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„In meinem achten Jahr aber wurde ich zu geistlichem Leben Gott dargebracht und bis zu meinem fünfzehnten Jahr war ich jemand, der vieles sah und mehr noch einfältig aussprach, so daß auch die, welche diese Dinge hörten, verwundert fragten, woher sie kämen und von wem sie stammten“, heißt es in der Autobiografie der Hildegard von Bingen (1098-1179).
Die Zeit zwischen Eintausend und Mitte des 15. Jahrhunderts ist als die Geburt und Wiege der musikalischen Formen zu betrachten, die wir heute noch kennen und die Musik bis in unsere Zeit bestimmt. Der KlassikKompass bei KulturPort.de unternimmt in einer Serie in losen Folgen eine Reise in die Musik des Mittelalters. Wir setzen diese Fahrt nun fort und betrachten die Musik der Kirchen und Klöster, der Marienverehrung und der „Ketzer“.
Für viele Musikliebhaber und Kirchgänger ist die Musik der wichtigste, erhebendste und heiligste Teil der Andacht.
Viele Jahrhunderte hat die Kirche Musik hervorgebracht, die vom Lobe Gottes kündigt und die Herzen nicht nur der Gläubigen zum Himmel erhebt, denkt man nur an beständig ausverkaufte „Matthäus- und Johannes-Passionen“ von Bach in Hamburger Kirchen zur Passionszeit.
Einer der berühmtesten, lebenden Hamburger, Altkanzler Helmut Schmidt, selbst Liebhaber sakraler Töne und Hobbypianist von hohen Graden, meinte einst die Musik in der Kirche sei ihm fast wichtiger als die Kirche selbst.
Das war nicht immer so, dass die heilige Mutter Kirche die Musik als ihre beste Botschafterin akzeptierte. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte lehnte man Musizieren im Gottesdienst sogar als „teuflisch“ ab, die heute alle Sakralmusik zentral prägende Orgel wurde als rein weltliches Tanzinstrument selbst bis ins 11. Jahrhundert hinein im Gottesdienst nicht zugelassen.
Gregor und Hildegard: Die Geburt der Kirchenmusik
“Virtutes: O antiqui sancti, quid admiramini in nobis? Verbum del clarescit in forma hominis, et ideo fulgemus cum illo, edificantes membra sui pulchri corporis.”
„Die Kräfte: Oh, Ihr althergebrachten Heiligen, warum erstaunt ihr uns? Das Wort Gottes wächst klar in menschlicher Form und wir strahlen mit ihm und bilden die Gliedmaßen eines herrlichen Körpers.“
Aus: Ordo Virtum dem „Spiel der Kräfte“ von Hildegard von Bingen.
Ende des 6. Jahrhunderts reformierte Papst Gregor der Große (540-604) die Liturgie der lateinischen Kirche. Und mit ihm hielt Musik Einzug in die Botschaft der Kirche. Denn im Rahmen dieser Reformen begann eine über mehrere hundert Jahre fortgesetzte Ordnung, Sammlung und Vereinheitlichung der in der Liturgie verwendeten Melodien und Texte. Die zusammengestellten Lieder wurden als „Gregorianischer Choral” für die römische Kirche verbindlich. Der Gregorianische Choral wurde einstimmig vorgetragen und basierte auf lateinischen Texten. Die Melodien des Gregorianischen Chorals wurden zunächst bis ins 9. Jahrhundert mündlich überliefert. Danach wurden sie in die Messbücher in Neumen und Notationen aufgenommenen, Vorformen der Notenschrift.
Die Griechen verwendeten die 24 Buchstaben des griechischen Alphabets für die Instrumente in verkehrter Stellung. Gregor der Große verwendete die des lateinischen Alphabets und zwar, in richtiger Erkenntnis der Notwendigkeit einer Vereinfachung der antiken Notation, nur die sieben ersten zur Bezeichnung der diatonischen Tonleiter. Der einstimmige, unbegleitete, liturgische Gesang der römisch-katholischen Kirche in lateinischer Sprache stellt die bedeutendste Quelle unserer Kenntnis über den Stand der Musikentwicklung des Mittelalters dar. In den Messen wurden sowohl das Ordinarium, als auch das Proprium gesungen. Der Gregorianische Choral wurde funktionaler Bestandteil der Liturgie von Messe und Offizium (Stundengebet). Zu jedem Stundengebet gehören Psalmen mit den dazugehörigen Antiphonen, Hymnen und Cantica und die Schriftlesung mit den entsprechenden Responsorien. Gregorianik gehört heute noch zu den lateinischen Messen der katholischen Kirche und besonders die Gesänge der Mönche schafften es sogar bis hinein in moderne Hitparaden.
