Bildende Kunst
Otto Dix – Der böse Blick - Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf

„Ich kumm uff keinen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich. Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt.“ Otto Dix wird beides: berühmt und berüchtigt.
Als Maler erfolglos und finanziell am Ende verlässt Dix im Herbst 1922 Dresden und zieht für drei Jahre nach Düsseldorf. In der Rheinmetropole findet er zu einem radikalen Mal- und Portraitstil von eigenwilliger Ästhetik: Mit sezierendem Blick malt Dix die Prominenz der Düsseldorfer High Society, die Kriegskrüppel des Ersten Weltkriegs. Er malt Bordellszenen mit Dirnen und Freiern. Sein berühmter Radier-Zyklus „Der Krieg“ entsteht, eine bitterböse Abrechnung mit dem Kriegsgemetzel seiner Soldatenzeit.
Rund 230 Exponate, darunter Gemälde und Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken präsentiert die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Der Fokus liegt auf den Jahren 1922 bis 1925, in denen Dix zum malenden Chronisten der maroden Weimarer Gesellschaft avanciert. Die Ausstellung ist aufgeteilt auf zwei Hallen: Die Klee-Halle mit diagonal verschachtelten Räumen, Durchblicken und abknickenden Wegen, zeigt Gemälde auf hellgrauen und lilaroten Wänden. Die Grabbe-Halle widmet sich dagegen dem Bilderzyklus „Der Krieg“, den Dix nach Skizzen aus seiner Soldatenzeit in kleinformatige Radierungen umgesetzt hat.

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Dix ist Anfang Dreißig, als er frustriert vom eigenen Misserfolg nach Düsseldorf zieht. Seine Dresdner Malerkarriere steckt in der Krise; in der Rheinmetropole erhofft er sich bessere Chancen und mehr Aufträge. Er findet Kontakt zur Düsseldorfer Kunstszene, vor allen Dingen zu der avantgardistischen Künstler-Gruppe „Das Junge Rheinland“. Die Begegnung mit der Kunsthändlerin und Galeristin Johanna Ey, von allen nur Mutter Ey genannt, soll seine Karriere nachhaltig beeinflussen. Sie vermittelt Dix den ersten bezahlten Portraitauftrag bei dem bekannten Kunstmäzen und Urologen Dr. Hans Koch. Das wenig schmeichelhafte „Bildnis Dr. Hans Koch“ zeigt den Arzt in seiner Praxis mit offenem Kittel, aufgekrempelten Ärmeln, Katheder und Spritze in den Händen. Das unrasierte Gesicht mit dem Zwicker und den vernarbten Schmissen ist vom Morphium- und Alkoholkonsum gezeichnet. Kein Wunder, dass Koch sein Portrait wenig später an den Kölner Sammler Josef Haubrich verkauft, der wiederum das Bild nach dem Zweiten Weltkrieg der Stadt Köln schenkt. Dix verliebt sich in Martha, die Dame des Hauses, in ihre Mandelaugen, den vollen Mund und die freche Pagenfrisur. „Von Dix stellte ich mir vor, da kommt ein junger Mann an mit lauter Pickeln und blonden Haaren“, erinnert sich Martha, „Er hatte wirklich blonde Haare, und vor allem war er ganz munter. Es stellte sich heraus, dass er wahnsinnig gut tanzen konnte. […] Ich war immer kolossal auf Tanzen aus, und es wurde nun beschlossen, ein Grammophon anzuschaffen. Wir haben also getanzt, und Hans hat gesoffen.“

Von Eifersucht im Hause Koch keine Spur. Hans Koch zeigt sich generös; er lässt sich von Martha scheiden und heiratet ihre ältere Schwester Maria, mit der er schon lange ein Verhältnis hat. Im Februar 1923 feiern Martha Koch und Otto Dix Hochzeit; im Juni kommt Tochter Nelly zur Welt.

Kochs Bildnis markiert den Anfang von Dix Karriere als berüchtigten Porträtisten, der seine Protagonisten jenseits gängiger Normen schonungslos und „mit bösem Blick“ in Szene setzt. Er wird der neue Star am Künstlerhimmel und der Bürgerschreck der Düsseldorfer Schickeria. „Es war schick, sich von Dix porträtieren und von seinem bösen Blick bis auf die Haut sezieren zu lassen“, so Kuratorin Susanne Meyer-Büser.
In seinen Düsseldorfer Jahren entwickelt sich Otto Dix künstlerisch weiter. Er besucht die Kunstakademie, belegt Seminare in druckgrafischen Techniken, insbesondere der Aquatinta-Technik, welche er bei seinem Radierzyklus „Der Krieg“ einsetzt. Sein Malstil, einst beeinflusst von der Dada-Phase, vom Kubismus und Expressionismus, wendet sich der Neuen Sachlichkeit zu, einer neuen, prägenden Stilrichtung der Weimarer Zeit. Für seine farbintensive Portraitkunst orientiert er sich an der Lasurmalerei der Alten Meister und nutzt - statt Leinwand - zunehmend Holzplatten als Malgrund. Nicht die Äußerlichkeiten oder das Aussehen sind Dix wichtig, sondern die Abgründe der menschlichen Psyche. Mit analytischem Blick und dem Mut zur Hässlichkeit setzt er seine Porträtierten in Szene. „Der Maler ist das Auge der Welt. Der Maler lehrt die Menschen sehen, das Wesentliche sehen, auch das, was hinter den Dingen ist“, so Dix.

