Meinung

Musikalische Entdeckerfreuden meint in diesem Zusammenhang gleich mehrerlei.

Und der Zusammenhang ist der folgende: Das unter Coronabedingungen stattgefundene, d. h. zuhörerfreie sinfonische Musizieren des Frankfurter Radio Sinfonieorchesters unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada. Gespielt wurde das Violinkonzert a-moll op. 53 Antonín Dvořáks mit der Solistin Hilary Hahn.

 

Ich beginne mit den Freuden. An erster Stelle steht die Freude des Lauschenden, also des internetgestützten Rezipienten. Die freilich, wenngleich nicht unwichtig, so doch das nicht der besonderen Betonung werte ist. Weil sie sich für den Aufnahmebereiten von selbst versteht, und nun erst bei diesem gesanglichen, virtuos-volkstümlichen, keck-schwungvollen und, im zweiten Adagio-Satz, immer auch schwermütig-sehnsuchtsvollen Stück Musik.

 

Viel wichtiger nämlich ist, dass das Sinfonieorchester des hessischen Rundfunks ein Ensemble ist, das, bei immer wieder auch wechselnder Zusammensetzung – ich erwähne die Konzertmeister (Alejandro Rutkauskas und Ulrich Edelmann), die Flötisten (Clara Andrada de la Calle und ihr männliches Pendant Sebastian Wittiber), die Oboisten (Nicolas Cock-Vassiliou und José Luis García Vegara), und schließlich die Fagottisten (Theo Plath und Carsten Wilkening) –, mit einer spür- und sichtbaren Intensität bei der Sache ist, deren Grundton besagte glückhafte Freude ist. Den Ausübenden steht es – nicht bloß in diesem Fall – ins Gesicht geschrieben, was es bedeutet, präsent zu sein und in der Hingabe an das jeweils zu Spielende zu sich selbst zu finden oder bei sich zu sein.

 

An dritter Stelle komme ich jetzt zu dem Konnex zwischen der Freude und dem ‚Entdeckertum!. Denn es will mir scheinen, dass in dieser Einspielung etwas greifbar wird, was ansonsten den Stunden der Probe vorbehalten ist. Nämlich im und während des (Zusammen-) Spiels das Zusammenspiel quasi neu zu entdecken. Also sich selbst, unter Einschluss des Dirigenten, immer wieder mit ganz dezenten Nuancen der ‚Verklanglichung‘ in musikalisches Neuland zu entführen. Was wiederum die Freude über betretene musikalische Seitenpfade zur Folge hat; und zwar bei den Beteiligten selbst.

 

Ich rate, beim Hören Sichtkontakt mit den Musizierenden zu halten. Ein Lächeln hier, ein verschmitztes Blinzeln des Einverständnisses dort, ein dezent vergnügtes Nicken und eine freundliche Selbstverständlichkeit im und bei der musikalischen Kontaktaufnahme.

Dass Hilary Hahn dabei – dies ist mein Eindruck – quasi den Takt vorgibt, wenn es um ein immer auch schalkhaft-schmunzelndes Minimalabweichen vom unwillkürlich Erwarteten geht, versteht sich eigentlich von selbst bei dieser Violinistin – einer Tonkunstausdeuterin höchster Sensibilität – mit ihrem ungemein delikaten Gespür für das womöglich vom Komponisten Intendierte und spielerisch Heraufzubefördernde.

 

Trotz Maske lassen ihre – freilich lediglich erahnbare – Mimik und ihr, man weiß nicht wohin, sich verlierender Blick dann doch mehr als bloß erahnen, was in dieser Geigerin vor sich gehen mag: Sie ist oder wirkt wie weltentrückt, grad so, als ob sie allem und jedem und sich selbst hingebungsvoll abhandengekommen ist, und dadurch zu sich selbst und der Musik in ihrem innersten Kern gefunden hat.

 

Am Ende schließt sich der kleine Drei- bis Vierfachkreis. Die aktiv und die passiv-aktiv Involvierten – gemeint ist der gerührt teilnehmende Rezipient – befinden sich wieder an genau dem Punkt, den die Überschrift benennt. Vor allem aber die Musiker und der Dirigent empfinden die Freuden des aufmerksam-aufmerkenden Entdeckers, der, als ein in sich stimmiges klangliches Gesamtkorpus, nuanciert-feinfühlig diese subtile Wirkung der tönenden Abweichung zum Erklingen bringt, die dem freudig-erregten Betreten musikalischen Neulandes gleichkommt.


Antonín Dvořák: Violinkonzert a-moll op. 53

 

YouTube-Video:

Dvořák. Violin Concert. Hilary Hahn, Orozco-Estrada. Frankfurt Radio Symphony (35:40 Min.)

 

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