Eine der profiliertesten Vertreter der Gregorianik, die Papst Gregors Kunst zur hohen Blüte entwickelte, war die Äbtissin, Visionärin und Naturärztin Hildegard von Bingen (1098-1179). Sie gilt als erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Sie war auch Beraterin vieler bedeutender Persönlichkeiten ihrer Zeit.
Die unter dem Namen „Symphonia armonie celestium revelationum“ („Symphonie der Harmonie der himmlischen Erscheinungen“) überlieferte Sammlung geistlicher Lieder der Hildegard von Bingen enthält 77 liturgische Gesänge mit Melodien in Neumennotation. Sogenannte „Neumen“ sind Vorläufer der modernen Notenschrift die allerdings noch keine Längennotierungen aufweisen und frei interpretiert wurden.
Das berühmteste musikalische Werk Hildegards ist das in Text und musikalischer Notation vollständig bis heute erhaltene liturgische geistliche Mysterien Spiel „Ordo Virtutum“, das am reinsten die visionäre Gedanken- und Bilderwelt der Äbtissin zum Ausdruck bringt.
Es ist ein allegorischer Kampf zwischen den Tugenden und den Lastern, denen sie im „Ordo virtutum“ durch Gesänge eine musikalische Gestalt und eine Stimme gab. Solche Inszenierungen der Tugenden (lateinisch „virtutes“) haben möglicherweise im Rahmen eines liturgischen Dramas die Kirche ihrer Abtei belebt.
„Sequentia, Ensemble für Musik des Mittelalters,“ benannt nach der mittelalterlichen Musikform Sequenz, schufen namentlich der Musik Hildegard von Bingens ein neues, junges Publikum. Sequentia wurde 1977 von Barbara Thornton (1950–1998) und Benjamin Bagby mit Sitz in Köln gegründet. Bereits zu Beginn ergab sich eine bis in die heutige Zeit andauernde Zusammenarbeit mit der Redaktion Alte Musik des Westdeutschen Rundfunks (WDR), darunter Tonträgereinspielungen und Bühnenprojekte. So entstand als Ergebnis eines im Februar des Jahres 1982 vom WDR ausgerichteten Kolloquiums über die Musik der Hildegard von Bingen (1098–1179) im Mai desselben Jahres die erste seit dem Mittelalter eingerichtete Bühnenfassung ihres Mysterienspiels „Ordo virtutum“ in der romanischen Kirche Groß St. Martin zu Köln. Im selben Jahr veröffentlichte man die Aufnahme auf Tonträger.
Soeben erschien eine Box mit acht CDs mit den schönsten Aufnahmen von Sequentia unter anderem dem „Ordo virtutum“. Die Musik Hildegards wird magisch und meditativ vorgetragen. Man muss sich an die zumeist einstimmig oder oft mit einer nur eng alternierenden, dissonanten Zweitstimme gesungenen Antiphone erst gewöhnen – sie sind für moderne Ohren ungewöhnlich. Aber wenn man in diese Tonsprache eintaucht, wird man wie in einem wahren Jungbrunnen geistig erfrischt.
Leider muss angemerkt werden das diese Box zwar enorm günstig, leider aber auch sehr spärlich ausgestattet ist, sie entbehrt jeden Textbegleitheftes, das ist zu bemängeln. Trotzdem wird man so viel Hildegard für den Preis unter einer regulären CD wohl kaum in dieser Güte wieder bekommen.
Eine zweite Aufnahme widmet sich in diesem Jahr den visionären Gesängen Hildegards. Sie würde von der Frauen Vocalistinnen „Voca Me“ eingespielt, vier Sängerinnen, die bereits zur Creme der alten Musik Interpretinnen zählen, Sigrid Hausen, Sara M. Newman, Petra Noskaiova und Gerlinde Sämann – die letzten beiden ebenfalls bei der hochgelobten Neueinspielung der Bach’schen Kantaten durch Sigiswald Kuijken als Solistinnen engagiert.
