into Art and Music - Deichtorhallen

Die Deichtorhallen in Hamburg suchen mit der Ausstellung „Hyper! A Journey Into Art and Music“ von Kurator Max Dax, ein neues, junges Publikum – und die Rechnung scheint aufzugehen. Zur Eröffnung jedenfalls war das Gedränge groß und die Stimmung so aufgekratzt wie bei einem Rockkonzert.
Doch der ganze Hype um die Inspiration zeitgenössischer Kunst durch populäre Musik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausstellung in ein Sammelsurium unterschiedlich interessanter Ansätze zerfällt.

Tock, Tock, Tock. Mit dem Hackebeilchen auf die Tasten, bis sie bersten, immer schön im Rhythmus der Hammer-Musik. Es sollte der Höhepunkt der „Hyper!“-Eröffnung in den Deichtorhallen werden, der fulminante Schlussakkord der in die Jahre gekommenen Künstler-Band „Freiwillige Selbstkontrolle“ und ihres Konzerts: „Ein Haufen Scheiß und ein zertrümmertes Klavier“. Der erste Teil wurde eingelöst, der zweite jedoch enttäuschte als müder, bemühter Abklatsch einer Klavierzerstörung. Wie sollte es auch anders sein nach gefühlten 150 öffentlichen Vergewaltigungen des Sinnbilds bürgerlicher Kultur. Im Jahr 2019 ist eine Klavierzerstörung auf der Bühne keine Provokation mehr, kein brachiales Statement gegen das Kunst-Establishment wie 1962 bei Fluxus-Protagonist George Macunias - und schon gar kein anarchischer Witz, wie einst bei den Marx Brothers. Nun steht das malträtierte Stück als Zitat in der Ausstellung und erinnert daran, dass Instrumentenzerstörung früher einmal Avantgarde war – in der Kunst und in der Rockmusik.

Galerie - Bitte Bild klicken
„Keine akademische Schau“ hatte Max Dax versprochen. „Hyper“ sei „für jeden intuitiv verständlich“. Für jeden, das hätte der Ex-Spex- und derzeitige Chefredakteur von „Electronic Beats“ dazusetzen sollen, der auf Techno steht und auf die Hamburger Band Scooter, dessen Song „Hyper Hyper“ titelgebend für diese Schau war. Für jeden, dem der Türsteher und Fotograf Sven Marquardt ein Begriff ist und der schon mal im „Epizentrum der Berliner Subkultur“, dem Berghain, abgefeiert hat. Für jeden, der zum Szenevolk dazugehört. Allen anderen jedoch gibt schon das großformatige Foto-Spalier finsterer Typen, an denen man vorbei muss, um in die Halle zu gelangen, Fragen auf. Um Bezug zu den Arbeiten herzustellen ist es durchaus hilfreich zu wissen, dass die Fassaden-Frottage des Londoner Grafikdesigners Scott King das Zuhause von Ian Curits zeigt, des legendären Leadsängers und Gitarristen von Joy Division, der sich 1980 das Leben nahm. Nur so kann man die eigentümliche Tristesse, die diese überdimensional große schwarzweiße Hauswand verströmt, wirklich einordnen. Dass Thomas Ruff – der Meister gestochen scharfer Farbporträts - seine ersten Fotos für ein Plattencover schoss. Oder dass Rutherford Chang, dessen „Plattenladen“ mit bislang 2173 Exemplaren des millionenfach verkauften „White Album“ der Beatles von 1968 zu den Highlights dieser Schau zählt, vor allem an den Gebrauchsspuren der Cover interessiert ist, durch die die Massenprodukte im Laufe der Zeit zu Unikanten wurden.

Vor allem aber sollte man wissen, dass die 60 von der Musik inspirierten Kunstpositionen, die hier willkürlich zusammengewürfelt erscheinen (darunter Arbeiten von Andreas Gursky, Daniel Richter, Rosemarie Trockel, Isa Genzken, Cosima von Bonin, Christoph Schlingensief und Wolfgang Tillmans) tatsächlich einen gemeinsamen Nenner haben. Es sind die Interviews, die der Journalist Max Dax mit den KünstlerInnen der Hyper!-Show in den vergangenen Jahren führte. „A Journey into Art and Music“ ist somit eine sehr persönliche Reise in den Grenzbereich von Kunst und Musik, in dem man sich einfach treiben lassen soll. Oder, wie Max Dax sagt, der die Ausstellung mit einer Schallplatte vergleicht: „Man kann die Nadel einfach irgendwo aufsetzen“.

„Hyper! A Journey Into Art And Music“

Zu sehen bis 4.8. 2019
in den Deichtorhallen, Deichtorstraße 1, Hamburg
Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr
Eintritt 12 Euro, erm. 7 Euro

Weitere Informationen

YouTube-Video:
- HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC Teaser
- Max Dax über HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC


Abbildungsnachweis:
Header: F.S.K. Freiwillige Selbstkontrolle: Zertrümmertes Klavier – Zerstörtes Klavier nach dem Auftritt von F.S.K. am 3. Oktober 2015 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Foto: © Stephanie Pilick//HKW
Galerie:
01. Radenko Milak, Madonna Kisses Britney, 2019, Watercolor, 48,5x35cm. © Radenko Milak, courtesy PRISKA PASQUER, Cologne. Copyright: © Radenko Milak
02. Sven Marquardt: Ohne Titel, 2012, Aus der Serie Rudel 1. © Sven Marquardt. Copyright: © Sven Marquardt
03. Andrea Stappert: Martin Kippenberger, 1986, Silver Gelatin Print ( Baryt Abzug ), 160x120cm. © Andrea Stappert. Copyright: © Andrea Stappert
04. Albert Oehlen, Schuhe, 2008, Öl, Acryl, Papier auf Leinwand, 200x230cm. Foto: Jörg von Bruchhausen. Copyright: © Albert Oehlen/VG Bild-Kunst Bonn, 2019
05. Rutherford Chang: We Buy White Albums, 2013 – 2019, Installation, Toronto. © Rutherford Chang. Copyright: © Rutherford Chang
06. Bettina Pousttchi, Die Katherina-Show, 2000, Video, 7m20, Videostill. Courtesy Bettina Pousttchi. Copyright: © Bettina Pousttchi
07. Phil Collins: britney #2, 2001, C-print auf Aludibond. Courtesy Sammlung Falckenberg/Deichtorhallen Hamburg. Copyright: © Phil Collins
08. Philip Topolovac: I’ve Never Been to Berghain, 2016, Korkmodell. © Philip Topolovac/VG Bild-Kunst Bonn, 2019. Copyright: © Philip Topolovac/VG Bild-Kunst Bonn, 2019
09. Cyprien Gaillard: Nightlife (Film stills), 2015, 3D motion picture, DCI DCP, 14:56 min. © Cyprien Gaillard. Courtesy the artist and Sprüth Magers. Copyright: © Cyprien Gaillard
10. Max Dax (Kurator der Ausstellung HYPER!) und Dirk Luckow (Intendant der Deichtorhallen Hamburg), v.r.n.l.. Foto: Henning Rogge.

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment