Klartext
Sorry, Monsieur Houellebecq, Sie haben sich geirrt!

Ja, ich spreche von „Unterwerfung“, Ihrem visionären neuen Roman. Nicht etwa von ihren obszönen Vorstellungen, sich als zum Islam konvertierter Literaturprofessor ein ganzes Harem williger, blutjunger Sexgespielinnen halten zu können – diese Passagen kann man getrost ins Reich dreckiger Altmänner-Fantasien verbannen.
Ich meine Ihre Vorstellung einer schleichenden Islamisierung Frankreichs (und folglich Europas). Die entwickeln Sie in Ihrem Buch durchaus schlüssig und realitätsnah. Ich hoffe übrigens, Sie haben die großartige Inszenierung ihrer „Unterwerfung“ von Karin Beier am Hamburger Schauspielhaus genossen und sich über die physische Ähnlichkeit zwischen Ihnen, dem Autor, und Ihrem Interpreten, dem fulminanten Schauspieler Edgar Selge amüsiert.

Doch zurück zu meinem Grund, Ihnen zu schreiben:

Cher Monsieur Houellebecq,
wie konnten Sie sich nur so sehr in der zeitlichen Einordnung vertun?
„Unterwerfung“ spielt 2022, also in der Zukunft. Doch das, was Sie so schlüssig vor Augen führen, das leise Bröckeln westlicher Werte, hat nichts mit Science Fiction zu tun. Was Sie da schildern, passiert zur Zeit, im Hier und Jetzt!
Nun gut, die Pariser Sorbonne hat noch kein Etikett als „islamische Universität“. Wir haben weder in Frankreich noch in Deutschland derzeit einen charismatischen muslimischen Politiker wie Ihren Mohamed Ben Abbès, der mit Hilfe der Sozialisten und der Konservativen an die Macht kommt.
Aber wir haben einen „größenwahnsinnigen“ Verbündeten, wie schon deutsche Politiker erklären, einen Partner, der Menschenrechte und Pressefreiheit mit Füßen tritt und seinen Einfluss wie einen grauen Schleier über Deutschland zu legen versucht.
Sie wissen, von wem ich rede? Richtig, von Recep Tayyip Erdogan. Man sollte meinen, der türkische Staatschef, der sich so gern als Sultan auf goldenem Thron, umgeben von faschingsmäßig kostümierten Soldaten in martialischen Kettenhemden und Goldhelmen inszeniert, hätte besseres zu tun, als sich die NDR-Satire-Sendung „extra 3“ anzuschauen. Man sollte meinen, der mächtigste und einflussreichste Mann des Osmanischen Reiches, der nach Auskunft des kurdischen Oppositionsführers Selahattin Demirtas die „Alleinherrschaft“ und „eine konstitutionelle Diktatur“ anstrebt, wie gestern im Hamburger Abendblatt zu lesen war, hätte ein Minimum an Souveränität.
Ganz zu schweigen davon, sollte man meinen, dieser Mann sei nun wirklich viel zu beschäftigt, um von einem kleinen deutschen, zugegebenermaßen kackfrechen TV-Moderatoren wie Jan Böhmermann Notiz zu nehmen.
Aber nein, Erdogan klagt höchstpersönlich gegen beleidigende „Schmähgedichte“, bestellt den deutschen Botschafter ein und versucht unverblümt Druck auf die deutsche Regierung auszuüben. Offenbar mit Erfolg.
Oder wie erklären Sie es sich, dass Jan Böhmermann unter Polizeischutz steht, seine für heute geplante Sendung abgesagt hat und die Staatsanwaltschaft Mainz gegen ihn ermittelt?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das „Schmähgedicht“ von Böhmermann hat unterirdisches Niveau. Das ist allerunterste Schublade.
Angeblich soll es die auch sein, um auf „Metaebene“ zu zeigen, was Satire darf und was nicht (Süddeutsche Zeitung).
Und Böhmermann hat es geschafft. Mit diesem billigen, absurd-provokanten Spottgedicht, das eigentlich keine Zeile wert sein sollte, hat er es geschafft, Erdogan zu entlarven, die Bundesregierung — und nun könnte er sogar das Ansehen von Angela Merkel ernsthaft beschädigen. Peinlicherweise wird nun Jan Böhmermann zur Gallionsfigur der Presse- und Meinungsfreiheit stilisiert, ein Ruhm, der nun wirklich anderen Journalisten gebührte.
Unglaublich, wie die Bundesregierung im „Fall Böhmermann“ herumeiert, dass sie „die Prüfung der türkischen Verbalnote“ (Regierungssprecher Steffen Seibert) auf die lange Bank schiebt und dass es Angela Merkel offenbar nicht schafft, klare Kante zu zeigen. Schlimm genug, dass sie mit so einem „Staatsmann“ Geschäfte machen muss! Warum schafft sie es nicht, Erdogan deutlich zu machen, dass sich Deutschland durch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht erpressen lässt? Nicht in Punkto Medienfreiheit, nicht in Punkto Satire, und schon gar nicht in Punkto Böhmermann!
Aber sie schweigt. Und das weckt ein ausgesprochen ungutes Gefühl der Willfährigkeit.

Monsieur Houellebeqc, natürlich konnten Sie sich vor zwei Jahren, als Sie Ihren Roman schrieben, ein derart aberwitziges Szenario nicht vorstellen, die Realität ist mal wieder absurder als jede Fantasie. Doch der „Fall Böhmermann“ macht klar, dass wir keine sechs Jahre mehr für Werte-Verschiebungen brauchen. Die Unterwerfung hat längst begonnen.

Mit besten Grüßen,
Ihre Isabelle Hofmann



Abbildungsnachweis:
Header: Edgar Selge © Klaus Lefebvre, Deutsches Schauspielhaus Hamburg

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