KlassikKompass: Musikalisches Sommerfestival (Teil 2)
- Geschrieben von Herby Neubacher -
Händelfestspiele - eine bestrickende Zauberin Damals wie Heute.
Für Georg Friedrich Händel (1685-1759) gibt es viele internationale Festspiele die sich mit seiner Musik beschäftigen. Die beiden größten im deutschsprachigen Raum sind einmal die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, das weltweit älteste Festival für Alte Musik und die Händelfestspiele in Halle, Saale.
Die Händel-Festspiele Göttingen finden seit 1920 jährlich statt, dauern zwölf Tage und hatten 2010 rund 22.000 Gäste. Die Werke Georg Friedrich Händels waren in Vergessenheit geraten, als die Inszenierung seiner Oper Rodelinda am 26. Juni 1920 in Göttingen nicht nur der Beginn der Festspiele war, sondern viele Aufführungen seiner Werke in ganz Deutschland auslöste.
Die Händel-Festspiele in Halle (Saale) sind das größte Musikfest des Landes Sachsen-Anhalt. Die Festspiele in Georg Friedrich Händels Geburtsstadt sind das Zentrum der europäischen Händelpflege. Auf dem jährlich stattfindenden Festspiel wird mindestens eine Händel-Oper am Opernhaus Halle und eine Gastinszenierung ergänzend am Goethe-Theater in Bad Lauchstädt gegeben. Seit 1922 wurden zu den Festspielen in über 100 Inszenierungen 34 der 42 Händel-Opern aufgeführt.
Dazu gehört auch „Alcina“ (HWV 34), eine Oper in drei Akten, die am 16. April 1735 ihre Uraufführung im Theatre Royal in Covent Garden erlebte. Das Werk wurde in den folgenden beiden Jahren häufig wiederaufgenommen. Für 1738 ist sogar eine erste Aufführung der Alcina in Deutschland, in Braunschweig, dokumentiert.
Zusammen mit „Ariodante“ und dem „Orlando” von 1733 bildet Alcina gewissermaßen einen Zyklus von Werken über Ariostos Epos „Orlando furioso”. Im hier verwendeten 6. und 7. Gesang geht es um die Liebe des Ritters Ruggiero zu Alcina, von der er verzaubert worden ist.
Die Geschichte hat eine antike Vorlage in den Irrfahrten des Odysseus des griechischen Dichters Homer (ca. 850 vor Christus). Er beschreibt die Landung seines Helden Odysseus auf der Insel der Kirke (römisch: Circe). Kirke, griechisch für „Falke“, ist eine Zauberin der griechischen Mythologie. Sie ist die Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide Perse und die Schwester des Königs Aietes von Kolchis. Kirke lebt auf der mit Eichen und anderen Bäumen bewachsenen Insel Aiaia (bedeutet übersetzt etwa soviel wie „Klagen“).
In einer Waldlichtung bewohnt Kirke eine Villa, wo sie auf einem von Göttern geschaffenen Webstuhl sitzt. Alle Besucher der Insel verwandelt sie in Tiere, so dass dort unter anderem Löwen und Wölfe wohnen, die die Neuankömmlinge allerdings umschmeicheln – und damit selbst schon einen Hinweis auf die Gefährlichkeit der Verführungskünste Kirkes geben.
In der Odyssee – im Werk selbst wird Kirke von Homer als „Göttin“, bezeichnet – wird im zehnten Gesang von ihrer Beziehung zu Odysseus erzählt. Der Held landet im Zuge seiner Irrfahrt auf ihrer Insel. Kirke verwandelt seine Gefährten mit Ausnahme des Eurylochos, der die Gefahr ahnt, in Schweine. Odysseus bleibt ein Jahr bei Kirke und erhält vor seiner Weiterreise von ihr wichtige Unterstützung für seine Heimkehr, indem sie ihm den Weg ins Reich des Hades weist, wo er die Toten befragen kann. Ebenso rät sie ihm, wie er dem Gesang der Sirenen unversehrt entkommen kann.
Alcina ist nun die Circe aus dem Gedicht-Roman „Orlando Furioso“ des italienischen Dichters Ludovico Ariosto (1474-1533), dessen Werk als einer der wichtigsten Texte der italienischen Literatur gilt und in ganz Europa der Renaissance und des Barock gelesen und bewundert wurde. Es diente auch als Libretto für Opern von Vivaldi und eben Haendel und anderen als Vorlage.
In Alcina werden der Ritter Ruggiero, seine Verlobte Brandamante und die Gefährten auf die Insel der Zauberin Alcina und ihrer Schwester Morgana verschlagen. Alcina ist etwas netter als Kirke – sie verwandelt Ruggieros Gefährten nicht in Schweine, sondern in Pflanzen und Bäume und versucht dann die Liebe Ruggieros zu gewinnen. Der spielt ihr diese Liebe nur vor und arbeitet heimlich an seiner Flucht. Schließlich gelingt diese und Alcina bleibt wilde, musikalisch von Händel in berückende Koloratur-Arien gekleidete Flüche ausstoßend, zurück. Ruggiero kann zudem erfolgreich seine Gefährten aus ihren ungeliebten „Pflanzen-Kleidern“ befreien. Keiner wollte „Bio“ damals – alle waren dann doch lieber wieder Mensch!
Zugegeben, die Story ist etwas dünn, die Oper gehört aber musikalisch zum Schönsten das Händel je geschrieben hat.
Wir wollen uns in unserem Festspiel-Reigen zwei Alcina-Aufnahmen widmen, die 43 Jahre auseinander liegen, eine von 1956 und eine andere von 1999.
Die erste Alcina Aufnahme, die wir empfehlen wollen, wurde am 15. Mai 1956 im Großen Hörsaal des WDR (Westdeutscher Rundfunk) in Köln konzertant aufgeführt und aufgenommen. Sie ist mittlerweile legendär.
