Meinung
Die 16. Lange Nacht der Museen in Hamburg

Diesmal war ich wieder allein unterwegs, nachdem meine Begleitdogge der fünfzehnten Langen Nacht, Foxi, mir während des vergangenen Jahres abhandengekommen ist.
Wie jedes Jahr fasziniert mich wieder die plötzliche Menschenfülle in einem Gebiet, das normalerweise jenseits der Geschäftsstunden still und zurückhaltend vor sich hin träumt.

Aus Anlass der Museumsnacht trabt die Bevölkerung wach, munter und zahlreich überall herum. Und sie beparkt mit ihren PKWs jedes dazu im weitesten Sinne geeignete Fleckchen. Das ist sonderbar, da doch von (alle paar Minuten fahrenden) Bussen über Stadträder und Alsterdampfer bis zu Barkassen wirklich für viele Arten des Transports gesorgt ist, jenseits irgendwelcher Parkplatzprobleme!
Während ich in der Hafencity nach einer nicht allzu verbotenen Stelle suche, an der ich meinen Wagen abstellen kann, denke ich über genau diesen Punkt nach: wenn jetzt alle anderen Museumsbesucher ihr Auto Zuhause gelassen hätten – wie schnell würde ich fündig!
Doch die Menschheit ist unbelehrbar.
Immerhin hoffe ich – nachdem ich tatsächlich die nicht allzu verbotene Stelle gefunden habe – ich kann davon ausgehen, dass unsere Ordnungshüter eine so harmonische und kulturell hochstehende Nacht nicht im großen Stil durch quietschende und rasselnde Abschleppwagen entweihen oder zahlreiche Hostessen zum Knöllchenverteilen losschicken werden.
Die sechzehnte Hamburger lange Nacht sollte explizit die Sinne ansprechen.
Kultursenatorin Kisseler drückte es so aus: Von haptischen Wahrnehmungen bis zu emotionalen Empfindungen würden ganz besondere Zugänge und durch die zahlreichen Aktionen zum Hören, Sehen, Riechen und so weiter einzigartige Möglichkeiten geschaffen, die Museumsszene über unsere Sinne ganz individuell zu erleben.

