Bildende Kunst
Japanomania in the North 1875-1918. The Influence of Japan on Nordic Art and Design

Gleich zwei Nationalmuseen in der norwegischen Hauptstadt Oslo widmen sich einem Phänomen in den Künsten, das vor knapp 150 Jahren ganz Europa und die Geschichte der Kunst der Moderne nachhaltig beeinflusste: die japanischen Kunst.
Auch wenn sich die Ausstellung „Japanomania i Norden“ auf die nordischen Länder und Frankreich bezieht, so ist in der Zeit zwischen 1875 und 1918 der Einfluss auch auf die mitteleuropäischen Länder und England ebenso stark gewesen und kann hier stellvertretend angesehen werden. Ohne den japanischen Einfluss könnte man sich heute den Impressionismus, die Art Nouveau-Bewegung, Victorianische Mode, die Wiener Secession und den deutschen Expressionismus kaum vorstellen.

Aufgeteilt in zehn verschiedenen Ausstellungsbereichen untersucht „Japanomania“ einerseits die Ursachen und Gründe für den Einfluss, andererseits wird an Beispielen der Kunst, des Designs, der Gestaltung, des Handwerks und von Alltagsgebrauchsgegenständen aufgezeigt, wie enorm die Bandbreite und Tiefe der Japan-Versessenheit ging. Die Entdeckung des unbekannten Landes fand in Europa statt, genauer gesagt auf den Weltausstellungen in Wien (1873) und Paris (besonders die von 1878). Nach der Öffnung Japans im Jahr 1850 durch US-amerikanische Intervention begann nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der kulturelle Austausch.

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Dabei war kaum ein Künstler, Handwerker, Fotograf oder Gestalter zur vorletzten Jahrhundertwende jemals in Japan gewesen, vielmehr unternahmen französische, englische, deutsche und skandinavische Sammler, Ästheten und Kunstkritiker in den 1870er und 1880er Jahren Reisen nach Japan, was eine Reihe von Aufsätzen über die japanische Kunst und einen verstärkten Handel damit hervorrief. Aufsätze über Farbholzschnitte, „Bilder der heiteren, vergänglichen Welt“, (ukiyo-e) sowie über Keramiken, Lack- und Metallarbeiten stießen hier auf ein großes Echo. Die japanische Formensprache, die Idee der Reduktion, die Ästhetik, die Kunst der Andeutung, die Sensibilität und Naturhaftigkeit sowie das hohe handwerkliche Vermögen wurden zu Inspirationsquellen vieler hiesiger Künstler. Die Achtsamkeit auf die Natur und der Formen galt nicht nur in Japan, nun auch in Europa als essenzielle Hervorbringung.

In Frankreich entwickelte man einen eigenen Begriff: „Japonesque“ oder „Japonaiserie" (dt.: „Japonismus“, engl. „Japonism“). Durch die Jahrtausende der Kunstgeschichte hatte es bis dato noch nie einen derartigen kulturellen Einfluss aus Japan gegeben. Die in Europa stark verbreitete Meinung eine „Belehrungskultur" zu sein – also dass andere von der europäischen Kultur lernen würden können – stand der asiatischen „Lernkultur“ gegenüber. Hier nun lernte Europa und übernahm inhaltliche, stilistische und formale Eigenheiten. Dass nicht alles dem japanischen Standard entsprach, ist selbstredend und bis heute – auch in den Ausstellungsteilen in Oslo, teils deutlich zu sehen. Einige Werke wirken nachgemacht, Plagiat-haft, eklektizistisch und sogar uninspiriert.
Die regelrechte Verrücktheit nach Japan zeigt sich in vielen Bildern auch anhand von gemalten Gegenständen. Häufig tauchen japanische Paravents, Lampen und Utensilien in sonst europäischen Interieurs auf und suggerieren eine fernöstliche Stimmung.

Jedoch führte der Umgang mit japanischen Auffassungen auch zu Glanzpunkten der europäischen Kunst: Die Holzschnitte von Edvard Munch (1863-1944) beispielsweise zeigen die Klarheit und Reduktion und ein Verständnis für den künstlerischen Gehalt und die Leistung Nippons. Oder die Tapetenmuster des Malers und Handwerkers Andreas Schneider (1861-1931), die Gemälde, Wandteppiche und Möbelkonstruktionen von Gerhard Munthe (1849-1929) und den Designs des Briten Christopher Dresser (1834-1903) und seines Anglo-Japanischen-Stils. Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) und Jules Chéret (1836-1932) vermitteln die Nähe zur japanischen Schlichtheit der Präzision und in der Keramikkunst erkennt der Besucher in den Gefäßen Handwerk, Können und Zufall des jeweiligen Brandes.
Ein bemerkenswertes Revival gab es in der Webkunst. Das Herausrücken der Wandteppiche beispielsweise aus dem folkloristischen, ortsgebundnen Fokus in eine eigene und teils internationale Motiv-, Formen- und Farbsprache, tat der gesamten Branche bis heute gut.

