Meinung
Signatur Richard Wagner

Wie kommt man zu Wagner?
Sir Georg Solti (1912-1997) war einer der ganz berühmten Wagner-Pioniere am Dirigentenpult.
Seine große Erfahrung als Operndirigent ermöglichte die erste Studio-Gesamteinspielung (1958 bis 1965) von Richard Wagners ,Der Ring des Nibelungen’ mit den Wiener Philharmonikern, die noch heute als Sternstunde der Schallplattengeschichte gilt – wir werden sie in einem der nächsten Teile natürlich empfehlen.
Solti hat am Ende dieser bahnbrechenden Ring-Erst-Einspielung die Wirkung von Wagner auf den Hörer treffend beschrieben: „Am Ende der Götterdämmerung möchte man auf die Straße laufen und jedem sagen das etwas ganz Ungeheuerliches passiert ist...“


Es passiert in der Tat etwas ganz Ungeheuerliches, wenn man Wagner hört. Ich erlebe das nun seit 50 Jahren und in Folge möchte ich meinen persönlichen Wagner vorstellen – warum ich Wagner über alles schätze und liebe und warum ich seit einem halben Jahrhundert und hunderten von Aufführungen und Opernbesuchen immer noch etwas ganz Ungeheuerliches und immer wieder etwas Neues mit Wagners Musik erlebe.

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Es begann fast genau vor einem halben Jahrhundert, im Mai 1963, als ich – gerade mal 13 Jahre jung - eine Premierenkarte für den ‚Parsifal’ in der Kölner Oper geschenkt bekam – bester Platz, Reihe 3, nahe am Orchester. Parsifal wurde damals gesungen von Her(i)bert Schachtschneider, dem Kölner ‚Helden’-Tenor (verstorben am 28.Okober 2008 mit 89 Jahren), Franz Crass als Gurnemanz (1928-2012). Am Pult stand der junge Wolfgang Sawallisch und die Inszenierung besorgte der legendäre Oscar Fritz Schuh (1904-1984), der seit 1959 an den Kölner Bühnen wirkte. Ich erinnere mich an die gewaltige, rauschhafte Musik, die mich noch Wochen nach der Aufführung noch im Bann hielt und den Lichtdom der Inszenierung. ,Parsifal’ war im Sinne des Wortes eine ,Erleuchtung’ für mich geworden, obwohl ich kaum etwas von der Oper wirklich verstand – ich war hin und weg. Seither bin ich Wagnerianer. Der Rausch, den Wagner musikalisch verleiht, ist kaum zu erklären. Ich wuchs mit Renaissance und barocker Kirchenmusik auf – alles nach Mozart interessierte mich kaum – und dann das! Eine völlig neue Welt. Eine Welt die so ganz anders war, die Welt Richard Wagners und seiner musikalischen und dramatischen Visionen.

Bach, meine andere große Liebe, kann man erklären. Mozart auch – Wagner nicht. Wagner passiert – wie ein Orgasmus im Kopf. Das passiert oder nicht. Deshalb ist die Diskussion ob man Wagner „mag“ oder nicht völlig müßig. Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler Wagner’scher DVDs und CD-Aufnahmen und habe einen großen Querschnitt aller Einspielungen seit den 60er-Jahren.

Dazu noch eins: der Nazi Wagner Bombast interessiert mich überhaupt nicht. Kein Furtwängler, kein Keilberth, nicht einmal Klemperer – sagt mir alles überhaupt nichts.
Wagners Werk ist von den Nazis als Geisel benutzt und in „Propagandahaft“ genommen worden. Man sehe sich bloß mal das fürchterliche Filmdokument mit Furtwängler an, der zum Ende des Krieges 1945 ein weihnachtliches (!) Durchhaltekonzert mit der ‚Meistersinger’-Ouvertüre vor den führenden Vertretern der Partei, SS und Wehrmacht gegeben hat. Grauenvoll.
Nicht weil da lauter weihevoll gestimmte Nazis im Publikum saßen, sondern weil die Meistersinger-Ouvertüre von Furtwängler wider besseres künstlerisches Wissen zu einem breiigen Bombast zusammendirigiert wurde, wahrhaft eine grausame Verstümmelung einer hochklassigen, vielschichtigen Musik.

Ich brauche das nicht. Es gibt noch heute eine ganze Zombie-Liga (die sitzt leider auch vielfach immer noch in Bayreuth) die behauptet es gäbe keine guten Wagnersänger seit dem Ende des Krieges. Das ist dummes Zeug.
Wir haben es Wieland und Wolfgang Wagner zu verdanken, den Nachfahren des Komponisten, die mit einer neuen Besinnung auf die wahre Musik die heutige Wagner Begeisterung und bunte Szene möglich gemacht haben.
Es gingen neue Impulse für Oper und Musiktheater von Bayreuth aus, so ab 1951 durch die Inszenierungen von Wieland Wagner (1917-1966), der mit seiner radikalen „Entrümpelung“ der Bühne einen ästhetischen Neuanfang wagte, der stilbildend bis in die 1970er-Jahre wirkte.
Wolfgang Wagner (1919-2010) führte diesen Weg konsequent fort und machte Bayreuth zum Zentrum der modernen Wagner Aufführung und der Wagner-Inszenierungen die weltweit Aufsehen erregten und Opernhäuser inspirierten.

Erda (ist in Sinnen versunken und beginnt erst nach längerem Schweigen)
Wirr wird mir, seit ich erwacht: wild und kraus kreist die Welt!
(...)
Der den Trotz lehrte, straft den Trotz?
Der die Tat entzündet, zürnt um die Tat?
Der die Rechte wahrt, der die Eide hütet,
Wehret dem Recht, herrscht durch Meineid?
Laß mich wieder hinab!
Schlaf verschließe mein Wissen!

Aus “Siegfried” 3. Akt


Ihr Herby Neubacher

Herby Neubacher stammt aus Wuppertal und wurde in Salzburg zum Musikliebhaber: Mit sieben Jahren hat er als Sopranist im Salzburger Dom Bach-Kantaten aufgeführt. Nach einem Kunststudium arbeitere er 20 Jahre in der Musikindustrie. Heute ist er als Journalist und PR-Experte tätig. Seit 2012 schreibt er regelmäßig für Kultur-Port.De über Alte Musik, Barock bis zur Romantik. Er lebt und arbeitet in Vietnam.

Hinweis: Die Inhalte der "Kolumne" geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.
Fotonachweis:
Header: Signatur Richard Wagners
Galerie:
01. Sir Georg Solti (10. November 2012). Foto: Allan Warren
02. Herbert Schachtschneider, 1962. Coverfoto: Rheingold, Köln (Living Stage)
03. Kostümentwurf der Erda (Erde) von Carl Emil Doepler, 1876

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