Reisen

Es lohnt sich immer mal, über den Tellerrand zu blicken, besonders in Krisenzeiten. Während in Deutschland Kultur als Luxusgut gilt, auf das man notfalls auch verzichten kann, (siehe die drohende Schließung des Altonaer Museums in Hamburg), setzen die Norweger immer stärker auf Kultur als Motor von Lebensqualität und Stadtentwicklung.

 

Allen voran die Oslo-Region im Süden des Landes. In der City selbst hat das 2008 eröffnete Opernhaus des Architekturbüros Snohetta einen ganzen Stadtteil verändert. Vor dem spektakulären Bau, der sich wie ein Eisberg aus dem Oslofjord erhebt, war Bjorkvika ein abgewirtschaftetes Arbeiterviertel am Ostrand des Hafens.

 

Kein Ort für eine Oper, meinten viele. Snöhetta-Chefarchitekt Kjetil Thorsen bewies das Gegenteil. Gerade hier (und nicht im gutbürgerlichen Westen der Stadt) realisierte er das hinreißend schöne Gebäude mit dem begehbaren schrägen Dach, das nun Sommer wie Winter allen Bürgern und Besuchern offen steht – zum Picknicken und als Aussichtsplattform auf das grandiose Panorama, das mit Monica Bonvicinis Wasserskulptur – einer dreidimensionalen Interpretation von Caspar David Friedrichs „Eismeer“ – um Aufmerksamkeit wetteifert. In der Umgebung schießen mittlerweile Neubauten wie Pilze aus dem Boden, Kreative aller Sparten ziehen nach. Dafür erhielt die Oper 2010 den „European Prize for Urban Public Space“, eine internationale Auszeichnung für städtebauliche Projekte, die das Leben verbessern und den öffentlichen Raum neu erschließen. An diesem demokratischen Bauwerk (dessen Konzertsaal aus rußgeschwärzter Eiche selbstredend auch über den besten Klang verfügt) wird sich der geplante Neubau des Osloer Nationalmuseums, ein Projekt der Berliner Architekten Kleihues + Schuwerk im Westteil des Hafenrandes, messen lassen müssen. Vor allem aber und zuallererst die Hamburger Elbphilharmonie. Wenn sie denn mal endlich fertig wird.

 


Wie eng Kultur und Stadtentwicklung in Norwegen miteinander verwoben sind, zeigt auch Drammen, 40 Kilometer westlich von Oslo. Bis Mitte der 80er Jahre war die „Perle am Fluss“ (Slogan 2010) noch eine trostlose Industriestadt mit 20 Prozent „Gastarbeitern“, die Cellulose und Papier exportierte. Lärm, Verkehr, Gestank. Die Stadt erstickte langsam an ihrem eigenen Dreck. Bis Stadtverwaltung und Landespolitiker das Ruder herumrissen und unter dem Motto „A Dream of Drammen“ einen beispiellosen Wettbewerb zur Sanierung auf die Beine stellten: Innerhalb von 25 Jahren wurden der Fluss gesäubert (heute kann man wieder fischen und baden), Umgehungsstraßen gebaut, Uferzonen aufgeschüttet, Fahrradwege angelegt, Skulpturen aufgestellt, Festivals initiiert. Die Stadt erfand sich neu und stellte dabei Umwelt, Bildung und kulturelle Vielfalt in den Mittelpunkt ihres Selbstverständnisses. Sichtbares Zeichen dafür ist das einzigartige Kulturzentrum mitten in der Stadt. Rund um eine umgebaute alte Papierfabrik vereint ein ganzes Gebäude-Areal die verschiedensten Einrichtungen: Bibliothek, Malschule, Musikschule, Film- und Tanzstudios, Proberäume, Bühnen. Hier wird gelehrt, geforscht, ausgebildet, Freizeit verbracht. Ein Treffpunkt für Jung und Alt, für Anfänger und Profis. „Für alle“, voraussetzungslos. Jeder wird da abgeholt, wo er ist, jeder wird mitgenommen. Lebenslanges Lernen als erklärtes Ziel, Multikulturalität als Chance. – Ein Kulturverständnis, das Beispiel geben könnte.

 

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