Meinung
KlassikKompass: Der Ritter der Ratten - ein gründliches Missverständnis

Ein Rück- und ein Ausblick – Umstrittener Neuenfels-Lohengrin auch 2012 wieder in Bayreuth.
Die Menschen sind eigentlich Laborratten und nur wenn sie sich befreien, dann haben sie die Chance, wirkliche Menschen zu werden. Nach diesem simpel gestrickten Dramaturgie-Konzept verursacht Hans Neuenfels in seiner Lohengrin-Inszenierung von 2011 einen mittleren Wagner-Skandal der eigentlich gar keiner ist. Denn Hans Neuenfels – der diese viel diskutierte Neuinszenierung der Oper vom Schwanenritter ablieferte und die in diesem Jahr Wiederaufnahme in Bayreuth findet, hat das Epos leider, aber gründlich missverstanden. Der Ritter der Ratten ist nichts weiter als eine dummhafte Verballhornung die künstlerisch nicht einmal sticht, wie der Rückblick auf die Inszenierung zeigt.

Gut, dass es YouTube gibt. Dort hat jedermann gratis die Möglichkeit, die Lohengrin-Inszenierung 2012 von Neuenfels in voller Länge und in TV-Qualität zu erleben – und sich dabei erneut lustvoll und gründlich zu ärgern!
„arte“ sei Dank, die dieses Erlebnis in den Kanal stellten. Auch ein Jahr später stimmt die Inszenierung immer noch nicht. Neuenfels lässt ganze Rotten von Nagetieren in allen Farben durch ein imaginäres Labor unter riesigen, von der Decke hängenden Mikroskopschirmen laufen: schwarze (sind natürlich böse!), weiße (sind natürlich gut!), rosa (müssen niedlich-lustige Rattenkinder sein!).

Of Rodents and Men
Die Menschen sind also im Prinzip Ratten und suchen den Rattenretter. Der Ratten rettende Ritter (Lohengrin) steht vor der Tür und will rein – so beginnt die Oper noch während der Ouvertüre – aber keiner lässt ihn. Erst als Elsa, mit Pfeilen von Ratten zur Strecke gebracht – diese sind auch noch zielgenaue Bogenschützen – kommt der Ritter zum Zuge und erscheint mit Schwan in einem Boot. Warum aber in einem Labor? Und warum wird das Boot nicht von Ratten gezogen?
Lohengrin wird von Anbeginn als dummhafter, gutmütiger Held gezeichnet, der eigentlich nicht in diesen Rattenkeller gehört. Er schafft mehr Probleme als er löst, versteht die ganze Szenerie grundsätzlich falsch und das Geschehen endet in der Katastrophe.
Lohengrin verlässt das böse Spiel und befreit, bevor er sich mit Grausen wendet, schnell noch eine Art überdimensionierten Baby-Alien, geschlüpft aus einen riesigen Schwanen-Ei, das den neuen Herzog von Brabant geben soll. Als erste und letzte Guttat wirft dieser seine Nabelschnur unter die Rattenmenge. Dann ist es – Ratte sei Dank – geschehen um diesen völlig konfusen Opernabend.

Die unfreiwillig komisch-passende Erklärung von Neuenfels’ Dramaturg Henry Arnold auf der Bayreuth-Website lautet: „Die Lage ist verworren. Sie ist undurchschaubar für die Menschen, es geht um Vorgänge, die sich herkömmlichen Erklärungsversuchen verschließen“.
So kann man es auch formulieren, wenn man den Zuschauer endgültig verwirren oder schlicht auf den Arm nehmen will.

Es macht keinerlei Sinn, die Inszenierung psychologisch analysieren zu wollen, weil hier etwas passiert, was heute vielfach mit Wagner geschieht: Regisseure, teils namhaft, teils auf der Suche nach Bedeutung, versuchen sich an seinen Opern mit immer neuem Inszenierungs-Wirrwarr zu profilieren. Diese Regieautoren, die im Grunde ihrer Seele immer ein eigenes Stück schreiben wollten, zwingen ihre konfusen Ideen auf Wagners Dramatik. Die Musik läuft dann zumeist nebenher.
Ich verstehe mittlerweile, warum Wagner jeden Schritt seiner Inszenierungen festgelegt hat, es ist reine Notwehr. Hier leider erfolglos.
Dabei ist überhaupt nicht zu verstehen, warum man heute mit großer Mühe Barockopern im Originalgewand und Klangbild rekonstruiert und versucht Wagner permanent zur eigenen höheren Ehre künstlerisch zu vergewaltigen.

Kampf um Liebe und Macht
Das Grundszenario des Lohengrin-Auftritts ist in Neuenfels’ Chaos nicht ganz so schlecht gedacht – wären da nicht die dummen Ratten. Lohengrin kämpft mit Macht um seine Liebe. Elsa möchte jedoch nur auf Augenhöhe lieben und sucht daher mehr nach Macht als nach Liebe: „An dich mich zu binden, wie sollt ich mächtig sein? Voll Zauber ist dein Wesen, durch Wunder kamst du her; wie sollt ich da genesen, wie fändt ich dein Gewähr?“ Will sagen: Gib mir die Liebesversicherung! Wenn ich weiß, wer du bist, gehörst du mir. Dann hab’ ich den Daumen auf der Beziehung. Wie modern!
Das übliche ewig hochmoderne, basische Beziehungsdrama, der Kampf um die Vorherrschaft beginnt vor einem riesigen Ehebett. Wer liegt oben, wer muss nach unten? Das ist nun hier einmal sehr schlüssig dargestellt und die Inszenierung hat ihre einzigen Höhepunkte immer dann, wenn die Ratten abwesend sind und die menschlichen Protagonisten endlich die Erlaubnis der Regie haben, zu spielen.