Diese CD mit dem passenden Titel „Inspiration“ ist von besonderer Güte und zeigt wie man Hildegard heute neu interpretieren kann. Der künstlerische Leiter der Gruppe, Michael Popp, hat verschiedene interessante Instrumente wie die Fidel, mittelalterliche Harfe, Monochord und selbst zuweilen Schlaginstrumente wie Glocken dem Gesang beigefügt und erreicht damit eine ungeheure Dichte der Interpretation. Die Scheibe sei all denen empfohlen, die sich Hildegards Visionen vorsichtig nähern wollen und sozusagen nach einem „Schnupperkurs“ dafür suchen.
Die CD-Box „Hildegard von Bingen“ mit dem Ensemble „Sequentia“ ist zu erwerben bei „Deutsche Harmonia Mundi Records“, unter der Bestellnummer 88697902482.
Die CD „Inspiration“ mit dem Ensemble „Voca Me“ ist zu haben bei Berlin Classics Edel Records unter der Bestellnummer 0300425BC.
Marienkult: Musikalische Mysterien der Mutter Gottes
Maria stünd in swindem serczen
Pey dem kreucz und waint von herczen
Da ir werder sun an hieng
Ir geadelte zartte seele
Ser betruebt in jamers quele
Scharff ein sneyduntz swert durchgieng
Aus: „Stabat Mater“ des Mönch von Salzburg (Ende des 14. Jahrhunderts).
Um den Umfang des Marienkultes in der ganzen Christenheit des Mittelalters zu ermessen, muss man den Platz entdecken, den die Heilige Jungfrau Maria, sowohl in der katholischen wie auch in der orthodoxen Liturgie einnimmt. So die Gebete zu Maria, wie die großen Hymnen der ältesten Kirchentradition, unter anderem den berühmten Akathistos Hymnus aus dem 6. Jahrhundert oder das bekannteste Mariengebet aller Zeiten, den Rosenkranz und seine Weiterentwicklung, den Psalter oder auch das berühmte Magnificat zu Ehren der Heiligen Jungfrau oder die unzähligen Entwicklungen in allen Sparten der Maria geweihten Musik und Kunst. Das Glaubensprinzip: Maria wird verehrt; Gott allein wird angebetet. Maria ist ein „heiliges“ aber menschliches Geschöpf, das man verehrt. Jedoch ist die Verehrung, die man Maria erweist, höher als diejenige aller anderen Heiligen, da Maria von Nazareth wirklich als die einzige, unter allen Kreaturen, die Gott erschaffen hat gilt, die Ehrentitel wie “Mutter Gottes“, “Mutter des Erlösers“, “Mutter der Kirche“, “Königin des Himmels und der Erde” tragen darf. Obwohl das Neue Testament nur wenig über Maria die Mutter Jesu, berichtet, wuchs schon bald ein reicher Legendenkreis um ihre Person – sicher nicht zuletzt aus dem Bedürfnis nach einer weiblichen, speziell mütterlichen Leit- und Trostfigur neben der eher als männlich-streng gedachten Gottheit. Das ökumenische Konzil von Ephesus in Jahre 431 begründete bereits mit dem Glaubenssatz von Maria als der Gottesgebärerin das Lehrgebäude der Mariologie. Maria ist die Mutter Jesu Christi, der im Christentum der Sohn Gottes ist. Die Annahmen der ewigen Jungfräulichkeit, der leiblichen Aufnahme in den Himmel und der "Unbefleckten" Empfängnis Mariens wurden schon im frühen Mittelalter vertreten. Der Marienkult wurde vor allem in Ordensgemeinschaften unter anderen den Zisterziensern gepflegt. Erst vom 11. Jahrhundert an, vermehrt im 14. und 15. Jahrhundert kam eine breite volkstümliche Marienverehrung auf. Zeichen marianischer Frömmigkeit waren Kirchenzuwidmungen, mehrfach tägliches Angelusläuten, Marienwallfahrten, Marienfeste (unter anderem „Mariä Geburt“, „Mariä Heimsuchung“, „Mariä Verkündigung“, „Mariä Himmelfahrt“, „Mariä unbefleckte Empfängnis“), Mariendichtung, Rosenkranz- und Ave-Maria-Bet-Praxis. Das "Ave Maria" zum Beispiel, wurde bereits um 1220 zum allgemeinen Gebet der Christenheit.
