Bildende Kunst
George Grosz – Der große Zeitvertreib

Das Ernst Barlach Haus in Hamburg präsentiert bis zum 15. Januar 2017 Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken von George Grosz aus den Jahren 1912 bis 1930.

Mit bitterböser Feder entlarvt er darin das Spießbürgertum der Weimarer Republik, das Großstadtleben, die Reichen und Mächtigen aus Politik, Militär und Klerus, das Protelariat sowie das Rotlichtmilieu. Seine politischen und sozialkritischen Bildsatiren treffen den Nerv seiner Zeitgenossen. Mehrfach wird der Künstler wegen Beleidigung, Gotteslästerung und Angriff auf die öffentliche Moral angeklagt und verurteilt. Die aktuelle Diskussion um Schmähkritik und Meinungsfreiheit ist also keine Erfindung unserer heutigen Zeit.

Aus den Beständen des Düsseldorfer Museum Kunstpalast und einer Privatsammlung zeigt die Hamburger Schau rund neunzig Meisterwerke, die Grosz bis zu seiner Emigration nach Amerika im Jahr 1933 geschaffen hat. Die Mappe „Gott mit uns" und Blätter aus dem Sammelwerk „Ecce Homo" belegen Grosz' Weg vom exzentrischen Kaffeehausgänger und Großstadtflaneur zum politischen Aktivisten.

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Grosz, als Georg Ehrenfried Groß 1893 in Berlin geboren, arbeitet nach seinem Akademiestudium in Berlin als Karikaturist. Seine Motive findet er zunächst im pulsierenden Großstadtleben, den Bierpalästen und Caféhäusern. Wieland Herzfelde, Freund und Verleger von Grosz, erinnert sich an eine Begegnung im ‚Café des Westens‘: „Wie ein Plakat für die Zirkuspantomime ‚Der Tod als Verführer' saß er da: Kalkweiß gepudert, mit rotgeschminkten Lippen, in schokoladenbraunem Anzug, zwischen den Knien einen schwarzen dünnen Stock, der als Knauf einen elfenbeinernen Totenkopf hatte." Anzug, Spazierstock, später der Bowler-Hut sollen zu Markenzeichen seiner Selbstportraits werden: „Privat" oder „Menschen im Caféhaus".

Nutzt er anfangs Bleistifte für seine Skizzen, greift er bald zu Feder und farbiger Tusche – Grosz' berühmter und charakteristischer Zeichenstil entsteht. Mit präzisem Strich und verwobenen gekritzelten scharfen Linien, intensiven Farben und zersplitterten, futuristischen Bildräumen, die selbst kleinste Details akribisch erfassen, zeichnet er eine Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen. Treffsicher seine Bilder über das Leben in der modernen Großstadt. In „Straße mit Hochbahnbrücke" huldigt er dem technischen Fortschritt: pompöse Neubauten, Automobile auf den Straßen, die Hochbahn und die Straßenbahn mit ihren elektrischen Oberleitungen, die elektrische Straßenbeleuchtung, eilende Passanten. Neben der glitzernden Großstadtwelt, zeigen einige Straßenszenen aber auch die Schattenseite der Stadt mit den trostlosen Häuserfassaden, Baumskeletten, alten Gaslaternen, Bettler, Kriegsinvalide und Arbeitslose, den Straßenstrich.

Wie andere vom Krieg begeisterte Künstler meldet sich Grosz 1914 freiwillig zum Militärdienst, aus dem er allerdings ein Jahr später als „dienstunbrauchbar" entlassen wird. Nach seinen Kriegserlebnissen entwickelt er eine neue Bildsprache. Satirischer, provokanter und politischer demaskiert er die Gesellschaft der Weimarer Republik, die Kriegsgewinnler, das feiste Bürgertum, Pfaffen und Soldaten, die Doppelmoral der Spießbürger und immer wieder die käufliche Liebe in den Bordellen. „Kunst ist für mich keine ästhetische Angelegenheit. Zeichnen ist nicht Selbstzweck ohne Sinn. Kein musikalisches Gekritzel, das nur von feinnervigen Gebildeten zu erfühlen und zu erraten ist. Zeichnen hat wieder einem sozialen Zweck sich unterzuordnen. [...] Gegen das brutale Mittelalter und die Dummheit der Menschen unserer Zeit kann die Zeichenkunst eine Waffe sein – vorausgesetzt, dass ein klarer Wille und eine geschulte Hand sie ausübt", erklärt er 1924.