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Da scheint sich mir besonders der „Dialog im Dunkeln“ anzubieten.
Hier führen blinde Ausstellungs-Guides in völlig abgedunkelten Räumen durch Düfte, Temperaturen und Töne. Der mit einem Blindenstock ausgestattete Besucher wird aus seiner gewohnten Rezeption herausgelöst und erlebt alles aus einer ganz neuen Perspektive.
Heute allerdings lautet das Motto: Einfach mal den Mund halten. Das Erlebnis im Dunkeln wird von einer Reise in die Lautlosigkeit abgelöst. Diesmal sind Gehörlose die kompetenten Führer – „Dialog im Stillen“.
Im Alten Wandrahm bäumt sich der Kopf einer fünfreihigen Menschenschlange, die bis nach Altona reicht, vor dem Museumsgebäude.
Die Schlange redet lebhaft miteinander, macht Selfies, rückt ganz langsam ab und zu vor und wirkt soweit ganz vergnügt – bis eine schöne junge Frau mit taillenlangem Haar bedauernd verkündet, die Veranstaltungen wären hoffnungslos überfüllt, wer noch teilnehmen wolle, sollte sich jetzt für den Sonntag anmelden.
Bewegung in der Schlange. Einige lösen sich aus dem Verbund und schlendern davon, andere beratschlagen, ob sie für Sonntag buchen sollen oder versuchen, nun doch ins Gebäude und zur Kasse vorzudringen.
Ich auch.
Da ich am Sonntag keine Zeit habe, erkläre ich der langhaarigen Schönheit, dass ich für KulturPort.De unterwegs bin, immerhin einem der Medienpartner der Hamburger Museumsnacht. Ein anderes Kriterium scheint jedoch noch wichtiger: Bin ich allein?
Ich versichere, dass ich ganz außerordentlich allein bin und darf deshalb die Treppe hinauf in den Bereich vor ‚Der Entdeckung des Unsagbaren‘, wie das Event genannt wird.
Hier allerdings stoppt mich ein fülliger junger Mann, der eine deutliche Vorstellung von einem der Cherubim vermittelt, die mit dem Flammenschwert den Zugang zum Paradies verwehren. Jedenfalls denen, die keine Eintrittskarte haben.
Meine Angehörigkeit zur Medienschaft rührt ihn in keiner Weise.
Er erklärt grimmig, es wären sowieso schon viel zu viele Besucher in den Räumen – er hätte seine Anweisungen – völlig unmöglich…
Er macht nur seinen Job, und er macht ihn gut.
Resigniert trabe ich die Treppe hinunter und amüsiere mich ein Weilchen mit den Erlebnisstücken im Erdgeschoss, die sich auf Blindheit beziehen und auf die Sinne, die das Sehen ersetzen.
So stecke ich forsch meine Hände in die mit Gummizacken verkleideten Löcher in einer Konsole, um zu raten, was ich dort ertaste. Sicherlich liegt es an mir, doch ich ertaste überhaupt nichts. Ebenso wenig tut das offenbar ein schwarzbärtiger junger Mann mit konzentriertem Blick, der neben mir sogar beide Arme in diese Gummizacken versenkt. Und plötzlich finden sowohl er als auch ich, dass sich etwas ertasten lässt!
Wir brauchen einen kleinen Moment, bis wir realisieren, dass wir uns gerade gegenseitig zu packen haben…
Eine Besucherin ermuntert ihren Gefährten, seine Nase über Duftquellen zu hängen, um zu raten, was das ist: Orange – Kokosnuss – Zitrone?
Er erklärt jedes Mal missmutig, er rieche nichts. Nein, nichts. Und er möchte jetzt gerne rausgehen, um eine zu rauchen.
Nach diesem Paar schnuppere ich an den Duft-Düsen. Ich wäre eine schlechte Köchin, wenn ich nicht ‚blind‘ erkennen würde, welches Aroma jeweils nach Druck auf einen Knopf entströmt.
Bei der Zitronen-Düse allerdings muss ich dem Raucher Recht geben: da riecht nichts. Die scheint an einem frühen Zeitpunkt des Abends alles verströmt zu haben, was ihr gegeben war.
Ein Schwall von Besuchern kommt die Treppe hinunter und unterhält sich so lebhaft, so anerkennend und begeistert über das eben Erlebte in der gehörfreien Zone, dass ich genug Appetit bekomme für einen zweiten Angriff.
