Meinung
ichard Wagner – Kraftvoll bis Einfühlsam: Wagner Dirigenten

Richard Wagner war ein Perfektionist.
Nicht nur jeder Ton und jedes Tempo seiner Musik war von ihm genau vorgeschrieben – so legte er fest das der Lohengrin nicht über dreieinhalb Stunden zu dauern hätte – auch die Inszenierung seiner Operndramen war minutiös definiert und in langen Regieanweisungen in die Partituren eingearbeitet. Und gerade deshalb ist es so erstaunlich das Wagners Musik immer wieder neu aufgefasst und neu interpretiert wurde und in jedem Fall sehr unterschiedliche Dirigenten-Persönlichkeiten hervorbrachte die jede ihren ganz eigenen Wagner „Stempel“ haben. Diese persönliche Interpretation der Dirigenten begann bereits kurz nach Wagners Tod.

Felix Mottl (1856-1911) dirigierte seit 1886 regelmäßig in Bayreuth. Sein Stil prägte eine ganze Aufführungspraxis in Wagners ‚Heiliger Halle’ derart, das Arturo Toscanini, der weltberühmte italienische Maestro (1867-1957) Wagner mit Musikern dirigieren sollte, die unter Mottl gelernt hatten, und diese ihm dann auch noch erklärten wie ‚Meister Mottl’ Wagner zu interpretieren pflegte, einen seiner berühmten Wutausbrüche bekam und das ganze Orchester anschnauzte: „Hier nix Mottl, hier Wagner...“

Der Typ Wagner-Dirigent ist etwas Besonderes. Er braucht enorme psychische auch physische Kraft, um diese wirklich in jeder Hinsicht kräftezehrenden Werke mit nie nachlassender Spannung aufzuführen. Nur wenige Große sind dazu in der Lage. Wir wollen hier einige von ihnen vorstellen um die Typen der Wagner Interpretation zu charakterisieren.
Es gibt im Prinzip drei Haupt-Kategorien der Wagner-Dirigenten die sich immer wieder herauskristallisieren:
- Die Intellektuellen, wie beispielsweise Daniel Barenboim, der Franzose Pierre Boulez oder auch Herbert von Karajan.
- Die Kraftvollen, Emotionalen wie der Dirigent James „Jimmy“ Levine dessen Wagner Interpretationen an der Metropolitan Opera immer wieder Höhepunkte der Wagner Szene sind und auch Sir Georg Solti, dessen Ring Ersteinspielung aus den 70er-Jahren noch heute Gültigkeit hat.
- Die Kapellmeister, wie Wolfgang Sawallisch oder Marek Janowski dessen konzertante Wagner Gesamteinspielung im Moment großen Beifall erhält. Diese Persönlichkeiten widmen sich einer möglichst genauen, werkgetreuen Wagner Interpretation.

Ich möchte in Folge nur einige wenige Dirigenten charakterisieren, um die Unterschiede in der Wagner Aufführungspraxis zu beleuchten:

Daniel Barenboim (1942 in Buenos Aires geboren) ist ein argentinisch-israelisch-spanisch-palästinensischer Pianist und Dirigent. 1950 gab Barenboim sein erstes Konzert in Buenos Aires. 1975 wurde er als Nachfolger von Sir Georg Solti Chefdirigent des „Orchestre de Paris“.
Von 1981 bis 1999 wirkte Barenboim als Dirigent der Bayreuther Festspiele, wo er ‚Tristan und Isolde’, ‚Die Meistersinger von Nürnberg’, ‚Parsifal’ und die Tetralogie ‚Der Ring des Nibelungen’ dirigierte.
Von 1991 bis 2006 war er Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, seit 1992 ist er Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Im Juli 2011 teilte die Berliner Senatskanzlei mit, dass Barenboim seinen Vertrag für weitere zehn Jahre bis Ende Juli 2022 verlängert habe.

Barenboim gestaltete das musikalische Wagner-Bild neu und entschlackte den Klang des Orchesters ohne dabei die kraftvolle Komponente herauszunehmen.
Seine Wagner-Interpretationen wirken immer durchsichtig ohne Bombast und lassen die filigranen oft polyphonen Melodienführungen und vielschichtigen schillernden Harmonielandschaften deutlich erkennen. Bei einer Barenboim Wagner Aufführung erlebt man immer etwas Transzendentales im Orchester.