Maria wuchs bis zum Spätmittelalter eine Stellung über allen Heiligen zu, sie rückte in unmittelbare Nähe der göttlichen Trinität, wurde in der Kunst und Ikonographie vielfach neben Christus thronend dargestellt. Viele Marienwunder bezeugten ihre Macht und die Kraft ihrer Fürsprache. Die Faszination Mariens prägte Denken, religiöses Empfinden, und Dichtung wie Minne- und Meistersang und bildende Künste des Mittelalters.
Die Sammlungen der Wundererzählungen der Jungfrau Maria häufen sich im Mittelalter. Sie sind nicht nur Teil der religiösen Lehre, sondern sie werden zum Volksglauben und bilden so die Verbindung zwischen Kirche und Welt. Diese Wundererzählungen finden sich auch in Liedsammlungen die schließlich an den Höfen besonders in Frankreich und Spanien aufgezeichnet und gesammelt wurden.
In Spanien beispielsweise in den „Cantigas de Santa Maria“, auf die wir später noch eingehen werden, die am Hofe von Alfonso el Sabio, genannt „der Weise“ (1221-1284) gesammelt und aufgezeichnet wurden. Alfonso erlaubte es an seinem Hof arabischen, jüdischen und maurischen Einflüssen neben den westlichen, christlichen Glaubens- und Kulturrichtungen (fast) gleichberechtigt zu koexistieren.
Ein echter „Multi-Kulti-Monarch“ seiner Zeit und so klingen die „Cantigas de Santa Maria“ dann auch oft nach arabischer Musik. Diese Cantigas wurden von den Gläubigen bei ihren Wallfahrten gesungen und stellen mit die ersten „internationalen Hits“ der Musikgeschichte dar, da sie durch die Pilger Verbreitung im ganzen damaligen Europa fanden.
In Nordfrankreich komponierte zu dieser Zeit des frühen 13. Jahrhunderts Gautier de Coincy (1177-1236), auch zuweilen geschrieben Gauthier de Coinci, seine Marienvisionen, die er wie Liebesgedichte an die Heilige Jungfrau umsetzte, eine Art Minnesang und Anbetung der himmlischen Königin. Neben ihm gab es Minnesänger, die sich der Marienverehrung widmeten und sie wie „Notre Dame“ – „Unserer Lieben Frauen“ verehrten – so der Troubadour Thibault de Champange (1201-1253).
Anne Azema, die faszinierende Stimme der Boston Camerata Joel Cohens, über den wir in KlassikKompass an anderer Stelle schon berichteten, hat mit der Sängerin und Rezitatorin Shira Kammen ein faszinierendes Album aufgenommen das den mystischen Gesängen um die Heilige Maria gewidmet ist: „Le Miracle Medieval“ – „Wunder des Mittelalters“.
Es ist etwas für interessierte Spezialisten, die sich mit dieser mittelalterlichen Mystik intensiver beschäftigen wollen, faszinierende Musik die visionär und erleuchtend wirkt.
Die CD „Le Miracle Medieval“ mit Anne Azema und Shira Kammen ist zumeist antiquarisch in Europa zu haben bei Calliope Records unter der Bestellnummer CRL 2925.
Alfonso X., genannt „El Sabio“, der Weise, war König von Kastilien und León von 1252 bis 1282 und von 1257 bis 1273 König des Heiligen Römischen Reiches. Sein beträchtlicher wissenschaftlicher Ruf basiert darauf, dass er sowohl der Verfasser mehrerer größerer Gedichte sowie eines chemischen und eines philosophischen Werkes war, als auch die Astronomie und die Anerkennung der ptolemäischen Kosmologie förderte, die ihm durch die Mauren bekannt geworden waren.
Der König gründete in Toledo außerdem eine Übersetzerschule für Juden, Moslems und Christen, die große Leistungen in der Vermittlung arabischen und jüdischen Wissens ins christliche Europa vollbrachte. Hier wurden sowohl das Alte Testament aus der lateinischen Fassung der Vulgata ins Kastilische übersetzt, als auch klassische Werke über Astronomie, Mathematik und Philosophie.
