Meinung
Salām Syria – Weltmusik als Heimat

Ja, ich weiß, alle beschweren sich, dass nur noch aus der Elbphilharmonie berichtet wird, alles andere werde vernachlässigt von uns Journalisten etc.
Aber: Wenn etwas gut ist, ja außerordentlich gut ist, muss und will man eben darüber berichten, egal wo es stattgefunden hat und seit der Eröffnung der Elbphilharmonie findet einfach viel Gutes, Spezielles, und – auch Unvergessliches statt, wie im Falle des „Salām Syria-Festival“, das vom 16. bis 18. Juli alle möglichen Facetten alter, traditioneller, neuer, gemischt-gemeinschaftlicher, experimenteller und ungewöhnlicher Musik sowie Mixed Arts Variationen zu Gehör und vor Augen eines sehr interessierten, sehr begeisterten, sehr nachdenklichen, und ebenfalls sehr gemischten, oft durch tiefe Emotionsberührung bewegten Publikums brachte.

Den klassischen Auftakt machte am Freitag in einem wie üblich ausverkauften großen Saal der gemeinschaftliche Auftritt der NDR-Bigband mit den Solisten der Syriah Big Band. Unter Leitung von Wolf Kerschek, der auch für die großartigen Arrangements verantwortlich zeichnete, traten Big-Band-Rhythmen, traditionelle Syrische Musik, Jazz, Solodarbietungen in einen Dialog, den man wohl so noch nicht gehört hatte. Die musikalische Perfektion, die emotionale und intellektuelle Zusammenarbeit, das Gemeinsame, der aus völlig unterschiedlichen musikalischen kulturellen und historischen Hintergründen herausarbeitenden, lebenden und ihr Instrument bearbeitenden Musiker schuf Amalgamationen, die derart harmonisch, orientalisch, jazzig, intensiv und erhellend waren, dass das Publikum aus einem Mix aus gebanntem Staunen, Applaudieren in ‚Standing Ovations’ und frenetischem Zwischenapplaus nicht mehr herauskam. Das Wichtigste bei dieser konzertanten lebendigen musikalischen Völkerzusammenführung war, dass jeder im Saal hautnah spüren und vorgelebt sehen konnte: Musik ist ein Teil von Kunst an sich, ist die Sprache, die uns auf der ganzen Welt verbindet. Sprachliche Barrieren: unwichtig; religiöse, kulturelle, politische Hintergründe: vereinbar; länderübergreifende Kommunikation: locker machbar; Emotionen, handwerkliches Können, Berührbarkeit und Berühren: universell. Das war und ist zwar etwas, was man eigentlich weiß oder wissen sollte, was in aufgeklärten Gesellschaften auch immer wieder postuliert wird; aber am eigenen Leib als Realität ist es in dieser Klarheit und Unbestreitbarkeit doch selten erfahrbar. Die ‚Normative Kraft’ des Faktischen: Hier erlebt!

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Die zweite Offenbarung am Eröffnungsabend dann im Kleinen Saal: Wenn zwei extrem talentierte Künstler sich gemeinschaftlich an ein Thema herantrauen und eine neue Form der Verbildlichung und gleichzeitig Vertonung von Realitäten künstlerisch aufarbeiten und dadurch kommentieren, dann ist das: ein Erlebnis und ein Genuss und niemals in Gefahr kitschig und redundant zu sein. Kinan Azmeh (Klarinette) und Kevork Mourad (Live Painting) ist es gelungen, das Schicksal Syriens hörbar, sichtbar und – als Symbiose aus beiden – es unmittelbar nachvollzieh- und spürbar zu machen. Auf eine Leinwand wurden relativ abstrakte Figuren im Moment ihrer Entstehung sichtbar und gleichzeitig durch Computeranimation in einer permanenten Evolution, Revolution und Metamorphose als Bewegtbilder lebendig: Gefahr, Flucht, Reise, Klagen, Hoffnung, Tanzen, Teil in einem Schachspiel sein, unterwegs sein, ankommen, warten, weiterreisen und das immer in einer kongenialen Begleitung durch den wunderbaren Kinan Azmeh. Er spielt seine Klarinette, bewegt sich und sie, als sei sie ein Teil von ihm, erklimmt alle Stufen an Lautstärke, Lautmalerei, an laut und leise – klagen, singen, sich erschrecken, schreien, stumm verzweifeln, Hoffnung schöpfen und sich verlieren, setzt alles was in ihm und auf der Leinwand passiert in Töne um, die sich nicht im Ohr festsetzen, sondern immer weiter dringen, ja drängen und die mit den Zeichnungen von Kevork Mourad zusammen gegen Ende dieser intensiven Aufführung den Weg aufzeigen, den das Salām Syria Festival bereits geht. Aus der Kunst, an der alle gemeinsam arbeiten, wird und kann Neues entstehen, eine neue Heimat: Beredtes Bild. Die Leinwand kurz vor Schluss ist wieder leer, es ist nichts mehr da, dann tritt Kinan Azmeh als Schattenriss mit erhobener Klarinette vor die Leinwand: Flüsternd fängt er an Ton um Ton zu gebären und sichtbar wird langsam aber stetig wachsend, Haus um Haus eine neue Stadt, eine neue Heimat, ein Meer an neuen Räumen und Möglichkeiten. Eine Vision, die da aus Klarinettist und Zeichner strömt und die man gerne glaubt.