Zu den Portraits in der Klee-Halle zählen unter anderen die Bildnisse von Dr. Paul Ferdinand Schmidt und Dr. med. Heinrich Stadelmann. In altmeisterlicher Manier malt Dix ein Porträt von Dr. Schmidt, Kunsthistoriker und Direktor der Städtischen Kunstsammlungen Dresden. In distanzierten Farben, dunklem Nadelstreifenanzug, weißem Hemd und grüner Krawatte sowie der Betonung von Kopf und Händen, strahlt es Kompetenz und Vornehmheit aus. Dagegen erinnert das Bild des Psychologen und Hypnotiseurs Dr. Stadelmann eher an das Zerrbild eines Monsters. Mit glühenden, rot-grünen Augen und leerem Blick, grünlicher Gesichtsfarbe, großen Segelohren, tiefen Falten und krallenartigen Händen fixiert der erfolgreiche Nervenarzt den Betrachter. Die Kunsthändlerin Johanna Ey portraitiert Dix 1924 als dicke Matrone im lila Seidenkleid vor rotem Vorhang. Auf dem runden Gesicht mit Doppelkinn und Brille steckt im schwarz gefärbten Haar ein spanischer Kamm, ein Hinweis auf ihre Liebe zu Spanien und seiner Kultur. Den Schauspieler Heinrich George inszeniert er als sitzenden, fettleibigen Koloss mit grimmigem Gesicht und stechenden Augen, die geballten Fäuste auf den Oberschenkeln ruhend. Zu den Highlights der Ausstellung gehören ohne Zweifel die Portraits der Schauspielerin Vera Simailova als „Liegende auf Leopardenfell“, die mit ihrer raubtierartigen Physiognomie den Betrachter irritiert. Und das „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“, ein leuchtendes Feuerwerk in Rottönen. Otto Dix malt die Sechsundzwanzigjährige nach einem Auftritt in Düsseldorf in seinem Atelier: Das weiße Gesicht ist ausgezehrt und maskenhaft, die grünen Augen dunkel umrahmt, der Mund grellrot geschminkt. Ein enganliegendes rotes Kleid umspannt den knochigen Körper. Die Femme Fatale der Berliner Szene sorgt mit ihren lesbischen Affären, Schlägereien und Nackttänzen „Kokain“, „Byzantinischer Peitschentanz“ und „Selbstmord“ für Skandale. Alkohol- und drogensüchtig stirbt sie drei Jahre später an den Folgen ihres exzessiven Lebensstils. Zu sehen sind auch zahlreiche Selbstportraits, in denen sich Dix als Dandy oder als Bürgerschreck mit finster-drohendem Blick und herrisch vorgeschobenen Kinn inszeniert.

Zwischen all den mit „bösem Blick“ überzeichneten Bildnissen, trifft der Besucher aber auch auf liebevoll gemalte Portraits seiner Ehefrau und seiner drei Kinder, Nelly, Ursus und Jan. Martha, zärtlich „Mutzli“ genannt, malt er zum Beispiel als Grand Dame mit breitkrempigen roten Hut, schulterfreiem Kleid und schwarzem Pelz.
Angesichts der Hyperinflation und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Weimarer Republik Anfang der 1920er-Jahre kollabiert auch der Kunstmarkt. Otto Dix ist nicht mehr in der Lage, seine Öl-Gemälde zu verkaufen. Aus ökonomischen Gründen verlegt er sich daher auf die Grafik, die Farblithografie und aufs Aquarellieren, da Papierwerke leichter zu veräußern sind als Gemälde.
Etwa 400 Aquarelle entstehen in seiner Düsseldorfer Zeit, von denen die Schau eine Auswahl zeigt. Dix, der Flaneur zwischen Bourgeoise und Bordell, findet seine Themen auf den Straßen der Großstadt, den Tanzpalästen, Bierkneipen und Cafés, der Zirkus- und Jahrmarktswelt sowie in den Bordellen und der schillernden Halbwelt von Prostituierten und Freiern. Vor allen Dingen die Bordellszenen mit Huren und Kunden, die ihre sadomasochistischen Fantasien ausleben, provozieren: „Sadisten gewidmet“ oder „Traum der Sadistin I“. 1923 wird Otto Dix der Pornografie angeklagt. Sein Strafverteidiger Hugo Simon gewinnt den Prozess vor Gericht, indem er die unzüchtigen Bilder als Warnung vor einem unmoralischen Lebenswandel interpretiert. Statt Honorar bezahlt Dix den Anwalt mit einem Porträt.