Zusätzlich zu seinen übrigen Leistungen gab Alfons X. viele schriftstellerische Werke in Auftrag, zum Beispiel die oben erwähnten “Cantigas de Santa Maria”, mehr als 400 galizische Lieder über die Jungfrau Maria.
Andalusien, die Heimat Alfonsos, war im Mittelalter ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen – besonders beeinflusst von den Mauren Nordafrikas und den Sephardim, den jüdischen Einwohnern. So unternahm Joel Cohen, oben bereits erwähnt, mit seiner „Camerata Mediterranea“ und einer arabischen Gruppe namens „Abdelkrim Rais“ aus Fez in Marokko die Cantigas de Santa Maria so aufzuführen, wie sie der König zu seiner Zeit gehört haben mag, mit westlichen und arabischen Instrumenten. Er benutzt außerdem die alte Originalsprache Andalusiens, eine Mischung aus Spanisch und Maurisch, um diese Lieder im Originalklang zu interpretieren. Eine Aufnahme, die faszinierend die musikalischen Wurzeln Europas freilegt und in ihrer musikantischen „Feurigkeit“ nichts zu wünschen übrig lässt. So „heißblütig“ ist die Mutter Maria wohl selten angesungen worden wie auf dieser CD.
Die CD Alfonso X el Sabio „Cantigas de Santa Maria“ mit der Camerata Mediterranea unter Joel Cohen und der Musikergruppe Abdelkrim Rais ist zu erhalten bei Apex Records unter der Bestellnummer 2564 61924-2.
Ein besonderer jährlicher Fokuspunkt der Marienverehrung im Mittelalter war die Heilige Woche rund um die Passion Christi. Maria rückt als leidende Mutter in den Mittelpunkt des liturgischen Geschehens und viele Lieder und Gesänge zu ihrer Verehrung stammen aus dieser Zeit des Jahres.
Auf der CD „Spätmittelalterliche Marienklage“ hat das „Ensemble für frühe Musik Augsburg“ – das wir auch im Rahmen von KlassikKompass an anderer Stelle bereits vorstellten – eine beeindruckende Sammlung von Marienliedern zusammengestellt, die um den Passionskreis zirkeln.
Dabei hört man unter anderem die deutsche Fassung des berühmten lateinischen Antiphon „Media vita in mortue sumus“ – „Mitten im Leben sind von dem Tod umfangen“, aus St. Peter in Salzburg um 1450.
Besonders faszinierend ist auch das Lied des Minnesängers Oswald von Wolkenstein, das er der leidenden Mutter Maria widmete „Compassio Beate Virginis Marie“ – „Leidenschaftliches Mitleid mit der Jungfrau Maria“, in dem Wolkenstein ohnehin einer der emotionsbetontesten Dichter seiner Zeit eine zu Herzen und Gemüt gehende Liebeserklärung sein „die Hohe Frouwe“ abliefert: „Unzälich klag und senlich mat bedächtikleich was frau erlaubt als dich Vernunft wiederum betrat und du deines Kindes ward beraubt durch solche lewt die ich nicht trewt die in välschlich an ware zeich verklagen vor des Richters Stab...“
Ebenfalls auf der CD zu finden sind Marienklagen des Mönches von Salzburg, ein ergreifendes „Stabat Mater“ das unsere Reise durch die marianische Musikverehrung einleitet und weitere zeitgenössische Marienklagen. Eine höchst zu empfehlende CD, die alles andere als „nur traurig“ ist – dafür sorgen schon die Musiker des Ensembles für frühe Musik Augsburg die mit viel Einfühlungsvermögen und musikalischem Empfinden dieses Programm einspielten.
Die CD „Spätmittelalterliche Marienklage“ mit dem Ensemble für frühe Musik Augsburg ist zu haben bei Christophorus Records in der Reihe „Entree“ unter der Bestellnummer CHE 0160-2.
Bereits die frühen Christen suchten besondere Orte, wie das Grab Christi oder Begräbnisstätten der Apostel auf, um dort zu beten. Diese Stätten lagen überwiegend im Heiligen Land oder in Rom, man kann sie daher als die ersten Wallfahrtsorte bezeichnen. Natürlich wurden auch Wallfahren zu besonderen Madonnenstatuen und Marienkathedralen unternommen, denen man oft Heilwirkungen und Rettung von vielen Nöten unterstellten.