Ich habe einen ganzen Zyklus der großen Wagner-Opern an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin mit Barenboim am Pult erleben dürfen und ich kann sagen – nichts anderes an Wagner-Darstellung hat mich bisher so beeindruckt. Barenboim geht völlig in Wagners Klängen auf, die er magisch aus dem Orchestergraben fließen lässt.
Auch die Inszenierung, wie beispielsweise der „Ring“ des Harry Kupfer, passt zu Barenboims Auffassung einer stilistisch edlen, immer durchhörbaren Wagner-Aufführung. Barenboim ist jenseits aller Regiemätzchen (zum Glück). Wir stelle einige seiner Schlüssel-Aufführungen und CD Aufnahmen später vor.

Sir Georg Solti (1912-1997) war ein ungarisch-britischer Dirigent jüdischer Abstammung. Solti war einer der umfassendsten Operndirigenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er spielte alle gängigen Opern von Richard Wagner ein, nachdem er diese vorher 25 Jahre an Opernhäusern dirigiert hatte.
Solti ist ein typischer Vertreter der kraftvollen, gewaltigen und emotionalen Wagner Auffassung. Er befreite das Wagner Orchester 1983 bei seiner Ring-Aufführung erstmals aus dem ‚Bayreuther Graben’, der nach Angaben des Meisters zugedeckt sein musste, um das Bühnengeschehen nicht zu irritieren und setzte den Orchesterklang gleichberechtigt neben die Gesangspartien.
Solti brauchte für seine Wagner Aufführungen stimmgewaltige Sägner-Persönlichkeiten, weil er als Orchester-Fanatiker den Klang und die harmonische Dramatik des Orchesterklangs rücksichtslos eigenständig behandelte und nicht nur als reine “unterstützende Untermalung“ für die Gesangspartien benutzte.
Diese Technik Soltis führte zu den wohl spannendsten Wagner-Aufnahmen, die auf Tonträger zu haben sind. Sein ‚Ring’, den wir weiter unten empfehlen, ist in seiner kraftvollen Aussage und in seinem monumentalen Eindruck bis heute ungeschlagen und wurde gerade in diesem Wagner-Jahr – digital überarbeitet – neu auf CD veröffentlicht.

Wolfgang Sawallisch (1923-2013) war 1960 bis 64 Musikdirektor in Köln sowie ab 1961 eine Professur für Dirigieren an der Hochschule für Musik Köln. 1961–73 wirkte Sawallisch dann als Hamburgischer Generalmusikdirektor und zugleich Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg.
Sein eher unpathetischer Stil war auch ein Grund dafür, dass er schon 1957, zehn Jahre nach Beginn seiner Karriere, bei den Bayreuther Festspielen auftrat.
Dies gerade als es galt, die Musikdramen Wagners vom falschen Bombast vergangener Zeiten zu befreien. Gleichwohl zählte Wolfgang Sawallisch nie zu den ‚Analytikern’ oder gar zu den kühl kalkulierenden Interpreten klassischer Musik.
Mit Chefpositionen bei den Wiener Symphonikern sowie beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und Gastengagements in Italien und Japan war er in den 60er Jahren bereits zu einem Kosmopoliten der Musikwelt geworden.
Sawallisch ist ein typischer Vertreter der Kategorie ‚Kapellmeister’ im besten Sinne. Seine Wagner Interpretationen sind immer grundsätzlich authentisch und besonders gut zu hören, wenn man Wagner kennenlernen möchte, weil sie so werkgetreu sind.
Sawallisch ist eher unprätentiös in seiner Interpretation Wagners und ohne jegliche Star-Ambitionen. Das machte ihn besonders bei Operhäusern beliebt, die ein eher traditionell orientiertes Publikum haben, wie die Hamburgische oder Bayerische Staatsoper.

James ‚Jimmy’ Levine (geboren 1943 in Ohio) ist ein US-amerikanischer Dirigent und Pianist. Levines künstlerisches Primat ist der von der menschlichen Stimme kommende, vokale Klang, den er immer wieder in seiner Probenarbeit betont.
Zu Beginn der Konzertsaison 1999/2000 wurde Levine zusätzlich zu seiner Tätigkeit an der New York "Met" zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker berufen