Sie präsentiert ein wahres Traumpaar der Besetzung, das nur dieses eine mal zusammen auf einer Bühne gesungen hat, den lyrischen Tenor Fritz Wunderlich, selbst eine Legende, in der Rolle des Ruggiero und die große australische Koloratur-Sopranistin Joan Sutherland als Alcina.
(„Dame“) Sutherland, die späterhin zu den von der Queen geadelten, weltberühmtesten Diven auf der Opernbühne zählte, war hier gerade mal 30 Jahre jung und hatte die Alcina 1956 erst einmal in ihrem Leben in englischer Sprache auf einer britischen Bühne gesungen.
Die junge Sängerin sprang mutig und über Nacht für eine spanische Sopranistin ein, der die Rolle zu anspruchsvoll war. Sie singt eine Alcina die Maßstäbe setzt – namentlich ihr berühmtes „Glissando“ ihres magischen Sopran passt wie gemacht auf die Rolle der geheimnisvollen, liebenden Zauberin. Wer Sutherland als Alcina hört, hat Schwierigkeiten sich eine andere Sängerin in dieser Rolle vorzustellen.
Ähnliches gilt für Fritz Wunderlich. Die Rolle des Ruggiero, eigentlich für einen falsettierenden Kastraten geschrieben, wurde für den Tenor tiefer transponiert und das volle sanfte und zupackende Timbre der Stimme Wunderlichs kommt zum Tragen – man höre nur auf der CD 2/ Track 10 die berühmte Cavantine (Largo) „Verdi Prati“ über die blühenden Zaubergärten – zum Wegfliegen schön.
Es spielt die Capella Coloniensis, damals schon ein Orchester das sich der originalen Aufführungspraxis verschrieben hatte unter dem ebenfalls legendären Musikdirektor Ferdinand Leitner, einem der Väter der heutigen Alten Musik Szene.
Die Aufführung war ein solches Ereignis, das sich im Publikum damals sogar der erste Bundespräsident der Bundesrepublik, Theodor Heuss (1884-1963), und sein Wirtschaftsminister, der „Vater des Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard (1897-1977) im Funkhaus einfanden und begeistert Haendels „Alcina“ lauschten.
Die Aufnahme ist erstklassig erhalten geblieben – wer sie heute hört, kann nicht glauben, das sie bald ihren 60. Geburtstag feiert. Sie wurde von den Rundfunkbändern bestens neu abgemischt. Die Oper ist zwar um etwa eine Stunde gekürzt, das tut der Freude an ihr aber keinerlei Abbruch.
Die 2er CD-Box Georg Friedrich Händel „Alcina“ mit Joan Sutherland, Fritz Wunderlich, Norma Procter u.a. und Capella Coloniensis unter der Leitung von Ferdinand Leitner ist zu haben bei Deutsche Grammophon DGG unter der Bestellnummer 00289 477 8017.
Die zweite Alcina unserer Festspiele zu Hause stammt von 1999 und wurde live in der Pariser Oper (Palais Garnier) aufgenommen. Sie zeigt die Entwicklung der Alten Musik im Originalklang und stellt diese schönste aller Händelopern - lässt man mal „Giulio Caesare“ beiseite – im voll rekonstruierten Original dar, sowohl was Länge (über drei Stunden) als auch was Aufführungspraxis angeht, dar. Kein Wunder denn wird sie doch von einem der Experten für Originalklang, dem US-Franzosen William Christie (wir berichteten in Kultur-Port.De über ihn in unserer Dreiteiler-Story über den Sonnenkönig) aufgeführt.
Christie suchte sich die Creme der Sänger zusammen – die Rollen des Ruggiero und der Alcina sind beide weiblich besetzt – Ruggiero wird von der Mezzo-Sopranistin Susan Graham in der Original Kastraten-Stimmlage gesungen. Die Alcina singt eine der bekanntesten amerikanischen Sopranistinnen, Renee Fleming.
Christie rekonstruiert besonders die Ballette der Oper, die vielzählig sind – man liebte im Barock Zauberopern viel Tanz.
Und so bietet sich ein Reigen von brillanten Sängern mit dem Musikern von Les Arts Florissants unter William Christie und mitreißenden Tanzeinlagen. Also richtig für den lauen Sommerabend.
Christie schreibt in der Textbeilage zu seiner Alcina:
(...) Händels Musik ist so befriedigend, weil er leidenschaftlich die menschliche Natur darstellt. Wie Mozart nach ihm, so wusste er, das niemand von uns völlig gut oder schlecht ist, sondern das wir alle ein Opfer miteinander ringender Emotionen und Motive sind. Und darüber hinaus hat er ein Gefühl dafür, das die moralische Mitte das gefährlichste Feld ist, das es zu entdecken gilt (...)
Die 3er CD-Box Georg Friedrich Händel „Alcina“ mit Renee Fleming, Susan Graham, Natalie Dessay und Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie ist zu haben bei ERATO Records unter der Bestellnummer 8573-80233-2.
Link zu den Händel-Festspielen Göttingen: www.haendel-festspiele.de
Link zu den Händel-Festspiele in Halle (Saale): www.haendelfestspiele.halle.de
Fotonachweis:
Header: Detail aus Georg Friedrich Händel, Portrait-Signatur-Collage. (Archiv)
Galerie:
01. CD-Cover Georg Friedrich Händel „Alcina“ mit Joan Sutherland, Fritz Wunderlich, Norma Procter u.a. und Capella Coloniensis unter der Leitung von Ferdinand Leitner
02. CD-Cover Georg Friedrich Händel „Alcina“ mit Renee Fleming, Susan Graham, Natalie Dessay und Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie
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