Meinung

Junge Musik meint in diesem Fall nicht, dass sie etwas Unvergängliches sei; also – was unsterblich im Gesang soll leben (Friedrich Schiller, Die Götter Griechenlands) – als dem Bereich des Idealischen zugehörig dem Vergehen nicht preisgegeben ist.

 

Junge Musik meint auch nicht, dass der Tonsetzer sie in relativ jugendlichem Alter aufs Notenpapier geworfen hat. Auch wenn es sich bei dem ersten der hier in Erinnerung gerufenen Kompositionen um ein Werk handelt, das Felix Mendelssohn Bartholdy als 22-jähriger in Rom zu schreiben begonnen und in München vollendet hat.

 

Dass er es der 17-jährigen Pianistin Delphine von Schauroth gewidmet hat, ist insofern von doppeltem Belang, als es sich zum einen bei diesem Werk ganz eindeutig um eine Liebeserklärung an die Widmungsträgerin handelt und zum anderen um ein musikalisch-jugendliches Stelldichein.

 

Mit der Überschrift Ewig junge Musik ist vielmehr gemeint, dass es Kompositionen gibt, die, ihrer eigentümlich jugendlichen Lebendigkeit und ihres ungestümen Draufgängertums wegen von jugendlichen Interpreten dargeboten werden sollten. Sofern ihnen die Nähe zum durch akademische Professionalität noch nicht eingefriedeten Sturm und Drang zu eigen ist, selbstredend auf der Basis eines versierten musikalisch-technischen Know-hows.

 

Bevor ich auf zwei, meines Erachtens, vorbildliche, da jugendlich-frische und lebensfroh-draufgängerische Interpretationen zu sprechen komme, ein Blick auf die beiden Kompositionen geworfen, die die nachfolgenden Überlegungen angeregt haben.

 

Die Rede ist zum einen von Felix Mendelssohn Bartholdys Klavierkonzert Nr. 1 in g-Moll, Opus 25. Zur Aufführung gebracht durch das Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Kurt Masur – das ‚junge‘ Orchester trifft auf anrührende Weise auf einen in die Jahre gekommenen Dirigenten – mit der zum Zeitpunkt der Einspielung noch nicht einmal 20-jährigen chinesischen Pianistin Yuja Wang.

 

Dieses Konzert sei, so ließ sich der Komponist humorvoll-heiter vernehmen, ein „schnell dahingeworfnes Ding“, das er „fast nachlässig zu Papier gebracht habe. Den Leuten“ scheine „es am besten zu gefallen, obgleich“ ihm „selbst wenig“. Wie immer es sich mit dieser womöglich mit einem Augenzwinkern geäußerten Einschätzung verhalten mag, sie legt doch eine Spur in die von mir in den Raum gestellte Richtung. Denn die Äußerung des Komponisten, er habe die Komposition schnell dahingeworfen, ruft nicht von Ungefähr die Assoziation der allen Zwängen abholden, unbeschwerten tonsetzerischen Durchbrennerei wach. Abgesehen nämlich von dem in stiller Ruhe innehaltenden zweiten Andante-Satz, herrscht sowohl in dem Molto allegro con fuoco (!) überschriebenen ersten Satz und dem Presto. Molto allegro vivace zu spielenden finale Satz das Feuer (!) jugendlich-unbändigen Draufgängertums.

 

Zum anderen geht es mir, was Verwunderung hervorrufen mag, um das 1804 komponierte und am 18. Februar 1808 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführte Tripelkonzert für Klavier, Violine Violoncello und Orchester, Opus 56 in C-Dur Ludwig van Beethovens. Wobei mir vor allem der finale 3. Satz, Rondo alla Polacca überschrieben, diesen Gedanken eingab. Denn das Allegro des ersten Satzes ist für Beethoven – wenn man das bereits die Zeitgenossen irritierende und ratlos zurücklassende Spätwerk unentwegter harmonischer und kontrapunktischer, quasi experimenteller, Horizont-Erweiterungen ausklammert – insofern charakteristisch, als es, grundiert von dem sich zunächst in Zurückhaltung übenden dunklen Tönen der Bässe und Violoncelli, mit dem Eintreten der übrigen Streicher und der, ein wenig zeitversetzt, beiden Hörner, mählich, aber drängend, an spannungsvoller Intensität zunimmt, um schließlich mit dem ersten Tutti-Einsatz des Orchesters in einem das Herz emporreißenden Glanz, einem ungeheuer erhebenden Schwung zu erstrahlen.

