Hélène de Montgeroult – Edna Stern
- Geschrieben von Claus Friede -
Hélène de Montgeroult (1764-1836) gehört weder zu den heute bekannten, noch zu den häufig veröffentlichten Musikerinnen. Ihr Name und die damit verbundenen Pianokompositionen sind etwas für Kenner und Spezialisten. Man mag meinen, dass wichtige Personen in der Kunst nicht lange unentdeckt bleiben können, zumal wenn sie Hervorragendes, Außergewöhnliches oder zumindest Wichtiges geleistet haben.
Hélène de Montgeroult ist so ein Fall, bei dem man sich fragt warum sich ihrer musikalischen Welt längst nicht viel öfter, intensiver und ausgiebiger gewidmet wurde – schließlich ist Ihr Werk sozusagen das kompositorische „Missing Link“ zwischen Bach, Mozart, Mendelssohn und Chopin – präziser gesagt, zwischen Klassik und Romantik. Höchst verdienstvoll ist es daher, der aus Israel stammenden Pianistin Edna Stern anzurechnen, dass sie ein gesamtes Album der Adelstochter aus Lyon widmet.
„Hélène de Montgeroult – Edna Stern“ lautet der schlichte Titel der CD, die knapp eine Stunde siebzehn Einzelstücke darbietet. Für Edna Stern bestehen bei den selten aufgeführten Kompositionen ein eigener Reiz. Sie sagt sinngemäß dazu in einem Interview, dass sie bei Bach oder Beethoven in einem Meer von verschiedenen Interpretationen schwimmt, bei Montgeroult besteht die Herausforderung etwas ungehörtem oder kaum gehörten Leben einzuhauchen. Zudem fehlt ein Paradigma wie sich die Kompositionen in ihrer Zeit wohl angehört haben mögen. „Es ist leicht“, sagt sie wörtlich „lediglich die Noten zu spielen, aber eine sinnhafte Interpretation ist die eigentliche Schwierigkeit. Ich glaube ich musste zunächst ihr Leben studieren, ihre Zeit kennenlernen, ihre musikalische Sprache, ihren Platz in der Geschichte, um alles zu unserem zeitgenössischen Publikum zu bringen.“
Hélène de Montgeroult, geborene de Nervo war eine überaus begabte Schülerin, unter anderem von Nicolas-Joseph Hüllmandel, wiederum Schüler Carl Philipp Emanuel Bachs. Sie gab später ein Bild einer selbstbewussten Musikerin ab, was in jenen Zeiten eher ungewöhnlich war. Sie heiratete dreimal und zog einen Sohn groß. Ihr Klavierspiel rettete ihr zur Zeit der Französischen Revolution das Leben, denn als Adelige wurde sie zur Guillotine verurteilt. Ihre Flucht in die Schweiz und ihr Aufenthalt in Zwickau und incognito in Berlin ist unklar.
1795 wurde sie schließlich ans frisch gegründete Pariser Conservatoire als Professorin berufen und konnte ihr Leben ohne Geldsorgen weiterführen. Hélène de Montgeroult zog 1834 des Klimas wegen nach Florenz, wo sie im Mai 1836 starb.
Edna Sterns Album ist also eine Offenbarung in vielerlei Hinsicht. Abgesehen davon, dass die Kompositionen von Hélène de Montgeroult nun endlich die Öffentlichkeit erreichen können – zu ihrer Zeit galt es als unschicklich für Personen adeliger Herkunft in der Öffentlichkeit zu spielen – wird die Stärke deutlich. Edna Stern schafft es auf dem Grand Piano aus dem Hause Ignaz und Camille Pleyel des Jahres 1860 und aus der Sammlung des Museums der „Cité de la Musique“, Philharmonie de Paris einen ganz wunderbaren Klang zu produzieren und den Facettenreichtum der Komponistin mehr als gerecht zu werden. Sind in den frühen Kompositionen noch Bach’sche Verbindungen zu hören, nimmt man im Laufe der späteren Stücke das Echo auf Mozart wahr, um schließlich bereits Anklänge an die Romantik zu entdecken. Atmosphärisch dicht, fließend und variantenreich mit hervorragenden Motivbetonungen, die die jeweiligen Spannungsbögen verbinden. Weich im Anschlag, unterstützt von den beiden Fußpedalen una corda und dem leiseren Spiel sowie forte, geben dem Grand Piano und Sterns Spiel zusätzlich eine unglaublich schöne Farbigkeit – ein absoluter Hörgenuss!
Hélène de Montgeroult
Edna Stern, Piano
Label: Orchid Classics
CD
EAN 5060189560639
YouTube-Video:
Edna Stern enregistre Hélène de Montgeroult (franz.)
Hélène de Montgeroult, pianiste, compositrice et pédagogue
Abbildungsnachweis:
Header: Historisches Portrait von Hélène de Montgeroult
CD-Cover
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