Diesmal gerate ich an Katrin Muetze, eine zierliche brünette Frau mit klugen olivbraunen Augen. Sie ist eine der Verantwortlichen, und wenn ich über die Ausstellung schreiben möchte, dann liegt ihr daran, dass ich teilnehme. Sie stürzt sich in einen Kampf mit dem Cherubim und erreicht, dass ich mit der nächsten Gruppe in den schallgeschützten Raum eintreten darf.
Die Wände sind hier bedeckt mit milchweißen vertikalen Wellen, und nachdem wir uns alle einen Gehörschutz über die Ohren gestülpt haben, herrscht wirkliche Stille – bis auf meinen Tinnitus natürlich. Aber der liegt ja auch innen.
Ein schlanker, beweglicher junger Mann erklärt uns flink und völlig unmissverständlich eine Menge: er selber hört nichts und er lädt uns ein, diesen Zustand jetzt zu teilen und ein wenig zu lernen, wie es ist, sich ohne Worte zu verständigen. Denn Reden ist ab jetzt verboten. Es gilt, mit Mimik, Körpersprache und Gesten zu sprechen und mit den Augen zu hören.
An einem großen runden Tisch mit milchiger Oberfläche und einem starken Licht obendrüber stellen wir mit den Händen Schattenbilder her, die klar und deutlich auf der Tischplatte zu erkennen – und sogar zu fotografieren sind.
Wir lernen einige Vokabeln für ein wenig lautlosen Smalltalk. Die Handflächen nach oben gerichtet, die Hände in Brusthöhe hin und her bewegt bedeutet: WAS? Ein kleiner Kreis über der Brust gemalt ist MÖGEN. Und das Weisen mit dem Zeigefinger auf mein Gegenüber heißt natürlich DU. Woraus sich der kleine Fragesatz ergibt: „Was magst du?“ Oder „Was ist denn Ihre Freizeitbeschäftigung?“ Oder „Was machst du am liebsten?“
Zu antworten ist mit einer Pantomime, dem Lesen in einem imaginären aufgeschlagenen Buch etwa oder dem Singen in ein Mikrophon. Mimisches Gelächter erntet ein Besucher, der andeutet, dass er einfach gern isst und schläft.
Unser Begleiter zeigt schließlich, anschaulich und vielschichtig, dass er Hobbytaucher ist.
Wir schulen unsere Mimik anhand von Prototypen wie dem harmlos grinsenden Otto Waalkes und dem gefährlich grinsenden Jack Nicholson als irrer Mörder.
Wir raten, welche Fingerstellung welches Tier symbolisiert.
Wir lernen, dass Beifallsklatschen im Reich der Gehörlosen wenig Sinn hat und stattdessen lebhaft aus den Handgelenken heraus gewedelt wird.
Zum Schluss bilden wir verschiedene kleine Gruppen und müssen einander wortlos erklären, mit welchen Figuren und Bausteinen aus einer Kiste ein Bild zusammen zu setzen ist, das nur die eine Hälfte der Gruppe sehen kann. (Und ich möchte in aller Bescheidenheit bemerken, dass meine kleine Tischgruppe gewonnen hat. Worauf ihr von allen zugewedelt wurde.)
Nach einer sehr knappen, höchst inhaltsreichen halben Stunde nehmen wir die Mickymaus-Ohren ab und landen wieder im Geräusch…
In diesem Jahr wurde der Dialog im Stillen vom ADAC sehr zu Recht mit dem Tourismuspreis ausgezeichnet.
Und ich muss rückblickend zugeben, dass dieses erste Erlebnis bereits den Höhepunkt meiner Museumsnacht dargestellt hat.
Als ich zurück in den Wandrahm trete ist es inzwischen dunkel geworden. Eine zarte Mondsichel liegt ein wenig zurückgelehnt am Himmel, es ist fast so lau wie in einer Sommernacht und die Stadt wirkt derart lieblich und heiter, dass man sie knuddeln könnte.
Tatsächlich steht mein Wagen noch an der nicht allzu verbotenen Stelle. Ich fahre nun damit zu meiner zweiten Station, dem Hamburg Museum.
Ja, ich weiß, einen Besuch dort hatte ich schon einmal beschrieben. Ich hab eben auch meine Favoriten…

