Meinung

Das sinfonische Musikmärchen Peter und der Wolf von Sergei Prokofjew ist die wohl bekannteste Tondichtung mit einem eindeutigen Bezug auf die Phantasiewelt der Kinder. Und zwar sowohl hinsichtlich der märchenhaften Handlung als auch hinsichtlich der programmusikartigen Instrumentation.

 

Die tragenden Instrumente sind den jeweiligen Dramatis personae zugeordnet (die Querflöte zwitschert wie ein Vogel, die Oboe ahmt das quäkende Quaken der Ente nach, die Klarinette imitiert das behagliche Schnurren der Katze, dem Fagott kommt der Part des brummelnden Großvaters zu, und die Hörner schließlich signalisieren das Nahen des Wolfes). Diese spezifische Form der Programmmusik sollte Kinder mit den Instrumenten eines Orchesters auf eine spielerische Art vertraut machen.

 

Das Spielerische. Dass in einer Sinfonie, wobei es sich bei Peter und der Wolf freilich um keine Sinfonie handelt, die diversen Instrumentengruppen miteinander spielen, bedeutet zunächst ja nur, dass ein wie auch immer motivierter Zusammenklang, die Integration des Einzelnen zu einem in sich stimmigen Ganzen, geleistet worden ist. Und zwar zunächst und, wie sich von selbst versteht, in der Komposition selbst. Die dann von einem Orchester auf womöglich kongeniale Weise – was immer das auch heißen soll und kann – zu Gehör gebracht werden soll.

 

Um diese aus ihren Teilen gefügte Stimmigkeit des Ganzen geht es mir aber in diesem speziellen Fall nicht. Das Wort Spiel ist hier buchstäblich gemeint, insofern es automatisch an das regelfreie sich Einhausen von Kleinkindern in ihre Phantasiewelten denken lässt. Um sich auf diese in der Regel nicht-normierte Weise ihre kleinen Universen, in die sie sich verlieren, zu kreieren.

 

Das Frappierende an dieser Einspielung von Mozarts Sinfonia concertante besteht nun darin, dass sie (also die Komposition und ihre ganz spezielle Form der Darbietung mit dem Horn, der Oboe, der Klarinette und dem Fagott an Stelle der sonst üblichen Violine und Viola) – und dieses Hinweises bedarf es selbstredend nicht – alles andere als unstrukturiert ist. Wäre sie es wirklich, es handelte sich um keine Tonkunst. Das Frappierende ist, dass die stets gebundene Freiheit der (musikalischen) Kunst in dieser Darbietung Kapriolen überbordender, fideler Ungebundenheit schlägt. Da aber das Tonkünstlerische nicht selten das Fremde ist und bleibt, dem Mann/Frau sich in gebotenen Abständen als dem eher Befremdlichen distanziert-gelangweilt annähern, lässt diese verspielt-freudige Einspielung der Hoffnung Raum, dass sie, sollte sie Kindern zu Ohren kommen, bei ihnen unvermittelt ein kindliches Interesse weckt.

 

Nicht weil ihnen, wie im Falle von Peter und der Wolf, die Instrumente in ihrem eigentümlichen Klang nähergebracht werden, sondern weil sie, eventuell und hoffentlich, ganz schnell merken – und zwar spätestens dann, wenn die ersten beiden Soloinstrumente (das Horn und die Oboe) erklingen –, dass Ton gewordene Freude und beschwingte Leichtigkeit den Hör-Raum erfüllen. Es schwebt und tänzelt, die Musik wiegt sich froh und selbstvergessen in ihrem eigenen Rhythmus, indem sich die Solisten – und nicht nur sie, sondern auch das Orchester trägt seinen Teil bei zu diesem ganz leichten, schwebenden Schwingen – klanglich die Bälle zuwerfen. Es ist ein unentwegtes freudiges, in Liebe lächelndes Geben und Nehmen in beseligender Selbstvergessenheit.

 

Peter und der Wolf F John Moeses Bauan Clipart unsplash

Hintergrundfoto: John Moeses Bauan, unsplash, Clipart. Collage: Claus Friede

 

Durch den ständigen Blickkontakt unter den vier Solisten und freilich auch innerhalb des Orchesters entsteht rein visuell ein frohgemutes, lächelndes Miteinander in höchster Sympathie und wechselseitiger Anteilnahme. Das das Spielerische noch einmal und darüber hinaus ganz besonders spürbar werden lässt. Dieses versonnene Lächeln in den Gesichtern der in dieses unbeschwerte Spiel Involvierten, das auch und nicht zuletzt durch den musikalischen Leiter Andrés Orozco-Estrada in seinem Dirigieren, seiner Gestik und Mimik wie seiner Körperbewegung vorgelebt wird, ist mitreißend.

 

Mitreißend? Nein, das ist ein zu starkes Wort. Der Zuhörer fühlt sich wohlig, glückhaft geborgen in diesem spielerisch dargebotenen spielerischen Klanguniversum, das sich frei in seinem Regelwerk ergeht. Es ist oder kommt mir vor wie die unreglementierte Freude der Kinder in ihrem von der Erwachsenenwelt noch nicht unter Aufsicht gestellten Spiel. Weswegen ich so etwas wie die Hoffnung hege, dass, sollten kleine Erdenbürger dieser Einspielung – wovon freilich nicht auszugehen ist – im Zuge ihrer Welterkundung begegnen, sie unvermittelt verstehen werden – ohne freilich wirklich zu verstehen, was ihrer Freude selbstredend zugutekommt –, dass es ihre Welt ist, die ihnen hier auf klanglicher Basis wiederbegegnet. So dass sie der Geborgenheit augenblicklichen Glücks innewerden, die ihnen in ihrem Spiel das Vertraute ist.

Und noch dies: Ich bitte, kurz vor dem Finale, auf das Gesicht der in das Orchester integrierten Oboistin Doğa Saçılık zu achten. Eine Begründung erübrigt sich.

 

Hier erklingt etwas, ist etwas erklungen, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ (Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, der letzte Teilsatz des Werkes)


Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonia concertante für 4 Blasinstrumente und Orchester Es-Dur KV 297b

 

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Mozart: Sinfonia concertante Es-Dur KV 297b ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada (32:11 Min.)

 

 

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