Bildende Kunst
Nikolai Astrup

„Ich wollte mich in den rohen Farben Westnorwegens waschen, um mich von all dem zu reinigen, was ich von der Kunst anderer aufgenommen haben könnte, um allen Einflüssen zu entgehen und meinen eigenen Stil zu finden."
Seinem Zitat folgend, findet Nikolai Astrup einen eigenen Stil in den farbintensiven Landschaftsbildern seiner Heimat, dem stimmungsvollen Wechsel der Jahreszeiten, den norwegischen Sommernächten, den hoch lodernden Mittsommernachtsfeuern und der traditionellen Lebensweise seiner Einwohner. Die Kunsthalle Emden präsentiert mit Nikolai Astrup einen der bedeutendsten norwegischen Maler und Grafiker, der aber außerhalb seines Heimatlandes kaum bekannt ist.

Die Sonderschau „Nikolai Astrup - Norwegen. Eine Entdeckung" ist zugleich die Jubiläumsausstellung aus Anlass des 30jährigen Bestehens der Kunsthalle und die letzte Ausstellung der Geschäftsführerin des Hauses, Eske Nannen, bevor sie in den Ruhestand geht. Die Emder Schau, die dritte und letzte Station einer internationalen Tournee durch Nordeuropa, war zuvor in der Dulwich Picture Gallery in London und im Henie Onstad Kunstsenter in Oslo zu sehen. In Emden wird der Künstler jetzt zum ersten Mal in Deutschland vorgestellt. Eine wahre Entdeckung für das deutsche Publikum!

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Über einhundert Ölgemälde, Farbholzdrucke und Archivmaterial nehmen den Besucher mit auf eine Reise durch Astrups norwegische Heimat Jølster. Nikolai Astrup, 1880 als Sohn eines Gemeindepfarrers geboren, wächst im Pfarrhaus auf einem Gehöft in Ǻlhus an der Nordseite des Jølstersees auf. Gegen den Willen des Vaters geht er mit neunzehn Jahren nach Kristiania (heute: Oslo) an die private Kunstschule von Harriet Backer (1845-1932), einer bedeutenden impressionistischen Malerinnen Norwegens. Bei Studienaufenthalten in Deutschland, London und Paris lernt er die europäische Avantgarde kennen, darunter Werke des Schweizer Künstlers Arnold Böcklin, englische Landschaftsmalereien von Richard Wilson und John Constable sowie die naive Malerei des Franzosen Henri Rousseau und japanische Ukiyo-e-Farbholzschnitte.

In Paris erkannte er den malerischen Charakter seiner Heimat, heißt es im Ausstellungskatalog: „Jener erkenntnisreiche Moment in Paris gab den entscheidenden Anstoß, Jølster zu seinem Projekt zu machen. Denn plötzlich erkannte er, wie er diese Landschaft zu malen hatte. Aufgeladen mit den Bedeutungen seiner Kindheitserinnerungen, bot ihm seine Heimat eine Fülle an Motiven, die er als ganz speziell norwegisch erachtete." Nach der Rückkehr ins heimatliche Ǻlhus im Mai 1902 entwickelt Astrup einen eigenen Malstil, eine Bildsprache zwischen Realismus und naiver Malerei.

Er malt die zerklüfteten Berge, den Jølstersee, das Pfarrhaus und den Garten sowie Bauernhäuser und die Landschaft um das elterliche Gehöft. Wunderbar sein Bild „Eine Juninacht und altes Jølster Gehöft" mit einer Wiese blühender Butterblumen. Oder „Regenstimmung unter den Bäumen der Jølster Pfarrei" und „Geburtstag im Pfarrgarten". Norwegische Sommernächte mit dem traditionellen Mittsommernachtsfeuer am 23. Juni des Jahres, gehören zu Astrups beliebten Bildmotiven – in der Ausstellung sind elf Variationen zu sehen. Andere Motive erinnern an mythische Wesen oder Trolle aus der heimischen Sagenwelt. In „Ein Morgen im März" wird eine knorrige Weide, deren Form an eine Frau erinnert, zum Troll. Kahle Äste recken sich in den Himmel. Im Hintergrund ein schneebedeckter Berg, von den Einheimischen „Eiskönigin" genannt.

In seinen Gemälden und Grafiken fängt Astrup den Wechsel der Jahreszeiten, vom Frühling, Sommer, Herbst bis zum Winter ein, das norwegische Wetter mit Regen und Wind sowie das Licht zwischen Morgen- und Abenddämmerung. Charakteristisch für die Malereien und druckgrafischen Werke sind – neben den leuchtenden Farben – die Wiederholungen einzelner Bildthemen. Bedingt durch die veränderten Luft- und Lichtverhältnissen, der Vegetation und den Stimmungen der Landschaft, entstehen so immer neue Versionen der ursprünglichen Bildkomposition.

