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Admont Ora et labora et lege – bete und arbeite und lese

Benediktinerstift Admont in Österreich besitzt die größte Klosterbibliothek der Welt.
Einen Saal, so prachtvoll und gewaltig, dass er direkt nach seiner Vollendung 1776 als „achtes Weltwunder“ gefeiert wurde. Admont besitzt auch eine einzigartige Sammlung an Gegenwartskunst, die speziell für dieses Kloster geschaffen wurde. Und ein Naturkundemuseum das seinesgleichen sucht. Dennoch ist dieses museale Universum inmitten der obersteirischen Bergwelt international noch erstaunlich unbekannt.

„Erwarte das Unerwartete…“ steht kleingedruckt am oberen Rand des schmalen Klosterführers. So klein, dass man zwei Mal hinschauen muss, um den Satz zu entziffern. Die Benediktinermönche hätten ihr Motto ruhig etwas prominenter setzen können, denn es hält, was es verspricht. Eine Bibliothek ist in einem Kloster ja erst einmal nichts Ungewöhnliches. Aber eine kapitale Sammlung Gegenwartskunst? Dazu noch eine mit Witz und Ironie, wie Erwin Wurms Foto vom Pater in der Kirche mit einem Apfel im Mund? Oder eine Sammlung von Wachsäpfeln? Nein, das erwartet man hier ebenso wenig, wie die größte Fliegen-Kollektion Europas.

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Keine Frage: Admont steckt voller Überraschungen. Dabei sieht das älteste Kloster der Steiermark aus dem Jahr 1074 von außen gar nicht besonders spektakulär aus. Und der gleichnamige Ort wirkt sogar verhältnismäßig nichtssagend. Vielleicht ist das auch der Grund, warum diese Abtei im Gegensatz zu Melk oder Göttweig außerhalb der Alpenrepublik so wenig bekannt ist: Während die beiden anderen Benediktiner-Stifte - zwei überaus prächtige Barockbauwerke, die im Jahr 2000 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurden - allein schon durch ihre herausragende Architektur und Hügellage auf sich aufmerksam machen, lockt Admont nicht – Admont will entdeckt werden.

Vom Spirodom, dem neuen Vier-Sterne-Hotel vis-á-vis des Klosters, ist es nur ein Katzensprung bis zum Museumseingang. Auf dem Weg über die Wiese fällt der Blick auf die imposante Berglandschaft, die das Talbecken umringt. Die rund 2.500 Einwohner starke Marktgemeine liegt mitten in den Ennstaler Alpen, am westlichen Eingang des Gesäuses. Der wildromantische Nationalpark verdankt seinen Namen der Enns, die hier in zum Teil ohrenbetäubender Lautstärke durch die Schluchten rauscht. Josef Hasitschka, promovierter Historiker, passionierter Bergführer und Autor zahlreicher Admont-Bücher, erzählt mir später, dass die Region bereits um 1872 beliebtes Touristenzentrum für das betuchte biedermeierliche Bürgertum war. Die fesche „Kronprinz-Rudolf-Bahn“, mit der die Wiener und Grazer damals in die Sommerfrische fuhren, existiert zwar längst nicht mehr, dafür kann man den Nationalpark mit seinem pittoresken Bergsteigerfriedhof, den urigen Almen und Gasthäusern bequem mit dem Auto erkunden.

Was die Benediktinermönche in früheren Jahrhunderten für Strapazen auf sich genommen haben, um Flora und Fauna in den hochalpinen Auwäldern zu erforschen, lässt sich dabei durchaus noch nachvollziehen. Pater Gabriel Strobl war der bekannteste Botaniker: Nach dem verheerenden Stiftsbrand von 1865 baute er in über 40 Jahren das Naturhistorische Museum wieder auf. Die einzigartige Insektensammlung des Klosters umfasst heute rund 252.000 Exemplare und zieht Wissenschaftler aus der ganzen Welt in die Steiermark.

Wer Admont besucht, wird immer wieder mit dem Brand konfrontiert. Der größte Teil des 1074 erbauten Klosters fiel damals den Flammen zum Opfer. Phantastische Kunstwerke und naturhistorische Sammlungen gingen verloren, auch die dem Regensburger Dom nachempfundene Stiftskirche brannte bis auf die Grundmauern ab. Sie wurde später übrigens als einer der ersten Sakralbauten in Beton wieder aufgebaut.
Dass ausgerechnet die Bibliothek, einer der bedeutendsten Schätze des europäischen Spätbarocks, verschont blieb, weil der Wind im letzten Moment drehte, wird noch heute als Gotteswunder gepriesen.

