Peter Schreier – Facetten eines Sängerlebens. Die Edition zum 80. Geburtstag
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Er war in unzähligen Aufführungen der großen Bach-Oratorien der Evangelist, dessen Erzählung von der Geburt und dem Leiden Jesu die Zuhörer faszinierte, fesselte und tief berührte. Der Tenor Peter Schreier feierte am 29. Juli seinen 80. Geburtstag. Bei Berlin Classics, dem Label, dass das musikalische Klassik-Erbe der DDR übernommen hat, ist aus diesem Anlass eine kleine Box mit 8 CDs erschienen: „Peter Schreier – Die Edition zum 80. Geburtstag.
Eines der aufregendsten und inspirierendsten Erlebnisse des Autors als junger Chorsänger war die Generalprobe zu Bachs „Matthäuspassion“ in Mainz, Mitte der 70er-Jahre. Sie fand am selben Tag statt wie die Aufführung selbst, weil Peter Schreier, der Evangelist, spät anreisen konnte. Verständlich, dass er die gewaltige Partie nicht kurz hintereinander zweimal voll aussingen wollte. Und so markierte er in der Generalprobe, erzählte ganz leise singend, manchmal nur pianissimo angedeutet und fast gesprochen, die Leidesgeschichte Jesu. Und er hatte etwas zu erzählen, tat das auch bloß markiert faszinierend deutlich, bestens verständlich, mit perfekter Intonation und der ganzen Leidenschaft, die er dann auch am Abend bei der Aufführung hineinlegte.
Peter Schreier als Evangelist, ob bei den Passionen nach Matthäus und Johannes oder im Weihnachtsoratorium, war ein unmittelbar neben den Ereignissen stehender, durch sie tief berührter, ja aufgewühlter und erschütterter Augenzeuge. Eine größere, vollendete Beherrschung der Tenorstimme habe ich seither noch nicht wieder gehört.
Und nun ist Peter Schreier, bereits Ende Juli, in den Kreis der 80-Järigen aufgerückt. Passendes Geburtstagsgeschenk seiner Plattenfirma „Berlin Classics“: Eine kleine Box mit 8 CDs und einer DVD – sozusagen ein Kessel Buntes, Highlights seiner gewaltigen Aufnahmetätigkeit, aber bei weitem nicht alle. Es finden sich dort – und das folgt in der Gewichtung schon den eigenen Schwerpunkten von Schreiers Sängerleben – drei CDs mit Lieder: Schumann, Schubert (davon ein Großteil erstmals auf CD verfügbar) und Mozart bis Mahler. Eine Scheibe widmet sich geistlicher Musik aus Dresden, leider nur eine den Werken von Johann Sebastian Bach.
Vorgestellt natürlich auch der große lyrische Operntenor (dort fehlt leider ein Ausschnitt des großartigen Wagner-Sängers, wie er zum Beispiel als Loge und Mime im Janowski-Ring von 180 ff. vertreten ist). Dafür gibt es vieles zu entdecken auf einer CD mit Werken von Komponisten des 20. Jahrhunderts – von Richard Strauss über Paul Dessau, Kurt Weill, Prokofieff und Schostakowitsch bis Benjamin Britten und Günther Mittergradnegger. Und nicht fehlen darf der Operettentenor, der Schreier auch gerne war: Edelklasse-Schmalz von Eduard Künnecke, Franz Léhar, Paul Abraham, Carl Millöcker und Robert Stolz und Fred Raymond. Und eine DVD mit einige Liedern im Konzertmitschnitt und einem Interview aus dem vergangenen Jahr. Werke von fast 60 Komponisten, feine Häppchen, die Lust machen, sich die jeweiligen Werke im kompletten Kontext anzuhören.