Nach der Heirat mit der 15jährigen Engel Sunde aus Jølster zieht die Familie nach Sandalstrand, einem maroden Gehöft auf der Südseite des Jølstersees. Der Hof steht am Rand eines steilen Berghangs, mit Blick auf den See, umgeben von einem Birkenwald mit weißen Stämmen. Astrup gestaltet und erweitert das Gelände bis zu seinem Tod 1928: Er errichtet Holzhäuser mit torfbedeckten Dächern, legt Wege, Terrassen und Bäche an sowie einen Garten mit Obstbäumen, Blumen, Küchenkräutern und Gemüsen. Der Garten dient der Selbstversorgung des Ehepaares und der acht Kinder. Sandalstrand ist aber auch eine Inspirationsquelle für Astrups Malerei: „Nachtlicht, Rhabarber, Gans und Vogelkirsche" heißt eins der Ölgemälde oder „Blühender Apfelbaum". Stillleben-Interieurs wie „Wohnstube in Sandalstrand" zeigen die selbst gezimmerten Holzmöbel und die Textilien seiner Frau, einer bekannten Kunsthandwerkerin.
Sandalstrand, heute Astruptunet, wird nach dem Tod von Engel Astrup im Jahr 1966 als Museum mit Schwerpunkt auf Nikolai Astrups Leben und seiner Kunst weitergeführt.

Malerei oder Farbholzdruck, fragt sich der vor Astrups Bildern stehende Betrachter? Denn der Künstler hat von zahlreichen Gemälden Farbholzschnitte angefertigt, die kaum zwischen Malerei und Druck zu unterscheiden sind. Aber worin liegt das Geheimnis von Astrups überaus malerischen Druckgrafiken? Als Druckstock verwendet er weiches Holz, wie Erle oder Fichte. Gedruckt wird entweder auf englischem Whatman-Papier, hergestellt aus Baumwolle, oder auf japanischem Kozo-Papier, gewonnen aus dem Rindenbast von Maulbeerbäumen. Für die Papierarbeiten benötigt Astrup bis zu sechs, oftmals beidseitig geschnittene Druckstöcke. Auf den Druckstock streicht er Druckfarben auf Ölbasis und druckt dann die einzelnen Farbschichten übereinander. Er retuschiert jeden Abzug; mit einem Pinsel verändert er Farben und Textur, fügt Details hinzu oder übermalt den Druck. Ein schönes Beispiel sind die Drucke „Butterblumen-Nacht", die auf dem Gemälde „Eine Juninacht und altes Jølster Gehöft" basieren. Bei den Holzschnitten variieren die Farben der Berge, der Häuser und Landschaft in verschiedenen Nuancen, sodass sie wechselnde Stimmungen wiedergeben.

Seine Begeisterung für den japanischen Holzschnitt kommt in dem grafischen Werk „Vogel auf einem Stein" besonders zum Ausdruck: Der vertikal in den Druckstock geprägte Namenszug ist angelehnt an eine japanischen Signatur und den Stempel der Ukiyo-e-Drucke. Alle druckgrafischen Werke führt Astrup übrigens selbst aus, ohne Druckerpresse oder die Hilfe einer professionellen Druckerwerkstatt.
Mit seiner innovativen Druckgrafik gehört Nicolai Astrup – neben Edvard Munch – zu den Pionieren der norwegischen Holzschnittkunst des frühen 20. Jahrhunderts: „Hierzulande sind Munch und ich zwei der wenigen, die diesen modernen Holzschnitt ausprobiert haben."

Parallel zur Astrup-Ausstellung präsentiert die Kunsthalle Emden im Obergeschoss die eigene Sammlung zeitgenössischer Künstler aus Skandinavien. Darunter Malereien, Skulpturen und Druckgrafiken von Niels Reumert, Asgar Jorn, Per Kirkeby. Und Fotografien von Joakim Eskildsen, Miklos Gaál oder Jorma Puranen, welche inzwischen in Finnland zu den renommierten Fotografen und Fotokünstlern gehören.

Beeindruckend ist die Sammlung von Henri Nannen mit Kunst des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, die der Besucher des Hauses auf keinen Fall versäumen sollte. Nannen, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber des Magazins der „Stern", ist Stifter der 1986 gegründeten und im Jahr 2000 erweiterten Kunsthalle Emden. Seine außergewöhnliche Sammlung umfasst prominente Künstler wie Otto Dix, Karl Schmidt-Rottluff, Max Beckmann und Max Pechstein, Paula Modersohn-Becker und das berühmte Bild die „Blauen Fohlen" von Franz Marc.