Ab etwa 900 nach Christus entwickelte sich allmählich ebenfalls eine rege Wallfahrt zum Grab des Heiligen Jakobus nach Santiago de Compostela. Der Beginn einer solchen Wallfahrt wird häufig durch eine Aussendung gestartet. Dies geschieht häufig während einer Eucharistiefeier oder eines Wortgottesdienstes. Pilgermarken vom Zielort sollten belegen, dass der Beauftragte tatsächlich dort gewesen war. Die Pilger hatten eine spezielle Tracht: Langer Mantel, breitkrempiger Hut, Pilgertasche, Trinkflasche und Pilgerstab. Das Beherbergen von Pilgern zählte zu den Werken der Barmherzigkeit und gab an den Segensfrüchten der Wallfahrt Anteil. Die Einkünfte durch die Pilger kamen den Durchreiseländern, den Ritterorden, die Schutz verkauften, und den Orten der Pilgerreiseziele zugute. Auch die jeweiligen kirchlichen Institutionen erzielten nicht unwesentliche Einnahmen.
Das Ensemble für frühe Musik Augsburg mit Jörg Genslein (Gesang), Rainer Herpichböhm (Gesang, Laute und Harfe), Hans Ganser (Gesang, Flöte, Schlagwerk) und Heinz Schwamm (Gesang, Fidel und Schalmei) bietet auf ihrer CD „Auf Jacobs Wegen“ eine Wallfahrt in Musik von Deutschland über Frankreich bis nach Santiago de Compostela in Pilgerliedern des Mittelalters vom 12. bis zum 15. Jahrhundert.
Darunter auch Marienlieder unter anderem vom oben bereits erwähnten Minnesänger Gautier de Coincy und „Cantigas de Santa Maria“.
Diese CD bietet einen einmaligen höchst unterhaltsamen Reiseüberblick von der Musik die Pilger sangen und musizierten um das Ziel ihrer Verehrung zu erreichen.
Die CD „Auf Jacobs Wegen“ mit dem Ensemble für frühe Musik Augsburg ist zu haben bei Christophorus Records unter der Bestellnummer CHR 77264.
Unsere Pilgerreise durch die Orte und Musik der Marienverehrung endet natürlich an der berühmtesten mittelalterlichen Marienkathedrale, die den Namen der „Hohen Frau“ trägt: „Notre Dame“ in Paris.
Die Kathedrale Notre Dame wurde in den Jahren von 1163 bis 1345 errichtet und ist somit eines der frühesten gotischen Kirchengebäude Frankreichs. Mit ihr ist nicht nur eines der wichtigsten Zentren der Marienverehrung verbunden, sondern auch der wichtige musikgeschichtliche Schritt von der Ein- zur Mehrstimmigkeit in der europäischen Kirchenmusik, davon später mehr.
Notre Dame liegt auf einer Seine-Insel mitten in Paris und war eine der führenden Wallfahrtskirchen der Mittelalterlichen Marienverehrung.
Das Harp Consort unter Andrew Lawrence King hat eine bemerkenswerte CD veröffentlicht mit Liebesliedern an die Jungfrau Maria unter dem Titel „Miracles of Notre Dame“. Die Sammlung bezieht sich unter anderem wieder auf Werke des Minnesängers Gautier de Coincy und seiner Zeitgenossen die am Ende des ersten Jahrtausends entstanden – zur Bauzeit der Kathedrale.
Das Consort bestehend aus Vocalisten sowie Instrumentalisten auf mittelalterlichen Instrumenten, unter anderem der Gambistin Hille Perl (Vielles), Ian Harrison (Dudelsack, Shawm – ein mittelalterliches Blasinstrument – und Cornett) sowie dem Leiter Andrew Lawrence King (Harfe, Psalterion und Organetto). Die CD breitet einen musikalischen Teppich aus, der vom Frühmittelalter mit seinen einstimmigen Antiphonen in seiner Farbigkeit bereits zur Schule von Notre Dame mit ihrer mehrstimmigen Polyphonie führt.
Die CD „Miracles of Notre-Dame“ mit dem Harp Consort unter Leitung von Andrew Lawrence King ist zu haben bei Harmonia Mundi Records unter der Bestellnummer HMU 907317.
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