„Der Krieg“ – Ausstellung in der Grabbe-Halle
1924, der Ausbruch des Ersten Weltkriegs jährt sich zum zehnten Mal, erscheint Otto Dix' Radierwerk „Der Krieg“ im Verlag der Galerie Karl Nierendorf in Berlin: 50 Radierungen, in fünf Mappen mit jeweils zehn Abbildungen. Sie tragen Titel wie „Verschüttete“, „Toter im Schlamm“, „Sterbender Soldat“ oder „Überfall einer Schleichpatrouille auf einen Grabenposten“. Die Radierungen zeigen das grauenvolle Gemetzel des Krieges: zerstörte Landschaften, vermoderte Leichen, Soldaten mit klaffenden Wunden und zerschossenen Leibern, zerschmetterte Schädel aus denen Würmer kriechen. Wie viele andere Künstler - Max Beckmann, Franz Marc, August Macke oder Oskar Kokoschka – meldet sich auch Otto Dix freiwillig zum Militärdienst. Er dient an der Ostfront, in Flandern, in der Champagne, an der Somme und im Artois. In Schützengräben und Unterständen malt er den Horror des Krieges. Ein großes Konvolut an Skizzen und Zeichnungen entsteht, welche Dix‘ fasziniertes Interesse an den Gewalttätigkeiten des Krieges zeigen. „Der Krieg ist ebenso was Viehmäßiges: Hunger, Läuse, Schlamm, diese wahnsinnigen Geräusche [...]. Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand erlebt haben, um etwas über den Menschen zu wissen ...“, sagt er später. Im Gegensatz zu vielen seiner gefallenen Kollegen überlebt Dix das Kriegs-Inferno fast unbeschadet.

Als Otto Dix mit seiner Familie 1925 nach Berlin umsiedelt, eilt ihm der Ruf seines „bösen Blicks“ voraus. Zwei Jahre später erhält er an der Dresdner Kunstakademie einen Lehrauftrag. Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten 1933 verliert er seine Professur: Begründung „Verletzung des sittlichen Gefühls und Zersetzung des Wehrwillens des deutschen Volkes“. Seine Werke werden als „Entartete Kunst“ gebrandmarkt.

„Otto Dix – Der böse Blick“

Die Ausstellung dokumentiert eindrucksvoll seine Düsseldorfer Jahre von 1922 bis 1925. Dix ist nicht nur der provokante Bürgerschreck, sondern auch der schonungslose Chronist der Weimarer Republik und der Wegbereiter einer neuen Kunstrichtung: der Neuen Sachlichkeit.
Verlängert bis zum 28. Mai 2017

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20, Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf.

Die Öffnungszeiten sind Di-Fr von 10.00-18.00 Uhr, Sa, So, feiertags von 11.00-18.00 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.
www.kunstsammlung.de

YouTube-Video:
Otto Dix. Der böse Blick - Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Abbildungsnachweis:
Header: Fassade der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf mit Otto Dix-Banner. Foto: Christel Busch
Galerie:
01. Otto Dix – Der böse Blick, Installationsansicht im K20. Foto: Achim Kukulies. © Kunstsammlung NRW
02. Otto Dix, Bildnis der Kunsthändlerin Johanna Ey, 1924, Öl auf Leinwand, 140x90cm, erworben durch die Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen e.V., © VG Bild-Kunst, Bonn, 2016
03. Hannes Maria Flach (1901-1936) Foto von Johanna Ey mit Joseph Haubrich und Museumsdirektor Klug in Köln vor einem Bild von Max Ernst, 1928. Quelle: www.raederscheidt.com/Hannes_Maria_Flach.html
04. Otto Dix, Bildnis des Fotografen Hugo Erfurth mit Hund (Detail), 1926, Tempera und Öl auf Holzplatte, 80x100cm, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
05. Otto Dix – Der böse Blick, Installationsansicht im K20. Foto: Achim Kukulies. © Kunstsammlung NRW
06. Otto Dix, Liegende auf Leopardenfell (Detail), 1927, Öl auf Tafel, 68x98cm, Herbert F. Johnson Museum of Art, Ithaca, NY. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Foto: © Kunstsammlung NRW
07. Otto Dix, Dienstmädchen am Sonntag, 1923, Aquarell und Bleistift, 54,5x38,0cm, Otto Dix Stiftung, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Foto: © Kunstsammlung NRW
08. Otto Dix, Ellis, 1922, Aquarell und Gouache, Kunstmuseum Albstadt (Stiftung Sammlung Walther Groz). © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Foto: Kunstmuseum der Stadt Albstadt
09. Otto Dix, Herren und Damen, 1922, Aquarell und Bleistift , 56,6x47,0cm, Private Collection, Courtesy Richard Nagy Ltd., London. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Foto: © Kunstsammlung NRW
10. Otto Dix – Der böse Blick, Installationsansicht im K20. Foto: Achim Kukulies. © Kunstsammlung NRW
11. Otto Dix, Sturmtruppe geht unter Gas vor (Detail), 1924, aus: „Der Krieg“ Zyklen aus 50 Radierungen in fünf Mappen, 2. Mappe, II, 19,6x29,1cm, Otto Dix Archiv, Bevaix. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Foto: © Kunstsammlung NRW
12. Otto Dix, 1919, Fotograf unbekannt, Otto Dix Stiftung. Foto: © Kunstsammlung NRW

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