Diesmal finde ich einen völlig erlaubten Parkplatz, so was gibt es auch. (Schließlich gewinnt ja auch jede Woche Irgendwer im Lotto.)
Andererseits entdecke ich auf dem Weg zum Museum einen silbernen Mercedes, der in aller Seelenruhe quer über dem Radweg direkt vor der Feuerwehreinzufahrt steht. Ein Mercedes konnte sich eben schon immer etwas mehr erlauben.
Vor dem schönen alten Museumsgebäude sind mehrere Buden mit Getränken und Junk-Food angebracht, das verführerisch duftet.
Indessen beschäftige ich mich zunächst im Museums-Restaurant mit marinierten Geflügel-Spießchen.
Danach will ich mich zum 23:00-Uhr-Vortrag über Hanseaten-Kleidung ‚Hamburg wirft sich in Schale‘ anmelden, denn im kleinen Büchlein für die Nacht ist extra vermerkt, man möge dies, wegen der begrenzten Teilnehmerzahl, nicht versäumen. Und ich habe keine Lust, mit einem weiteren Cherubim zusammenzukrachen.
Doch auf dem Weg zum Info-Tisch im ersten Stock, wo die Anmeldung erfolgen soll, erfasst mich tiefe Dankbarkeit, eben doch hören zu können. Denn hier singen ziemlich viele Menschen, gleichmäßig auf die Treppe verteilt, fast überirdisch. Vielleicht liegt es, zumindest teilweise, auch an der grandiosen Akustik, dass alles so unwirklich schön klingt.
Das ist der Franz-Schubert-Chor unter der Leitung von Christiane Hrasky. Überall rundherum halten die Besucher mit andächtigen Gesichtern ihre Ohren in die Luft und genießen.
Vielleicht könnte ich es noch einen Hauch mehr genießen, wenn ich beim Zuhören sitzen dürfte. Das habe ich zwar gerade beim Essen getan, und ich werfe meinen Füßen vor, das zu übersehen, zu hohe Ansprüche zu stellen, zimperlich zu sein – doch sie beharren darauf, es wäre wünschenswert, sie baldmöglichst zu entlasten.
Einstweilen singt der Chor mit unverminderter Gewalt.
Auf dieser Treppe stehen die Sänger unter den steinernen Abbildungen zweier schwebender Engel und sie singen selber wie die Engel, gar keine Frage. Zwei Zugaben erzwingt der enthusiastische Applaus.
Die Zuhörer verlaufen sich, auch der Chor verlässt den ersten Stock. Nun erhalte ich einen grünen Punkt auf meiner Eintrittskarte, der mich berechtigt, den Hanseatischen Kleider-Vortrag zu hören.
Fast leer ist dieses Stockwerk inzwischen. Da beginnt jemand irgendwo, vielleicht im Erdgeschoss, vor sich hin zu pfeifen. Eigentlich etwas schrill und nach einer wohl gerade selbst erdachten einfachen Melodie. Doch auch dies kleine Lied wird, durch die einmalige Akustik, plötzlich unwirklich und bedeutsam. Womit ich den Franz-Schubert-Chor nicht mindern möchte. Sondern nur die Resonanz-Möglichkeiten des Hamburg Museums loben.
Bald darauf fängt der Vortrag über die Hanseaten-Kleidung an. Eine Museums-Mitarbeiterin der Textil-Restaurierung erzählt pointiert über die Vorliebe der Madame Sieveking für Reseda-Grün, über hinten nachschleppende Schleppen und die Möglichkeit, diese entweder am eigenen Gewand festzuhaken oder von einer Zweitperson tragen zu lassen.
Über Trauerkleider, die so raffiniert und verführerisch gestaltet wurden, dass man sich fragen musste, ob die nagelneue Witwe nicht bereits versuchte, den nächsten Gatten an sich zu fesseln. Über ein echtes, vererbtes Biedermeierkleid aus inzwischen äußerst mürber Baumwolle, dass zum Fasching als Kostüm getragen und deshalb pietätlos in der Taille erweitert worden war.
Über pompöse Tragekleider aus Seide, die einem Krabbelkind zur Präsentation angezogen wurden, während man sie auf dem Arm trug – und vieles mehr.
Dies alles interessiert mich außerordentlich (deshalb hatte ich mich ja zu dem Vortrag angemeldet), doch meine Füße machen inzwischen einen Skandal daraus, dass ich immer noch nicht sitzen will.
Wobei zu sagen ist: gewollt hätte ich schon. Es gab jedoch, wie die Vortragende anmeldete, genau zwei Stühle in dem relativ kleinen Raum, und die waren auf der Stelle besetzt. Der Rest der Zuhörer lehnte sich unauffällig mit dem Bauch an den großen Tisch in der Mitte oder mit dem Rücken an die Fensterbank.
Alles nimmt einmal ein Ende, auch der interessanteste Vortrag. Ich zwang meine Füße die Treppe hinunter. Vorbei an dem Gesangsduo Sasa und der Bootsmann in der Kaufmannsdiele, die noch dabei waren, eine musikalische Geschichte zu erzählen.
Vorbei an einem ziemlich unecht aussehenden kleinen Mädchen vor einem alten hölzernen Schiffsrumpf, das aber völlig echt mit den Augen kullerte und einfach eine kleine Besucherin war, zu so später Stunde.