Das gleiche gilt für die mitleidlose Auseinandersetzung zwischen der hervorragend gespielten Ortrud (im vergangenen Jahr Petra Lang) als schwarze Magierin und Elsa. Die konkurrierenden Damen wechseln die Rollen mit der Macht über die sie verfügen. Elsa in weißem Schwanengewand und Ortrud als schwarzer Schwan. Am Ende dann vertauscht, die gebrochene Elsa in Schwarz und Ortrud in Weiß.

Wenn da nicht diese dämlichen Ratten wären! Man hat den Chor und Teile der Statisterie in Rattenkostüme gepackt und lässt sie durch die eiskalt-karge Bühnenlandschaft wuseln. Ganz schlimm wird es schließlich wenn die Hochzeitsgesellschaft aus Menschen-Rättinnen, bedeckt von knallbunten Ascot-Hüten aller Schattierungen, sich von ihren Partnern im schwarzen Anzug die nackten Schwänze liebestrunken mit Gummi-Rattenpfoten kosen lassen. Das ist nur noch unappetitlich und hat nichts mit der Sache zu tun: Regie-Pippifax.

Gralserzählung auf leerer Bühne
Der musikalische Standard ist stellenweise etwas besser. Klaus Florian Vogt ist von der Kritik in dieser seiner Paraderolle hochbesungen, in meiner Kritik kommt er schlechter davon. Die Stimme, kühl überirdisch und manchmal ziemlich dünn, aber immer klinisch tot. Der ganze Mann ist falsch platziert und eingestimmt und sein Spiel passt überhaupt nicht mehr zur Rolle.
Er mimt einen weinerlichen Liebhaber ohne Fortune. Er sollte aber, folgt man Wagner musikalisch und dramaturgisch richtig, ein distanziertes Ideal sein: Ein Ritter in silberner Rüstung, den man zwar anbeten, aber nie lieben kann. Ein „Wet Dream“ Elsas, aber bitte nicht zum Anfassen, nicht zum Hinterfragen, nur zum Bestaunen. Ein gründliches Missverständnis!

Dramaturg Henry Arnold fragt – offensichtlich irritiert vom eigenen Regie-Quark – in einer Anmerkungen, auf der Bayreuth-Website:
- Wer ist Lohengrin?
- Das Frageverbot: Was hat es damit auf sich?
- Und was zum Teufel sollen uns der Gral und sein Gesetz?

Genau diese Fragen beantwortet die Oper, wenn man sie versteht – Neuenfels und Arnold verstehen sie nicht.

Wagner selbst gibt die Antworten:
- Lohengrin ist wie sein Vater, ein verletzter Erlöser.
- Man darf ihn nicht hinterfragen, weil er „unberührbar“ ist.
- Der Gral und sein Gesetz rühren aus Mitleid.
Fertig.

“Kein Grund zur Hoffnung“ lautet die Erklärung zur Inszenierung. Warum?
Dies passt musikalisch überhaupt nicht, es gibt nämlich mehr als Hoffnung!
Thomas Mann, der Zyniker unter den großen deutschen Dichtern, hat wie ein Medikament gegen Zynismus, Lohengrin mehr als jede andere Oper geliebt. Der Grund dafür war der Hoffnungsschimmer, der in den ersten Harmonien der Ouvertüre offenbart wird und sich wie ein Leitmotiv schließlich durch die ganze Oper zieht.
Neuenfels hat davon nachweislich nichts verstanden. Selbst an der wichtigsten Stelle der Oper bleibt eine leere Bühne. Da kann die Hoffnung noch so beschworen werden. Leider passt keiner der Protagonisten in Neuenfels’ Rattenkeller.

Bayreuth bald nur noch zweite Wahl
Das Dirigat von Andis Nelsons ist brav bis bieder und ohne wirkliche Höhepunkte. Nett bis spannungslos. Man darf weder Daniel Barenboim oder Jimmy Levine im Ohr haben, sonst ist die Enttäuschung noch größer.
„Das Unglück, das mit meinem Fall begonnen“ – singt Lohengrins Widerpart Telramund. Das Unglück, das mit dem „Ritter der Ratten“ begonnen, hat mittlerweile wie ein grassierender Virus ganz Bayreuth erfasst.
Die beiden Wagner Enkelinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner, die mit großem Medienrummel die Leitung der Festspiele übernahmen und die Lohengrin- sowie abgesetzte, schlimm hausgemachte Meistersinger-Inszenierung als Einstieg vorlegten, stehen zu recht immer mehr in der künstlerischen Kritik. Was Bayreuth seit dem Tode Wolfgang Wagners liefert ist bestenfalls zweite Garnitur.
Dieses Jahr haben sie sich im Spielplan auf bereits bekannte Inszenierungen zurückgezogen und bereiten mit Macht ihren nächsten Schlag, den Jubiläums-Ring für 2013 vor. Inszenierung Frank Casdorf.

Die gute Nachricht zum Schluss: Prinzipiell kann man Wagner nicht zerstören.

Ihr Herby Neubacher


LOHENGRIN In Bayreuth 2012
Am 27. Juli, 2., 8., 13., 19.und 25. August. Spielbeginn jeweils 16.00 Uhr

Musikalische Leitung: Andris Nelsons / Regie: Hans Neuenfels / Dramaturgie und Regie-Mitarbeit: Henry Arnold
Lohengrin: Klaus Florian Vogt
Heinrich der Vogler: Wilhelm Schwinghammer
Elsa von Brabant: Annette Dasch
Friedrich von Telramund: Thomas J. Mayer
Ortrud: Susan Maclean
Der Heerrufer des Königs: Samuel Youn
Foto: Bayreuther Festspiele - Pressebüro / Medien und Publikationen

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment