Meinung
„Schwarze Milch“ von Alvis Hermanis - Copyright: Gints Mālderis

Von Alvis Hermanis, dem Letten, vom Publikum, dem deutschen und wie alles mit allem oft einen ungeahnten Sinn ergibt.
Lessingtage am Thalia Theater in der Gaußstraße, Hamburg. Im Programm am 1. Februar: „Schwarze Milch“ von Alvis Hermanis. Geschildert wird die innige Beziehung vom Bauern zu seinem Vieh im alten Lettland. „Die Kuh sei das für einen Bauern, was das Auto für einen Mann sei.“, so beschreibt der Protagonist auf der Bühne das Verhältnis.

Doch die Moderne hält auch hier unbarmherzig Einzug, die Globalisierung der Milchwirtschaft gilt auch für Lettland. Die Kühe wurden von 5 Darstellerinnen hinreißend verkörpert. In einer Metamorphose verwandelten sie sich mit Hörnern am Haupt, Stempelmarke im Ohr, mit einen geflochtenen Schwanz wedelnd, glotzäugig, staksend, alles in allem ein großes allumfassendes Muh. Was den um Korrektheit bemühten Deutschen irritierte, waren die ins unermäßlich vergrößerten Brüste, hier als Euter definiert. Man muss wissen, dass sich just zu diesem Zeitpunkt Unerhörtes in deutschen Landen zutrug.

Der neue Spitzenkandidat der Kleinpartei FDP, Rainer Brüderle, habe vor einem Jahr zu einer Journalistin vom Stern – namens Himmelreich – im außerpolitischen Rahmen gesagt, dass sie gut in ein Dirndel passen würde. Den nichtdeutschen Lesern sei erklärt, dass ein Dirndel eine Tracht in Bayern und Österreich bezeichnet, dass die sekundären Geschlechtsmerkmale der Frau oberhalb der Gürtellinie – nun sagen wir – zur Geltung bringt. Ja, er – der Brüderle – solle sogar dabei auf die sekundären Geschlechtsmerkmale oberhalb der Gürtellinie gestarrt haben. Da war was los – der Empörungsjournalismus war mal wieder von der Kette gelassen. Zu einer routinemäßigen Pressekonferenz der FDP kam Frau Himmelreich nur in Begleitschutz zweier Kollegen – man weiß ja nie, zu was so ein Unhold noch fähig ist und ein Journalist schlug auf dieser Pressekoferenz der FDP vor, dass dies doch für Brüderle eine gute Gelegenheit wäre, sich zu entschuldigen. Der Journalist Jakob Augstein geiselte den Bürderle (67) gar als Sex-Opa; nur hier schmeißt einer Steine im Glashaus. Denn Jakob ist nicht der Sohn des Spiegelverlegers Rudolf Augstein, dessen Namen er trägt, sondern in einer Ménage à trois von dem Schriftsteller Martin Walser gezeugt.

Und nun Alvis Hermanis mit seinen übergroßen – na, Sie wissen schon – Kostümierungen. Gott lob, blieb diese Aufführung ohne politische Konsequenzen. Der Krieg mit Lettland fand nicht statt. Hermanis zum zweiten. In der Schaubühne in Berlin gab es am 23.2. unter seiner Regie „Sommergäste“ von Maxim Gorki. Es zeigt die lähmende, lebensunerfüllbare Situation im vorrevolutionären Russland. Zugegeben – die Rezensionen waren durchaus gemischt – aber Hermanis ist es durchaus gelungen, in dreieinhalb Stunden den Nihilismus und das Versagen der bürgelichen Gesllschaft auf die Bühne zu bringen; allerdings so gut, das die Lethargie sich auf das Publikum übertrug. Nichts klappte – selbst die Suizide waren ohne Erfolg und lächerliche Höhepunkte. Das einzige Lebendige war ein Hund, der durchaus zum Publikumsliebling avancierte. Hermanis hat die Erstarrung auch unserer Gesellschaft gut empfunden – vielleicht kann diese Inszenierung nur ein paar Jahre zu früh.

Am 24.2. gab es Parsival von Richard Wagner – fünfeinhalb Stunden in Lübeck. Auch hier Seltsames. In der ersten Szene ein Krankenhaus mit Halbgöttern in Weiß, dann die nächsten Akte nur noch Gral und Speer. Aber dies wäre nun wieder eine ganz andere Geschichte.

Ihr Klaus Peter Nebel


Prof. Dipl.-Bibl. Prof. h.c. Klaus Peter Nebel ist Leiter des Studiengangs Kultur- und Medienmanagement an der Lettischen Kulturakademie in Riga/Lettland. Von 2007 - 2010 arbeite er als Professor für Marketing- und Unternehmenskommunikation an der UMC (University of Management and Communication), Berlin, Potsdam; In den Jahren 2007 und 2008 war er als Direktor der Konzernkommunikation der maxingvest AG, Hamburg tätig (Holding für Beiersdorf AG, Tchibo GmbH, tesa AG) und Leiter der Unternehmenskommunikation der Tchibo GmbH, Hamburg. Über 20 Jahre, von 1983 bis 2007 war er Leiter Presse & Public Relations der Beiersdorf AG in Hamburg.

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