Die Kunsthalle Emden, mitten in der Stadt am idyllischen Emder Stadtgraben gelegen, beeindruckt nicht nur mit ihren Kunstschätzen, sondern auch mit ihrer Architektur. Über eine kleine Holzbrücke von der „Hahnsche Insel" erreicht der Besucher den Museumskomplex mit der einheitlichen Klinkerfassade, den sägeartigen Sheddächern, dem gläsernen Vorbau mit Foyer. Rund 1.700 Quadratmeter Ausstellungsfläche verbergen sich hinter den Mauern. Mit exzellenten Bestands-Exponaten und spektakulären Sonderausstellungen hat sich die Kunsthalle Emden inzwischen einen festen Platz in der norddeutschen Museumslandschaft erobert.

„Nikolai Astrup - Norwegen. Eine Entdeckung" ist eine sehr empfehlenswerte Sonderausstellung, die es in dieser Form mit Sicherheit nicht mehr geben wird. Schon allein deshalb lohnt sich eine Fahrt nach Emden.
Zu sehen bis zum 22. Januar 2017 in der

Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, 26721 Emden.

Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags 10-17 Uhr, sonnabends, sonntags und feiertags 11-17 Uhr.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in englischer, norwegischer und deutscher Sprache.
www.kunsthalle-emden.de

Wenn Sie das Thema interessiert, lesen Sie den Beitrag: „Japanomania in the North 1875-1918. The Influence of Japan on Nordic Art and Design”


Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus: Nikolai Astrup: Bei der offenen Tür, vor 1911, Ö/L, 87x110cm, Privatsammlung. Foto © Anders Bergersen
Galerie:
01. Henrik Lund: Porträt Nikolai Astrup, 1900, Ö/L, 90x68cm, Oslo Museum © Rune Aakvik/Oslo Museum
02. Nikolai Astrup: ein Morgen im März, ca. 1920, Ö/L, 65x46,5cm. Sparkassenstiftung DNB/Die Astrup Sammlung/KODE Kunstmuseen, Bergen. Foto © Dag Fosse / KODE
03. Nikolai Astrup: Eine klare Juninacht, 1905-1907, Ö/L, 148x152cm. Sparkassenstiftung DNB/Die Astrup Sammlung/KODE Kunstmuseen, Bergen. Foto © Dag Fosse / KODE
04. Nikolai Astrup: Eine Nacht im August, Jølster, nach 1907, Ö/L, 78x102cm, Privatsammlung. Foto © Fridrik O. Bertelsen Konserveringstjenester AS
05. Nikolai Astrup: Frühlingsabend im Garten der Schmiede, 1911, OÖ/L, 80,5x91,8cm,
Privatsammlung. Foto © Fridrik O. Bertelsen Konserveringstjenester AS
06. Nikolai Astrup: Landschaft mit Kindern, ca. 1903, Ö/L, 66,5x99,5cm, Nationalmuseum für Kunst, Architektur und Design, Oslo. Foto © Jacques Lathion
07. Nikolai Astrup: Gehöft in Jølster, 1902, Ö/L, 73x100cm. KODE, Bergen Art Museum, Norway. Foto © Dag Fosse / KODE
08. Nikolai Astrup: Karges Gebirge (Kollen), 1905-1906, Ö/L, 100,2x120,3 cm. Sparkassenstiftung DNB/Die Astrup Sammlung /KODE Kunstmuseen, Bergen. Foto © Dag Fosse / KODE
09. Nikolai Astrup: Die Pfarrei, o. J., Ö/L, 101x88cm. Sparkassenstiftung DNB/Die Astrup Sammlung /KODE Kunstmuseen, Bergen. Foto © Dag Fosse / KODE
10. Nikolai Astrup: Märzstimmung am Jølstravatnet, vor 1908, Ö/L, 75x57cm, Privatsammlung, Oslo. Foto © Anders Bergersen
11. Nikolai Astrup: Freudenfeuer in der Mittsommernacht, nach ca. 1917, Ö/L, 60x66cm. Sparkassenstiftung DNB/Die Astrup Sammlung /KODE Kunstmuseen, Bergen. Foto © Dag Fosse / KODE
12. Nikolai Astrup: Stilleben-Interieur: Wohnstube in Sandalstrand, ca. 1921, Ö/L, 81,9x100,4cm. Privatsammlung. Foto © Anders Bergersen
13. Kunsthalle Emden. Foto: Kunsthalle Emden.

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