Im 20. Jahrhundert folgten weitere Schicksalsschläge: Die Weltwirtschaftskrise zwang den Orden bedeutende Kunstschätze zu verkaufen. Nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland vertrieben die Nazis die Mönche und beschlagnahmten ihren Besitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die Benediktiner zwar zurück, doch es dauerte, bis sich das Kloster vollständig erholte. Seine heutige Strahlkraft gewann es erst mit den umfassenden Umbau- und Sanierungsarbeiten, die 1994 begannen.
Die Neu- und Umgestaltung war ein Jahrhundertprojekt: Architekt Manfred Wehdorn entwickelte das Konzept zum Gesamtkunstwerk, das in 14 Jahren Stück für Stück umgesetzt wurde – vom Hochsicherheitsarchiv bis zum Stiftskeller, vom Kirchenplatz bis zum Kräutergarten. Dabei entstand ein Museumsuniversum am Puls der Zeit von 7600 Quadratmetern Fläche. Und auch die Bibliothek von 1776 wurde mitsamt ihren 70 000 Büchern generalüberholt. Kurz: Admont erfand sich neu.
Heute präsentiert sich das Kloster als gelungene Synthese aus Tradition und Moderne. Wahrzeichen ist das gläserne Treppenhaus am Südost-Turm, das einen herrlichen Ausblick auf die Haller Mauern bietet. Zukunftsweisend aber ist vor allem das neue Gegenwartsmuseum, das seit 2003 verstärkt junges Publikum nach Admont zieht.

Stolz führt Michael Braunsteiner durch die imposante Säulenhalle. Das Kellergewölbe war Barock ein Pferdestall, heute hängen hier die frechen Fotoinstallationen von Erwin Wurm, Highlight der hochkarätigen „Made for Admont“ Kollektion. Kreativität und Spiritualität sei kein Widerspruch, die Auseinandersetzung zeitgenössischer Künstler mit der Religion explizit gewünscht, erzählt der sympathische Kurator. Die Kirche ist seit jeher einer der größten Auftraggeber für bildende Künstler, doch hier hat Braunsteiner eine Sammlung zusammengetragen, die ihresgleichen sucht. Internationale Aufmerksamkeit zieht insbesondere die Spezialsammlung „Jenseits des Sehens“ auf sich, die gerade in Moskau zu Gast war. Seit 2002 entwickeln Künstler kontinuierlich interaktive Arbeiten Blinde und Sehbehinderte. Braunsteiners Lieblingsobjekt ist eine große Aluminiumskulptur mit einem Seil. Sieht man daran, sagt eine Stimme: „80 Prozent des Universums sind unsichtbar“.

Unsichtbar scheint auch die sagenhafte Bibliothek zu sein. Wie kann man einen 70 Meter langen, 14 Meter breiten und 13 Meter hohen Raum so gut verstecken? Die Fassade des Klosters lässt nichts erahnen und seine Treppenhäuser, Flure und Schausäle sind ebenfalls „ganz normal“ dimensioniert.

Der Weg führt durch das Kunsthistorische Museum, vorbei an den prachtvollen liturgischen Gewändern des „Nadelmalers“ Benno Haan (1631-1720). Den Kopenhagener Kunststicker hatte es offenbar in den Wirren des 30jährigen Krieges nach Österreich verschlagen. Als er 1656 nach Admont kam, war er bereits ein Meister seines Faches und leitete hier bis zu seinem Tod eine Stickereiwerkstatt von Weltrang. Die kiloschweren liturgischen Gewänder mit Gold- und Silberfäden zu besticken war übrigens eine Knochenarbeit und deshalb Männersache.

In den Medienräumen gleich nebenan erhalten die Besucher einen Überblick über Geschichte und Aktivitäten des Klosters: Ein Spielfilm zeigt das Leben des Ordensgründer Benedikt von Nursia (um 480-547), nach dessen Gesetz „Ora et Labora“ (bete und arbeitete) die Mönche auch heute noch leben. Eine hervorragend aufbereitete Multivisionsschau umreißt historische Daten und Fakten im Zeitraffer – von der Heiligen Hemma von Gurk, die ihre Güter der Kirche um 1045 vermachte, bis zu den jüngsten Erwerbungen „Made in Admont“.

Schräg gegenüber der Medienräume weist dann eine große, aber keinesfalls besonders auffällige Tür in die Bibliothek. Ein Schritt und man steht in einer anderen Welt: Das Gesamtkunstwerk aus spätbarocker Architektur, Malerei und Skulptur in Rosa, Weiß und Gold ist so überwältigend schön, dass es einem schier den Atem verschlägt. Wo soll man zuerst hinschauen? Zu den Reliefs auf der Galerie, hoch oben unter der Kuppel? Oder auf den Romben förmigen Marmorboden, der immer neue Muster vor Augen entstehen lässt: Würfel, Treppen, Sterne.