Genauso glaubt man Kinan Azmeh, wenn er zwei Tage darauf zur Begrüßung des Publikums zum Auftritt des Hewar Trios (and guests) erst einmal „Danke“ sagt. Der Elbphilharmonie, allen im Festival aufgetretenen Künstlern, dem Publikum, dem Kurator des Salām Syria-Festivals: Michael Dreyer (der auch schon das Morgenland Festival in Osnabrück erfand) und ganz Hamburg. Kinan Azmeh sagte: Er hat gar nicht das Gefühl hier nur aufzutreten, vielmehr hat er das Gefühl, er und alle anderen syrischen Musiker seien hier in der Elbphilharmonie eingezogen, es fühlt sich nach Heimat an, ich habe das feste Gefühl, hier bereits zu wohnen, sagt er lächelnd.
Und ganz ehrlich, man hört bei dem Kinans Worten folgenden Konzert nicht nur die Brillanz der musikalischen Meisterschaft, die Tiefe der die Töne tragenden Emotionen, man merkt auch, dass die Musiker da vorne auf der Bühne sich wirklich wohlfühlen, tatsächlich als wären sie daheim, im vertrauten Kreis. Kinan Azmeh (Klarinette), die bezaubernde Dima Orsho (Gesang), der Geiger Jasser Haj Yousseff, der vor Energie explodierende Manfred Leuchter am Akkordeon, Michel Godard an Tuba und Schlangenhorn, und Jivan Gasparyan mit seiner kleinen Duduk (ein der Oboe ähnliches Doppelrohblattinstrument aus Aprikosenholz und armenisches Nationalinstrument) spielen auf, wie auf der Hochzeit von Freunden. Und als Freund fühlt man sich beim Auftritt dieser Musiker gleich von Anfang an! Die Musik ist von einer Unmittelbarkeit und Intimität, dass ich mir denke, allein, dass ich diese Musiker hier in dem trotz der Größe akustisch so intimem großen Saal erleben darf, dafür hat sich der Bau der Elbphilharmonie schon gelohnt: Dafür dass ein Festival wie das Salām Syria hier stattfindet und nicht an verstreuten Orten, in kleinen Räumen, in halboffizieller Atmosphäre, sondern dass ein „Weltmusikprojekt“, das so wichtig ist in der gegenwärtigen Zeit, dafür dass dieses Festival wenigstens für ein paar Tage wirklich eine gemeinsame musikalische Heimat der Musiker und der Zuhörer werden konnte an einem so schönen Ort, dafür bin ich dankbar.

Die Salām Syria Tage werden sicher in allen, die dabei waren, noch ganz lange weiterleben und mit ihnen die Hoffnung auf eine Zukunft mit wieder vielen Tagen voll behaglicher kreativer gemeinsamer Heimat.

Salām Syria
YouTube-Video:
Elbphilharmonie LIVE | Hewar Trio and Guests


Abbildungsnachweis:
Header:

v.l.n.r. Manfred Leuchte, Jivan Gasparyan, Dima Orsho, Jasser Haj Jousseff, Kinan Azmeh, Michel Godar. Foto: Michael Zapf
Galerie:
01. NDR Bigband und Syria Big Band. Foto: Claudia Höhne
02. Kinan Azmeh blickt auf den Hamburger Hafen. Foto: Cornelia Schiller
03. „Home within". Audiovisuelles Gemeinschaftsprojekt. Klarinette: Kinan Azmeh, Live-Painting-Electronics Kevork Mourad. Kleiner Saal. Foto: Claudia Höhne
04. und 05. „Home within". Audiovisuelles Gemeinschaftsprojekt. Klarinette: Kinan Azmeh, Live-Painting-Electronics Kevork Mourad. Fotos: Cornelia Schiller
06. Arbeitsplatz von Kevork Mourad. Foto: Cornelia Schiller
07. Manfred Leuchte, Jivan Gasparyan, Dima Orsho, Jasser Haj Jousseff, Kinan Azmeh, Michel Godar. Foto: Michael Zapf
08. Ibrahim Keivo, Foto: Michael Zapf
09. Abschlussparty „Salam Syria" mit DJane Ipek. Foto: Cornelia Schiller.

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