In dem von Wieland Herzfelde gegründeten Malik-Verlag erscheint 1920 Grosz' erste politische Mappe mit neun, als Fotolithographien reproduzierten Druckgrafiken - vorgestellt auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin. „Gott mit uns" – der Titel ist dem Koppelschloss der preußischen Reichswehr entlehnt - ist Grosz' hasserfüllte Abrechnung mit dem Militarismus der wilhelminischen Kaiserzeit, den von Soldaten und Offizieren ausgeführten Morden. „Ich zeichnete Soldaten ohne Nase, Kriegskrüppel mit krebsartigen Stahlarmen […] Einen Obersten, der mit aufgeknöpfter Hose eine dicke Krankenschwester umarmt. Einen Lazarettgehilfen, der aus einem Eimer allerlei menschliche Körperteile in eine Grube schüttet. Ein Skelett in Rekrutenmontur, das auf Militärtauglichkeit untersucht wird", schreibt er rückblickend. Der Satire wird 1921 wegen Beleidigung der Reichswehr der Prozess gemacht; Grosz vorm Landgericht Berlin angeklagt und zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt, Herzfelde zu einer Buße von 600 Mark, Druckplatten und Formen werden vernichtet.

Die drei Jahre später erscheinende Mappe „Ecce Homo" wird als Erregung öffentlichen Ärgernisses beschlagnahmt. Das Bildcover zeigt die Visage eines Zuhälters; die Mappe selbst enthält sechzehn Farboffsets nach Aquarellen sowie über sechzig Offset-Drucke nach Federzeichnungen. Vor allen Dingen die Bordellszenen, in denen Prostituierte ihre nackten Körper lüsternen Freiern anbieten, sorgen für Skandale: „Fern im Süd das schöne Spanien", „Schönheit, dich will ich preisen" oder „Entkleidung", „Promenade". Grosz und der Verlag werden nach § 184 StGB, dem ‚Unzuchtsparagraphen‘, wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften angeklagt, da etliche Blätter „das Scham- und Sittlichkeitsgefühl eines normal empfindenden Menschen in geschlechtlicher Beziehung" verletzten, und zu einer Geldstrafe von jeweils 500 Mark verurteilt. Anstößige Aquarelle und Zeichnungen werden laut Gericht aus der Mappe entfernt, darunter das Blatt „Niederkunft".

Der Untertitel der Ausstellung „Der große Zeitvertreib" bezieht sich auf den von Grosz illustrierten Gedichtband von Peter Pons aus dem Jahr 1932. Wunderbar die in der Schau gezeigte kolorierte Aquarellzeichnung „Alte Dame" nach dem Gedicht „Jungfrau". Die Illustration zeitkritischer Gedichte sind das letzte Werk, bevor Grosz ein Jahr später mit seiner Familie nach Amerika emigriert.

Das Ernst Barlach Haus stellt mit der Ausstellung einen der bedeutendsten Karikaturisten der Weimarer Republik vor. Einen Chronisten seiner Zeit, der mit analytisch-sezierendem Blick und groteskem Humor die damalige Gesellschaft in seinen Bildern entlarvt.

Die sehenswerte Schau „George Grosz – Der große Zeitvertreib" ist bis zum 15. Januar 2017 im Ernst Barlach Haus –Stiftung Hermann F. Reemtsma – Baron-Voght-Straße 50a, 22609 Hamburg, zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag (an Feiertagen auch Montag) von 11–18 Uhr, Heiligabend und Silvester geschlossen.
Ein informativer, reich bebildeter Katalog ist erschienen.
www.ernst-barlach-haus.de


Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus: Südende, 1918, Aquarell, Rohrfeder, Feder und Tusche, 46x53,5 cm. Privatsammlung Düsseldorf
Galerie:

01. Plakat mit Motiv: Passanten (Ecce Homo), 1921, Aquarell, Rohrfeder, Feder und Tusche, 48x36 cm. Privatsammlung Düsseldorf
02. Esse Homo, 1923: Dämmerung, 1922 (S I, XVI)
03. Straße mit Hochbahnbrücke, 1915, Feder, Tusche und Farbstift, 26,5x20,5 cm. Privatsammlung Düsseldorf
04. Menschen in der Straße, 1919, Rohrfeder, Bleistift und Tusche, 45x58 cm. Privatsammlung Düsseldorf
05. Ecce Homo, 1923: Akrobaten, 1915 (S I,50)
06. Der große Zeitvertreib, 1928, Feder, Pinsel und Tusch,. 45x60 cm. Privatsammlung Düsseldorf
07. Ecce Homo, 1923: Johannisnacht, 1918 (S I, X)
08. Der Trinker, 1916, Aquarell, 16,5x10 cm. Privatsammlung Düsseldorf
09. Südende, 1918, Aquarell, Rohrfeder, Feder und Tusche, 46x53,5 cm. Privatsammlung Düsseldorf.

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