Inzwischen war die Nacht nicht mehr lau, sondern reichlich kühl und frisch. Der Gedanke, nun nach Hause zu fahren und ins Bett zu gehen kam mir nicht völlig absurd vor. Ich musste mir ernsthaft ins Gewissen reden, dass es ja wohl kaum in Frage kommen könnte, es mit gerade nur zwei Besichtigungen gut sein zu lassen.
Außerdem hatte ich mich schließlich auf den abschließenden Besuch im guten alten Völkerkundemuseum gefreut und auf die letzte Führung dieser Nacht, die um halb eins beginnen sollte.
Zunächst gönnte ich mir im Restaurant ein Glas sehr kalte Limonade, blutrot schimmernd, bestimmt sehr ungesund und ganz köstlich. Dann setzte ich mich in den Eingangsbereich des Museums, bewunderte die schönen Marmormosaike am Boden und gab mir große Mühe, nicht einzuschlafen, während sich neben mir ein Mann leise mit seinem Smartphone stritt: „Das habe ich nie gesagt! Wie kommst du denn darauf? So was würde ich nie sagen…“
Irgendwann nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, dass eine größere Menschenansammlung, zum Klumpen geballt, die Halle verließ und ich sah zu, dass ich hinterher rannte.
Eine gutgelaunte blonde Museumsangestellte, die Ethnologin Annette Graf, führte uns zu den Indianern und begann ihren Vortrag.
Die Überschrift lautete übrigens: ‚Hüllenlos, eine nächtliche Suche nach ästhetischen Körpern und schönen Gewändern‘ – weshalb einige der männlichen Besucher etwas enttäuscht aussahen über die durchaus züchtig bekleideten Ureinwohner Amerikas.
Frau Graf schilderte die Entstehung der großen Federhaube für Häuptlinge: eine Adlerfeder sei normalerweise verliehen worden für die Tötung eines Feindes und wurde nach oben oder unten oder quer ins Haar gesteckt. Nachdem allerdings der weiße Mann samt Anhang im wilden Westen auftauchte, nahm das Feindestöten derart an Fahrt auf, dass aus den vielen Adlerfedern eben bodenlange Kronen gebastelt werden konnten.
Weil die Ethnologin mehrmals erwähnt hatte, das Maori-Haus sei der Stolz des Museums, verließen wir die Indianer und wanderten durch die Gänge nach Neuseeland. Hier stand es, das hölzerne Kunstwerk, von Schnitzereien überschäumt, hauptsächlich Zungen und Augen, letztere durch eingelegtes Perlmutt seltsam lebendig schimmernd.
Bereits bei den Erklärungen über Indianische Schönheit und Schönheit als solche hakten sich viele der Besucher mit ihren Rücken an den gläsernen Vitrinen fest.
Vor dem Hause Rauru ließen sich nahezu alle auf den Treppenstufen nieder. Ich auch. Einer der Herren, der am Anfang noch halblaut gefragt hatte: „Wo sind denn nun die Nackten?“ lehnte seufzend den Kopf an das Geländer und schloss die Augen. Da die einzigen Nackten dicke kleine Männchen aus Holz waren, die ihm die Zunge herausstreckten, schien das ganz begreiflich. Nur Frau Graf blieb elastisch stehen und lockte: „Wer traut sich, das Haus zu betreten?“ Wie sich herausstellte, war das auch hier wieder nicht jedermann gestattet. Es galt, bestimmte Tabus zu beachten. So mussten natürlich die Schuhe ausgezogen werden. Dadurch entschied sich, dass ich nicht in Raurus Bauch eintreten würde. Mir war völlig klar, dass ich meine Stiefelchen zwar aus, doch ohne Schuhanzieher nie wieder anbekommen würde. Und ich hatte nicht die Absicht, auf Socken über die Rothenbaumchaussee zu wandern.
Die anwesenden Männer sahen alle so aus, als würden sie es ebenfalls vorziehen, auf der Treppe sitzen zu bleiben. Doch Frau Graf machte ihnen klar, dass es einer Frau nicht erlaubt sei, das Maori-Haus ohne männliche Begleitung zu betreten. Worauf die sitzenden Männer von den (vor dem Maori-Haus) stehenden Frauen mit vorwurfsvollen Blicken bedacht wurden, bis sie endlich ihre Schuhe auszogen und sich über die niedrige hölzerne Barrikade in Rauru begaben. Alle – bis auf den einen Mann, der mit geschlossenen Augen auf der Treppe sitzenblieb, hinter mir. Ich schaute das schöne Haus an, den Stolz des Völkerkunde-Museums und ich bekam das Gefühl, dass alle Perlmutt-Augen vor mir zwinkerten und dann zufielen. Der Mann auf der Treppe hinter mir schnarchte ganz leise. Da stand ich auf und verließ den Raum und das Museum. Inzwischen war es kurz nach eins und ich hatte einen langen Heimweg. Kultur muss sein, ohne Zweifel. Aber man soll es auch nicht übertreiben…

Weitere Informationen
Lange Nacht der Museen
Dialog im Stillen
Hamburg Museum
Völkerkundemuseum


Abbildungsnachweis:
Header: Außenbereich Dialog im Dunkeln / Dialog im Stillen. Foto: © Dialog im Stillen

Galerie:
01. Eingangsbereich Dialog im Stillen. Foto: © Dialog im Stillen
02. Non-verbale Kommunikation, Dialog im Stillen
. Foto: © Dialog im Stillen
03. Gebärdensprache lernen, Dialog im Stillen. Foto: © Dialog im Stillen
04. Schattenspiele, Dialog im Stillen. Foto: © Dialog im Stillen
05. Eingang des Hamburg Museums zur Langen Nacht der Museen. Foto: © Hamburg Museum
06. Beleuchtete Außenfassade dees Völkerkundemuseums. Foto: Julia Dombrowski
07. Maori-Haus. Foto: Anke Regdosz
08. Dachfirst des Maori-Hauses. Foto: Anke Regdosz
09. Maori-Skulptur. Foto: Anke Regdosz

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