In Bayreuth sang Schreier noch vor Salzburg
Vielfarbig funkelnde Facetten also aus einer extraordinären Sängerkarriere. Geboren 1935 im sächsischen Meißen, aufgewachsen in einem Kantorenhaus, wurde Schreier nach dem Krieg Mitglied der Dresdener Kreuzchors (eine Aufnahme seines prächtigen Knaben-Alts – die Agnus-Dei-Arie aus Bachs h-Moll-Messe – ist wenigstens auf der Interview-DVD zu hören). Kreuzkantor Rudolf Mauersberger riet ihm, Sänger zu werden. Mit großem Ehrgeiz lud sich Schreier im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal den Evangelisten der Matthäuspassion auf – und ging damit unter. Ein Scheitern, das ihn lehrte, seine Stimme klüger einzusetzen, bedachter zu fordern. Er wurde nach dem Studium in Dresden dort auch an die Oper verpflichtet – als lyrischer Tenor. 1963 debütierte er an der Staatsoper Berlin, und bald war der Ausnahmesänger ein begehrter Exportartikel der DDR: 1966 sang er zum ersten Mal in Bayreuth – ein Jahr, bevor ihn die Salzburger Festspiele entdeckten, als sensationellen Tamino präsentierten und dann 25 Jahre in Folge für die lyrischen Mozartrollen seines Faches engagierten. Met, Scala, Teatro Colon, Wiener Staatsoper – für Peter Schreier stand die Mauer weit offen. Er entdeckte in späteren Jahren auch das Dirigieren für sich. Am 22. Dezember 2000 verabschiedete sich Schreier von Opern und Passionen mit einem letzten Weihnachtsoratorium in Prag, fünf Jahre später dann auch als Liedsänger.
Der Liedgesang war immer das Herz und Zentrum seiner Sängerkarriere geblieben. Er hat seine Stimme und seine Auffassung vom Singkultur geprägt, die er seit 1981 als Honorarprofessor für Gesang bis heute in internationalen Meisterkursen weitergibt. Sein Motto: schön gesungen reicht nicht“, auch nicht eine instrumental geführte Stimme, wie sie in seinen Bach-Partien zum Tragen kommt. Peter Schreier möchte, dass im Lied ein Gedicht zu hören ist. Deswegen lag ihm das Opern-Singen immer nur an zweiter Stelle im Herzen – „Opernsänger müssen so oft übertreiben“, das liegt ihm nicht, genauso wie Härte und Rauheit.
Schreier ist ein Freund der Natürlichkeit. Das schließt Leidenschaft, erregt teilhabende Dramatik, zurückgenommene Noblesse, scheinbar mühelose akkurateste Artikulation bis hin in die schwierigen hellen Vokale nicht aus – im Gegenteil. Er sucht den Schlüssel zum Singen immer im Text. Was nicht heißt, dass er keine Schmelz hat, wie die einzige Verdi-Arie der Box zeigt (aus „Die Macht des Schicksals“).
„Peter Schreier singt Weihnachtslieder wurde 1,4 Millionen Mal verkauft“
Nach dem viel zu frühen Tod von Fritz Wunderlich 1966 versuchte man, ihn in die Rolle des Startenors zu drängen. Vom Pensum her, das er absolvierte, hat das geklappt. Doch die Sinnlichkeit, die Wunderlich ausstrahlte, war Schreiers Sache nicht. Er besaß zwar das hell strahlende, zugleich weiche, warme und runde lyrische Timbre. Doch bleibt er daran auch gefesselt, erschütternde dramatische Ausbrüche sind seine Sache nicht, eher eine passioniert glühende Innerlichkeit – das schöne alte Wort innig fällt einem da ein. Dafür lässt er sich aber auch nie weglocken von der Genauigkeit der Interpretation – das ist die Tugend des Lied-Sängers, der kleinste Nuancen aus wenigen Worten heraus gestalten muss.
Weltstar aus Sachsen, das ist er immer geblieben, bis heute auch im feinen sächsischen Tonfall seiner Sprechstimme. „Ich war zuhause in der DDR, das war meine Heimat.“ Für die Kulturgranden seiner Heimat war er ein unverzichtbares Stück Internationalität, dem man gern Privilegien zugestand. Er war „einer von uns“, wie es im Booklet zur Box ein wenig tümelnd heißt. Immerhin: In der DDR war Schreier so beliebt, dass sein Album „Peter Schreier singt Weihnachtslieder“ von 1975 die meistverkaufte Plattenveröffentlichung der DDR wurde – sie ging 1,4 Millionen Mal über den Ladentisch.
In der Box ist sie nicht enthalten, da gibt es genug anderes, was die einzigartige Stimme des großen Sängers unsterblich gemacht hat.
Peter Schreier – Die Edition zum 80. Geburtstag
Box mit 8 CDs und 1 DVD
Berlin Classics
0300659BC
Abbildungsnachweis:
Headerfoto Peter Schreier: Christian Ahrsbar
CD-Cover
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