Ingrid Breuer lächelt. Seit Jahren führt sie Besucher durch den Saal und freut sich immer wieder über die glänzenden Augen und das ehrfurchtsvolle Verstummen beim Anblick dieser zauberhaften Architektur, deren Vorbild die Wiener Nationalbibliothek ist.
Als erstes fällt die enorme Helligkeit des Raumes auf. Mehr als 60 Fenster fluten den dreigeteilten, über und über mit Fresken und Stuckaturen geschmückten Saal mit Licht. Selbst die Bücher sind hell eingebunden. Eigentlich ungewöhnlich für eine Bibliothek, da die UV-Strahlen bekanntlich ja Papier und Tinte schaden. Doch ihr Architekt Josef Hueber (1715-1787) war ein erklärter Anhänger der Aufklärung: „Was den Geist erhellt, soll auch den Raum erhellen“, sei sein Wahlspruch gewesen, sagt Ingrid Breuer. Und auch Bartolomeo Altomonte (1694-1783), Schöpfer der sieben großartigen Deckenfresken, sei der Vernunft verpflichtet gewesen. Im Alter von über 80 Jahren versinnbildlichte er auf den Kuppelgemälden die Stufen der menschlichen Erkenntnis – vom Denken und Sprechen bis zur göttlichen Offenbarung.

Heute stehen in der Bibliothekssaal ausschließlich Druckwerke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert aus allen Bereichen: Theologie, Philosophie, Medizin, Musik, Literatur und Naturwissenschaft.
Für die lichtempfindlichen Handschriften wurde vis á vis der Bibliothek ein abgedunkelter Raum eingerichtet, in dem Wechselausstellungen stattfinden.

Der komplette Handschriftenfundus, mehr als 1.400 Schriften aus dem Mittelalter sowie rund 530 Inkunabeln (Frühdrucke bis 1500) befinden sich in Stahlschränken einem abgelegenen Hochsicherheitstrakt.
Ich habe Glück und lerne noch Johann Tomaschek kennen. Der Bibliothekar und Archivar des Stiftes, der im März in Pension ging, betreute 33 Jahre lang den insgesamt 200.000 Bücher umfassenden Bestand. Er selbst scheint ein wandelndes Lexikon zu sein. Während er ein schwergewichtiges Buch nach dem anderen aus dem Stahlschrank herausholt, ein großartig verziertes „Konversationslexikon“ aus dem 12. Jahrhundert, die älteste deutschsprachige Version der Reisebeschreibung des Marco Polo aus dem 14. Jahrhundert und die 16 Kilo schwere Riesenbibel, die zur Zeit der Klostergründung entstand, erzählt er, wie die Redewendung „ein Buch aufschlagen“ entstand: Die mittelalterlichen Bücher waren mit Eisenschließen beschlagen. Um ein Buch zu öffnen, musste man es also mit Kraft aufschlagen.

Einen „Giftschrank“ mit verbotener Literatur existiert in Admont jedoch nicht. „Die Benediktiner waren schon immer außerordentlich fortschrittlich und tolerant“, erklärt Tomatschek. Deshalb seien auch religionskritische Schriften, die gesammelten Werke von Diderot und Voltaire, der wichtigsten Philosophen der Aufklärung, in der Bibliothek immer zugänglich gewesen. Selbst die Evolutionstheorie von Charles Darwin – und die steht bekanntlich in krassem Widerspruch zur christlichen Schöpfungsgeschichte.

Die phantastische Figurengruppe im Zentrum der Admonter Bibliothek, „Die vier letzten Dinge von Josef Stammel (1695-1765), lassen von Aufklärung hingegen wenig spüren. Fünf Jahre schnitzte der geniale Bildhauer aus Graz an den überlebensgroßen, unerhört detailreichen Allegorien von Tod, Jüngstem Gericht, Himmel und Hölle. Nachhaltig beeindrucken dürfte die Gläubigen vor allem die Darstellung der Hölle: Ein furchterregender geflügelter Teufel mit Eselsohren und Schweinsmaul zieht hier einen schreienden Sünder auf den Schultern mit sich hinab in einen Drachenschlund. Dramatischer geht’s nimmer. Übrigens hat auch Hamburg „seinen Stammel“: Eine dreiteilige Beweinungsgruppe (um 1750) mit Maria und dem vom Kreuz genommenen Christus im Museum für Kunst und Gewerbe.
Erstaunlich findet das Johann Tomaschek allerdings nicht: „Es gibt keine bedeutende Stadt in Europa, zu der Admont nicht irgendeine Beziehung hat“.

Ora et labora et lege – bete und arbeite und lese
Fotonachweis: © alle Isabelle Hofmann
Header: Stift Admont (Steiermark)
Galerie:
01. Stift Admont, Bibliothek
02. Blick in die Bibliothek mit Stammel Skulpturen
03. Stammel Skulptur: Allegorie – Der Tod
04. Johann Tomaschek mit Riesenbibel
05. Admont-Wappen in mittelalterlicher Handschrift
06. Mittelalterliche Handschrift
07. Nadelmalerei von Benno Haan
08. Kurator Michael Braunsteiner Made for Admont

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