Ich muss gestehen, ich liebe besonders die Art wie ‚Jimmy’ Levine Wagner auffasst – mit einer enormen Spielfreude und einem, fast kindlichen Enthusiasmus, dem man sich einfach nicht entziehen kann.
Wagner richtig kennenzulernen, ohne den ganzen ideologischen Krampf, der diesen Musiker in der Kultur-Szene leider immer noch begleitet – das kann man am Besten in den Aufführungen von Jimmy Levine.
Levine hat alle großen Wagner Opern dirigiert und zwei Ring-Einspielungen für seine Metropolitan Opera in New York geliefert – die neueste im vergangenen Jahr ‚Wagners Dream’ - die ich beide als DVD empfehlen möchte weil sie so ungewöhnlich und grundsätzlich unterschiedlich wie faszinierend anders sind.
Wenn jemand die ‚Hollywood-Dimension’ Wagner’scher Musik verstanden hat, dann ist das James Levine. Seine Dirigate sind einfach mitreißend. Natürlich ist er einer der glühendsten Vertreter der emotionalen Garde der Wagner Dirigenten.
Wenn in James Levines Met-Wagner-Himmel die Walküren reiten, dann blickt man nach oben und glaubt sie zu erkennen und die Rosse schnauben zu hören...
Im Moment ist die Welt der Wagner-Dirigenten im Umbruch – viele neue Namen tauchen auf – Wagner ist überall ‚in’ und man sucht allseits nach neuen Wegen ihn in die digitale Neuzeit zu heben – nicht immer mit entsprechendem Erfolg.

Die größte Hoffnung der neuen Garde der Wagner Dirigenten Christian Thielemann (geboren 1959 in Berlin) ist noch nicht in die drei Wagner Dirigenten Temperamente einzuordnen.
In seinem Buch „Mein Leben mit Wagner“ bekennt er sich zum Kapellmeistertum aber viele Dirigate und Interpretationen Thielemanns weisen weit über diese oft steril-akademische Haltung hinaus und zeigen einen ganz eigenen, nachdenklich-intellektuellen und dennoch tief beseelten Stil.
Thielemanns Karriere begann bereits mit neunzehn Jahren als Korrepetitor an der Deutschen Oper und gleichzeitig als Assistent von Herbert von Karajan in Berlin.
1985 wurde er Erster Kapellmeister an der Düsseldorfer Rheinoper und wechselte 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. Dort gelang dem damals jüngsten General Musik Direktors Deutschlands mit einer mustergültigen Aufführung des ,Tristan’ der künstlerische Durchbruch.
1997 erhielt er erneut einen Ruf an die Deutsche Oper Berlin. Dort dirigierte Thielemann einen ganzen Zyklus aller Wagner Opern nach Inszenierungen Goetz Friedrich (1930-2000) im Todesjahr des Regisseurs.

Ich hatte das Glück diese Aufführungen live zu erleben. Thielemann steht – wenn auch in ganz eigener Art – der Kunst Daniel Barenboims in kaum etwas nach. Seine Wagner Interpretation versteht sich als eher langsamer, ausdrucksvoller und vielleicht etwas irdener als die des großen Kollegen – dennoch habe ich einige der schönsten Wagner Abende mit Thielemann damals erlebt.
Bei den Bayreuther Festspielen debütierte Thielemann im Jahr 2000 mit Wagners ‚Die Meistersinger von Nürnberg’. 2001 dirigierte er dort ‚Parsifal’, 2002 eine Neuproduktion des ‚Tannhäuser’; von 2006 bis 2010 leitete er den Bayreuther ‚Ring’ (Regie: Tankred Dorst).
In Wagners Jubel-Jahr steht Thielemann beim ‚Holländer’ am Pult von Bayreuth und in einer Neufassung der Wagner’schen Früh-Oper ‚Rienzi’.
An der Wiener Staatsoper leitete Christian Thielemann im Frühjahr 2003 eine Neuproduktion von ‚Tristan und Isolde’; im Juni 2005 dirigierte er eine Wiederaufnahme von ‚Parsifal’ (beide Produktionen sind auf CD erschienen) und im vergangenen Jahr eine Neuproduktion des ‚Ring’ die ebenfalls in diesen Monaten auf CD erscheint.
Seit 2012 ist der Berliner Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Seit 2013 ist er zudem künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele wo er sein Debut mit einer vielbeachteten Neuinszenierung des ‚Parsifal’ gab.


Ihr Herby Neubacher

Herby Neubacher stammt aus Wuppertal und wurde in Salzburg zum Musikliebhaber: Mit sieben Jahren hat er als Sopranist im Salzburger Dom Bach-Kantaten aufgeführt. Nach einem Kunststudium arbeitere er 20 Jahre in der Musikindustrie. Heute ist er als Journalist und PR-Experte tätig. Seit 2012 schreibt er regelmäßig für Kultur-Port.De über Alte Musik, Barock bis zur Romantik. Er lebt und arbeitet in Vietnam.

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