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Sol Gabetta und Bertrand Chamayou The Chopin Album

Es sind nicht viele Werke, für die Frédéric Chopin (1810-1849) das sichere Terrain des Klaviers verlassen hat.
Die Cellistin Sol Gabetta hat jetzt mit ihrem langjährigen Freund und Duo-Partner Bertrand Chamayou für „The Chopin Album“ die drei großen und etliche kleinere Werke des Komponisten für Cello und Klavier eingespielt. Eine überraschende Entdeckungsreise zur Seele von Chopins Musik.

Und eine große biographische Bandbreite, die da aufgefächert wird: Die Polonaise brillante op.3 ist eines der ersten gedruckten Werke des jungen Chopin, geschrieben in Polen für den Cello spielenden Prinzen Radziwill. Die große Sonate in g-Moll op. 65 ist die letzte zu Lebzeiten Chopins publizierte Komposition – in ihr klingen vielfach auch die dunklen und zerrissenen Seiten von Chopins Tonsprache an.

The Chopin Album1847/48 entstanden, ist sie das wohl bedeutendste Dokument einer außergewöhnlichen Musikerfreundschaft, die Chopin mit dem französischen Meistercellisten Auguste-Joseph Franchomme (1808-1884) verband. Sie geht zurück in die Anfänge der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts, als Chopin in Paris endgültig seinen festen Wohnsitz genommen hatte. 1833 entstand das Grand Duo Concertant, das beide Freunde als Autoren nennt – eine Komposition nach Themen aus Meyerbeers „Robert le Diable“.

Franchomme arbeitete etliche Klavierwerke Chopins für die Duobesetzung um, die beiden haben mehrfach gemeinsam konzertiert und auch Ferien gemeinsam verbracht. Musikalisch verband die beiden eine ähnliche Auffassung: So wie Chopins Klavierspiel dezente Leichtigkeit ausstrahlte, nur selten die extrovertierte Kraft eines Franz Liszt erreichte und großen Wert auf die Melodien legte, die aus dem Geist der Singstimme geboren sind, so wurde Franchomme für seinen singenden Cello-Ton und eleganten, leichten Bogenstrich verehrt, den er mit einer selten gehörten Reinheit der Intonation verband.

Chopin schrieb dem Cellisten glühende Freundschaftsbriefe
Franchomme, seit 1846 Cello-Professor am Pariser Konservatorium, bearbeitete den Cellopart der Polonaise brillante neu, aus seiner Feder stammen Bearbeitungen wie die des bekannten Chopin-Nocturnes op.15, Nr.1. Ein eigenes Nocturne Franchommes schließt die Gabetta/Chamayou-CD ab.
Der Meistercellist, der das Duport-Stradivari-Cello spielte, das später Mstislav Rostropowitsch erwarb, war auch in Chopins letztem öffentlichen Konzert im Februar 1848 dabei, wo sie gemeinsam die Cello-Sonate spielten. Chopin schrieb ihm bis kurz vor seinem Tod glühende Freundschaftsbriefe.

Eine ähnlich enge Freundschaft verbindet Sol Gabetta und Bertrand Chamayou, die sich, beide 33 Jahre jung, seit 20 Jahren kennen. Die beiden spielen seit fast zehn Jahren gemeinsam Kammermusik und gehen oft damit auf Tournee. Beide betonen das intuitive Verstehen, aus dem ihr Spiel entsteht – es ist eine musikalische Praxis, in der keiner von beiden die Nase vorn haben muss. „Wir sind praktisch eine Person mit zwei Köpfen“, sagt Chamayou, wobei man es schon sehr deutlich sagen muss, denn zuhören ist kam, dass Gabetta im Duo von Chamayou Sinn für Struktur und Ordnung profitiert und er die „irrationaleren Momente, das ‚Unzivilisierte’ der Musik Chopins“ schätzt, das sie in diese musikalische Beziehung einbringt. So sucht jeder beim anderen das, was er selbst weiterentwickeln will – eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit.

Sie macht die Interpretation der mehr als halbstündigen großen Cello-Sonate zu einem bewegenden Dokument aus dem Seelenleben des Komponisten. Dicht und komplex gepackt, kontrapunktisch vielfach verwoben – Chopin übte nahezu täglich Bachs Präludien und Fugen aus Bachs ‚Wohltemperiertem Klavier’ – weist sie unvermittelt, manchmal fast schroff eher in die Tongemälde der Spätromantik, in denen dunkle Abgründe selten weiter als einen Schritt entfernt sind. Brahms etwa steht dieser Musik oft viel näher ist als der Rückblick auf die Welt der Etüden, Walzer und Polonaisen Chopins.

Sol Gabettas Cello macht einfach süchtig
Gabetta und Chamayou agieren auf ihrer ersten Duo-CD perfekt aus demselben musikalischen Geist. Sol Gabetta holt mit dem hellen, klaren Klang ihres Guadagnini-Cellos die sanglichen Elemente und Melodien nach vorn, Chamayou lässt dazu das Klavier gleichfalls singen. Wie perfekt und selbstverständlich das ineinandergreift, ist gut zu hören im dritten Satz der Cello-Sonate, dem wunderbar melancholisch abgeklärten Largo, wo sich Klavier und Cello nahtlos in der Gestaltung der Melodie abwechseln und ergänzen.

Und wer Alexander Glasunows Bearbeitung der Etude op.25, Nr.7 in cis-Moll gehört hat, in der das Cello den tiefen Part der linken Hand übernimmt und die Sopranlagen der rechten Hand auf dem Klavier den Duo-Partner spielen, der wird den sämigen Klang von Sol Gabettas traumhaften, in sich gekehrten Kantilenen nicht mehr aus dem Ohr bekommen, selbst wenn Chopin demnächst wieder „nur“ auf dem Klavier gespielt wird. Ihr Cello macht einfach süchtig.

Sol Gabetta/Bertrand Chamayou: The Chopin Album.
Sony Classical, CD
8884 3093 012


Abbildungsnachweis:
Header Sony Classical CD-Cover

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