 

Der zweite, Largo überschriebene und attacca zu spielende Satz – übrigens gehen, wie hier, so auch in Mendelssohn Bartholdys Klavierkonzert die Sätze, bis auf diese eine Ausnahme, unterbrechungslose ineinander über – ist als musikalische Vortragsbezeichnung meines Erachtens etwas missverständlich oder vielleicht sogar unpassend. Denn erstens sagt das breit dieser Tempovorschrift eigentlich nichts über das Tempo aus, und zweitens drückt dieser relativ kurze, zunächst von der schwermütigen Klage des Cellos dominierte Satz eine hingebungsvoll-stille, verzehrende Trauer aus, so dass ein addolorato oder ein affettuoso für mein Empfinden die angemessenere Grundcharakterisierung wäre.

 

Der Rondo alla polacca zu spielende Finalsatz ist nun – was für ein Kontrast zum gerade erst verklungenen schwermütigen, an Verzweiflung grenzenden Mittelsatz – so recht vor allem in seinem stürmisch auftrumpfenden Mittelteil dazu angetan, das Herz zum juchzenden, schallend lachenden Überschäumen zu bringen. Oder auch so: Im finalen Satz des Mendelssohn‘schen ersten Klavierkonzerts dominiert die versonnen-lächelnde Freude der schwungvoll tänzelnden, unbändigen Lebenslust; bei Beethovens Polonaise-Rhythmik des Finalsatzes kommt ein ungeheuer ausgelassenes, beschwingtes musikalisches Juchheirassassa über den aufnahmebereiten Zuhörer, das alle Lebensgeister in spontane Wallung versetzt. Es ist, wie gesagt, vor allem im noch einmal in der auftrumpfenden Dramatik sich überschlagenden Mittelteil, eine Mordsgaudi – man achte, kurz vor Beginn dieser Passage, auf die sich in einem gegenseitigen Sich-Anlächeln ausdrückende Vorfreude in den Gesichtern der Kobekina und der Conunova –, die sich an sich selbst berauscht und sich an ihrer schwungvollen Begeisterung kaum genug tun kann, und die sich folglich diverse Male, der Rondo-Vorgabe gemäß, mit einer an dreinfahrender Vehemenz nicht zu überbietenden Rasanz wiederholt. Und exakt so ungestüm aufstampfend gespielt sein will. Bravo!

 

Das Jugendlich-Ausgelassene dieser beiden Musiken lässt es sich – mal so, mal so – wohl sein. Und will so, nämlich von zwei jungen Orchestern, zu Gehör gebracht werden. Die beiden weiter oben eingefügten links weisen den Weg zu Interpretationen, die, wie ich finde, auf vorbildliche Weise der stürmisch-draufgängerisch-verspielt-ausgelassenen Gesamtanlage beider Kompositionen entsprechen, beziehungsweise kongenial genügen. Eventuell nicht zuletzt deswegen, weil sowohl die Mitglieder des Orchesters als auch die in summa weiblichen Solisten hier wie dort tatsächlich allesamt relativ jung sind. Und den herzanrührenden Kontrapunkt bildet in der Darbietung des Mendelssohn Bartholdy-Klavierkonzerts der bereits in die Jahre gekommene Kurt Masur.

 

Als einzige Einschränkung bleibt freilich anzumerken, dass die Ton- und Bildqualität der Beethoven-Einspielung immer wieder von eklatant minderer Qualität ist; es handelt sich vermutlich um einen laienhaften Mitschnitt aus dem Zuschauerraum heraus.


YouTube-Videos:
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Mendelssohn: Piano Concerto No. 1 in G minor (op. 25) , Yuja Wang, Kurt Masur (18:58 Min.)

Beethoven: Triple Concerto / Kobekina-Conunova-Makhamendrikova (35:47 Min.)

 

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