In der Ausstellung sind insbesondere Drucke und Buchwerke der japanischen Holzschnitzdrucker Hiroshige, Hokusai, Utamaro, Utagawa und Eisen zu sehen sowie wundervolle Stoff- und Papierarbeiten und eine Anzahl von hervorragenden Gebrauchsgegenständen unbekannter Künstler.

Humorvoll bis karnevalesk wird es an einer Stelle in der Ausstellung im Kunstindustriemuseum: ausgebereitet in Vitrinen liegen eine Sammlung von Postkarten und Fotos jener Zeit – skandinavische Frauen und Männer in Kimonos sind zu sehen oder eine Partygesellschaft aus Paris ihre japanische Exotik-Sehnsucht zu Schau stellend. Auch ließen sich um 1900 viele Schriftsteller- und Künstlerinnen gerne in japanischer Geisha-Kleidung ablichten.

An Ende des Rundgangs durch die beiden Ausstellungsteile spürt man, wie tief sich Japan in die europäische Kunst einbringen konnte und durfte und das in allen Bereichen der Kultur, ob in die Malerei, im Handwerk oder in der Populärkultur das Land der aufgehenden Sonne zu finden war.

„Japanomania i Norden 1875-1918“ („Japanomania in the North 1875-1918")
zu sehen bis 16. Oktober 2016 in der Nasjonalgalleriet, Universitetsgata 13 und im Kunstindustrimuseet, St. Olavs gate 1 in Oslo/Norwegen.
(montags geschlossen, donnerstags Eintritt frei).
Es ist ein Katalog mit 296 Seiten erschienen zum Preis von 399 NOK (ca. 35 Euro).
Weitere Informationen
www.nasjonalmuseet.no/en
Ausstellungskuratoren: Vibeke Waallann Hansen, Widar Halén
Koproduktion mit: Ateneum, Helsinki und der Nationalgalerie Dänemarks, Kopenhagen.


Abbildungsnachweis:
Header: Andreas Schneider, Peacock pattern, 1909. Foto: Nasjonalmuseet / Morten Thorkildsen
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung (Nasjonalgalleriet). Foto: Frode Larsen
02. Katsushika Hokusai: „Unter der Welle im Meer vor Kanagawa“ (神奈川沖波裏), bekannt als „Die große Welle“, aus den Farbholzschnitten der 36 Ansichten des Berges Fuji. Museum für Ostasiatische Kunst, Köln
04. Montage aus zwei Bildern. links: Utagawa Hiroshige "Evening Shower at Atake and the Great Bridge, rechts: Vincent van Gogh "Japonaiserie: pont sous la pluie". Quelle: Wikipedia (cc, public domain).
05. Edvard Munch, Skrik, 1893. Nasjonalmusset, Foto: Børre Høstland
06. Oda Krohg, Ved Christianiafjorden (Japansk lykt), 1886. Nasjonalmusset
07. Gerhard Munthe, Small trouts and marsh marigolds, 1891. Nasjonalmuseet, Foto: Børre Høstland
08. Totoya Hokkei, Chinese Beauty, between 1818 and 1829. Nasjonalmuseet Foto: Anne Hansteen Jarre
09. Blick in die Ausstellung (Nasjonalgalleriet). Foto: Frode Larsen
10. Harriet Backer, Evening, Interior, 1890. Foto: Nasjonalmuseet
11. Bottle, Japan,1800s. Nasjonalmuseet, Foto: Frode Larsen
12. Katagami-sjablong, 1895-98. Nasjonalmuseet, Foto: Morten Thorkildsen
13. Blick in die Ausstellung (Kunstindustrimuseet). Foto: Frode Larsen
14. Christopher Dresser, Tekanne, 1878. Nasjonalmusset, Foto: Frode Larsen
15. Gerhard Munthe og Johan Borgersen, Stol fra Eventyrværelset i Holmenkollen Turisthotel. 1896. Nasjinalmuseet, Foto: Frode Larsen.
16. Porsgrunds Porselænsfabrik A/S, Tallerken, 1890. Nasjonalmuseet. Foto: Anne Hansteen Jarre
17. Blick in die Ausstellung (Kunstindustrimuseet). Foto: Frode Larsen

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